Me­die­val and Re­nais­sance Mu­sic Con­fe­rence 2024

Granada, 06.-09.07.2024

von Miriam Falk, Heidelberg, 04.09.2024 | Die diesjährige Medieval and Renaissance Music Conference fand vom 6. bis 9. Juli in Granada statt und bot zahlreiche spannende Vorträge rund um die Musik des Mittelalters und der Renaissance in einer atmosphärischen Kulisse. Bereits vor dem Beginn der Konferenz lud Juan Ruiz Jiménez (Granada) zu exklusiven Führungen durch das Archivo Manuel de Falla sowie das Centro de Documentación Musical de Andalucía ein, später auch durch das Archiv der Capilla Real. Hier konnten die Besucher nicht nur verschiedene musikalische Handschriften und Drucke, sondern auch historische Instrumente aus dem 16. Jahrhundert kennenlernen. Abgerundet wurde das Rahmenprogramm mit zwei Konzerten, bei denen spanische Musik der Renaissance zur Aufführung kam, so etwa Sebastián de Vivancos Missa Super Octo Tonos, die hier die erstmalige Aufführung seit ihrer Wiederentdeckung erfuhr.

Die Tagung selbst bot mit über 250 Referaten und 22 präsentierten Postern eine Vielzahl an spannenden Einblicken in unterschiedlichste Forschungsfelder und -themen. Schwerpunkte der Konferenz waren in diesem Jahr unter anderem die weibliche Musikgeschichte, Instrumentenkunde und die ethnomusikologische Betrachtung afrikanischer, arabischer und südamerikanischer Musikpraxen und -theorien. Dieser Bericht fokussiert sich im Folgenden dagegen auf die ebenfalls sehr präsenten Themenfelder der Klangforschung und Soundscapes, der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Musikpraxis und Hörgeschichte.

Mit Soundscapes beschäftigte sich etwa Eduardo Carrero Santamaría (Barcelona) in seiner Keynote Lecture, der den Blick auf das Klangbild mittelalterlicher Klöster richtete, die entgegen heute gängiger Vorstellungen keineswegs Orte der Stille, sondern in ihrer Geräuschkulisse maßgeblich durch den Alltagslärm der Mönche und Nonnen geprägt gewesen seien. In einem Panel zu Performance Practice stellten die Grazer Wissenschaftler Bernhard Rainer, Juliane Oberegger und Elisabeth Frauscher ihre bisherigen Erkenntnisse zur Musikpraxis und Klangwahrnehmung in der Kathedrale in Graz um 1600 vor, die sie durch historisch informierte Aufführungspraxis, aber auch einem virtuellen Nachbau der Kathedrale mit den Klangeigenschaften der Zeit gewannen, bei dem die akustischen Eigenschaften der Oberflächen und ihr Zusammenspiel digital nachempfunden werden, sodass ein authentisches Klangbild erzeugt und wieder hörbar gemacht werden kann. In einer Session rund um das „VALSOUNDS Project“ stellten Forscher aus Oxford unter der Leitung von Karl Kügle ebenfalls die Methode der Archäo-Akustik vor und wendeten sie auf die Musikpraxis in den privaten Räumen der Könige des Hauses Valois an. Durch eine Analyse der dortigen architektonischen Gegebenheiten wurde – wie auch schon bei der Forschergruppe aus Graz – ein digitales Modell angefertigt, um auf diese Weise mehr über die spezifischen Klangeigenschaften der Räumlichkeiten zu erfahren und Rückschlüsse auf die Musik selbst, die Aufführungspraxis und mittelalterliche Hörgewohnheiten zu ziehen. In einem Panel zur Auditory History wurden verschiedene Hörgemeinschaften präsentiert, so stellte Tin Cugelj (Bern) die These auf, dass die gemeinschaftliche Hörerfahrung der alltäglichen Geräuschkulisse, aber auch von außerordentlichen Hörereignissen wie Stürmen einen besonderen Zusammenhalt schaffe, den er anhand von Erfahrungsberichten schiffsreisender Pilger darstellte. Die Möglichkeit, Klänge als Propagandamittel und Machtdemonstration einzusetzen, wurde von Alexandros Maria Hatzikiriakos (St. Andrews) anhand der geräuschvollen Festspiele der venezianischen Besatzer auf Kreta im Mittelalter und der frühen Neuzeit erläutert, die ihre Überlegenheit besonders mit dem Klang von Musik, Feuerwerk und Turnierkämpfen beweisen und bestärken wollten. Lorenzo Tunesi (Stanford) schilderte einen Vorfall im Mailänder Dom im frühen 16. Jahrhundert, bei dem aufgrund der Überschneidung der Messfeier mit dem Vortrag eines auswärtigen Predigers Tumulte unter den Kirchenbesuchern ausbrachen. Sein Fokus lag dabei auf den Geräuschüberlagerungen von Messgesängen und Zwischenrufen. Schließlich sprach Ilaria Grippaudo (Palermo) über die Fronleichnamsumzüge in Palermo und den Einfluss, den Bischof Giannettino Doria in diesem Rahmen auf die Geräuschkulisse der Stadt nahm, indem er unter anderem jegliche private Musik verbot, um Ablenkungen von der Prozession zu vermeiden.

Die Soundscapes von religiös und politisch motivierten Umzügen waren auch Gegenstand mehrerer Poster, etwa jenem zu dem von Helen Herbert (Barcelona) präsentierten Gemeinschaftsprojekt über Prozessionen in Aragon zwischen 1400 und 1700. Andere Poster stellten Datensätze vor, die KI-gestützt analysiert wurden, so zum Beispiel im Hinblick auf größere Muster in der modalen Einteilung früher europäischer Musik (Mirjam Visscher und Frans Wiering, beide Utrecht) oder auf die Kategorisierung von Klangwelten in Reiseberichten in der WebApp „Echos“ (Camila Cavicchi, Tours, und Paola Dessì, Padua). Die KI-gestützte Datenanalyse bildete auch die Grundlage zahlreicher Vorträge, so etwa bei einem Paper von Richard Freedman (Haverford) und Marcel Klinke (Heidelberg), in dem auf Basis der Analysetools des CRIM-Projektes zwei Parodiemessen von Orlando di Lasso und Ludwig Daser und eine ihnen beiden vermeintlich zugrundeliegende Motette auf Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge überprüft wurde. Es wurden aber auch webbasierte Forschungsprojekte wie „E-LAUTE“ vorgestellt, in dem eine umfassende Edition von deutschen Lautentabulaturen sowie ihre interaktive Aufbereitung und öffentliche Verfügbarmachung angestrebt werden. Besonders die neuen KI-gestützten Programme sind also spannende neue Hilfsmittel, die es ermöglichen eine deutlich größere Datenmenge auf bestimmte Charakteristika hin zu untersuchen und neue Ansätze in der Musikwissenschaft zu entwickeln, aber durch die Möglichkeit, Klanggegebenheiten wieder hörbar zu machen, eben auch ganz neue Methoden für die Sensory History eröffnen. Die Tagung zeigte, dass die vielfältigen, auf der Musik und den Hörerfahrungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit beruhenden Themenschwerpunkte mit immer neuen Ansätzen in einer steten Entwicklung begriffen sind. Mit modernen, KI-gestützten Analysetechniken können dabei ganz neue Ebenen der Vergleichbarkeit geschaffen werden.