Er­klä­rung zahl­rei­cher Wis­sen­schafts­ver­bän­de zur Pre­ka­ri­tät wis­sen­schaft­li­cher Lauf­bah­nen und #ich­bin­han­na

Wissenschaftszeitvertragsgesetz abschaffen – Grundfinanzierung der Universitäten stärken

Erklärung zahlreicher Wissenschaftsverbände zur Prekarität wissenschaftlicher Laufbahnen und #ichbinhanna

Sehr geehrte Frau Ministerin Karliczek,

dank der Initiative #ichbinhanna hat der – schon lange schwelende und vielfach artikulierte – Protest gegen die massiv prekären Beschäftigungsbedingungen von Wissenschaftler_innen an deutschen Universitäten, Hochschulen und Akademien neuen Auftrieb bekommen. Ihre Stellungnahmen in der Debatte im Deutschen Bundestag zu diesem Thema am 24.06.2021 und die Erläuterungen von Staatssekretär Wolf-Dieter Lukas vom 13.06.2021 ignorieren die fundierte Kritik von Wissenschaftsverbänden, Wissenschaftsorganisationen sowie der konkret betroffenen Wissenschaftler_innen an einer Wissenschaftspolitik, die Promovierende und Postdocs Jahrzehnte in prekären Beschäftigungsverhältnissen hält, sich dabei aber massiv auf ihre Leistungen zur Aufrechterhaltung von Forschung und Lehre stützt, und die die Nachhaltigkeit von grundständig finanzierten, für exzellente Forschung und Lehre tragfähige Strukturen verhindert. Exemplarisch verweisen wir auf die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie von Mai 2020 und auf das Diskussionspapier des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker e. V. von Januar 2021 zu diesem Thema.

Der Anteil befristet beschäftigter Wissenschaftler_innen an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen hat in den letzten zehn Jahren immer weiter zugenommen, er beträgt derzeit deutlich über 85 Prozent. Prekär zu arbeiten ist der Normalfall an deutschen Universitäten und Hochschulen. Die Gründe hierfür sind komplex und die Verantwortlichkeiten verteilt. Es gibt deshalb auch nicht den einen Lösungsweg zur Verbesserung der Situation. Eine wesentliche Verbesserung wäre jedoch schon erreicht, wenn das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die sogenannte „12-Jahres Regel“, außer Kraft gesetzt wird, die für eine langfristige Beschäftigung auf Haushaltsstellen oder durch universitäre Sondermittel wie ein Berufsverbot wirken kann. Wir fordern deshalb als einen ersten Schritt die kritische und vollständige Evaluation der Wirkung und Folgen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Dabei muss zwischen der Promotions- und der PostDoc-Phase differenziert werden. Insbesondere nach der Promotion müssen hinreichend entfristete Beschäftigungsverhältnisse an den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ermöglicht werden, sodass Forschung, Lehre und die eigene Karriere planbar(er) werden. Dies geht nur durch eine deutliche Verbesserung der grundständigen Finanzierung der Universitäten und Hochschulen.

Die Diskussion muss auf allen Ebenen – konkret: zwischen Ministerium, Fachverbänden und Akteuren der Hochschulpolitik sowie auf Länderebene – fortgesetzt werden. Sehr vielen geisteswissenschaftlichen Verbänden ist dies ein zentrales Anliegen. Der VHD hat einen Resolutionsentwurf mit dem Titel „Die Berufswege promovierter Historikerinnen und Historiker in der Wissenschaft besser gestalten“ ausgearbeitet, der auf dem Historikertag in München Anfang Oktober 2021 diskutiert wird.

Wir rufen die Verantwortlichen auf, den notwendigen Reformprozess und Systemwandel zusammen mit den Fachverbänden einzuleiten.

29. Juni 2021

Initiatorinnen

  • Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien (DGfA),

Präsidentin Prof. Dr. Ruth Mayer

  • Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e. V. (VHD)

Vorsitzende Prof. Dr. Eva Schlotheuber

  • Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)

Vorsitzende Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky

Erstunterzeichnende

  • Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft e. V. (DGPuK)
  • Verband Deutscher Kunsthistoriker e. V.

Folgende Verbände haben sich der Erklärung angeschlossen

  • Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM)
  • Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW)
  • Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft e. V. (DVRW)
  • Deutsche Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS)
  • Gesellschaft für Geschichte der Wissenschaften, Medizin und Technik (GWMT)
  • Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie e. V. (DGSKA)
  • Deutsche Gesellschaft für Volkskunde e. V. (dgv)
  • Gesellschaft für Kanada-Studien in deutschsprachigen Ländern e. V. (GKS)
  • Gesellschaft für Anglophone Postkoloniale Studien e. V. (GAPS)
  • Deutscher Anglistenverband e. V.
  • Gesellschaft für Comicforschung e. V. (ComFor)
  • Fachverband Medizingeschichte e. V.
  • Gesellschaft für Hochschulgermanistik im Deutschen Germanistenverband (GfH im DGV)
  • Gesellschaft für Technikgeschichte e. V. (GTG)
  • Mediävistenverband e. V.
  • Gesellschaft für Japanforschung e. V. (GJF)
  • Kulturwissenschaftliche Gesellschaft e. V. (KWG)
  • Fachgesellschaft Geschlechterstudien/Gender Studies Association (Gender e. V.)
  • Doing Science & Technology Studies in and through Germany e. V. (stsing)
  • Gesellschaft für Musikforschung e. V. (GfM)
  • Society for Women in Philosophy Germany e. V. (SWIP)