Me­mo­ran­dum der Ge­sell­schaft für Mu­sik­for­schung zur Ver­sor­gung mit li­zen­sier­ter elek­tro­ni­scher Fach­in­for­ma­ti­on an öf­fent­lich fi­nan­zier­ten For­schungs- und Lehr­in­sti­tu­ti­o­nen

Veröffentlicht: Donnerstag, 09. April 2020 11:57

Das Fach Musikwissenschaft zeichnet sich wie die meisten Kunst- und Kulturwissenschaften durch eine vernetzte und sehr vielfältige institutionelle Landschaft aus, die nicht durch Großforschungseinrichtungen, sondern durch eher kleine Einrichtungen mit unterschiedlichen Trägerschaften und infrastrukturellen Voraussetzungen geprägt ist. Die Musikwissenschaft ist, in dieser Hinsicht vergleichbar mit anderen Disziplinen, überdies deutlich geprägt von einer Interdisziplinarität in der Disziplin und ist deshalb zwingend angewiesen auf einen breiten Zugriff auf Forschungsliteratur aller angrenzenden Fächer. An Universitäten und Hochschulen ist die Versorgung mit Fachinformation (Literatur; bibliographische Auskünfte) Aufgabe der jeweiligen Bibliotheken. Dasselbe gilt dem Grundsatz nach unverändert auch für elektronische Fachinformation (E-Books; E-Journals; E-Medien bzw. Streaming im Bereich Audio und AV; Fachdatenbanken; Online-Lexika usw.), deren Bedeutung für die Forschung wie die Lehre stetig zunimmt. Allerdings zeigt sich gerade in diesem dynamischen Bereich der Lizenzierungen der Zugänge zu elektronischer Fachinformation eine enorme Standortabhängigkeit. Es herrscht bisweilen ein enormes Gefälle zwischen großen Universitätsbibliotheken – auf der einen Seite –, die mit entsprechenden Finanzmitteln, Expertise und Gewicht, auch mithilfe der Bildung von Verbünden und Allianzen, erfolgreich Lizenzen verhandeln und einkaufen können, und – auf der anderen Seite zahlreichen Institutionen, die strukturell an diesem Markt enorm benachteiligt sind. Allerdings sind kleine Einrichtungen bei Lizenzen, die nach Studierendenzahlen berechnet werden, gegenüber Bibliotheken von Volluniversitäten klar im Vorteil (so z. B. MGG online). Darüber hinaus sind kleine Fächer, die durch große Universitätsbibliotheken versorgt werden, durch eine Lizenzauswahl nach Preis pro Zugriff oft benachteiligt. Das Fach Musikwissenschaft ist von solchen strukturellen Ungleichgewichten bei der Literaturversorgung für Wissenschaft und Lehre ganz besonders stark betroffen. (An der DBIS-Liste der Zugänge zu elektronischen Fachdatenbanken zeigen sich die sehr unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten sehr klar.) Voraussetzung für die Nutzung eines umfänglichen elektronischen Angebots sind natürlich zeitgemäße infrastrukturelle Ausstattungen zur Nutzendenidentifikation mit VPN und Shibboleth, die an kleineren Einrichtungen häufig noch fehlen.

In der aktuellen Krisensituation, in der Forschung und Lehre allerorten auf vollständig digitale Arbeits- und Kommunikationsweisen angewiesen sind, tritt diese strukturelle Schieflage mit zusätzlicher Deutlichkeit zutage und erzeugt akuten Handlungsbedarf mit nachhaltiger Wirkung.

Als einen sinnvollen Ansatzpunkt für die rasche und nachhaltige Beseitigung der großen Defizite bei der Versorgung mit der im Fach unabdingbar notwendigen elektronischen Fachinformation nicht nur für den Spitzenbedarf (derzeit Aufgabe des FID), sondern gerade und insbesondere für den Breitenbedarf akademischer musikwissenschaftlicher Lehre und Forschung erachtet die Gesellschaft für Musikforschung neben der konsequenten Förderung von Open-Access-Strukturen (z. B. durch Publikationsfonds) die Bereitstellung von Allianz-Lizenzen, die dann in allen mit musikwissenschaftlicher Lehre und Forschung beauftragten staatlichen Institutionen in gleicher Weise ohne Einschränkung die Teilhabe ermöglichen. Zur Bewältigung der fortdauernden Herausforderungen, zu denen eine massive Intensivierung der Digitalisierung vor allem in der Lehre gehört, bedarf es in der Musikwissenschaft – wie in anderen kunst- und kulturwissenschaftlichen Fächern auch – einer konsortialen, institutionsunabhängigen Bund-Länder-finanzierten Verfügbarhaltung der dringend benötigten Lizenzen (wie beispielsweise die EBSCO-Lizenzen wie RILM Abstracts of Music Literature, RIPM etc.; MGG Online; Oxford Music Online; E-Book-Pakete). Überdies muss auch für kleinere Institutionen, die nicht über gut ausgestattete Universitätsbibliotheken versorgt werden, der interdisziplinäre Zugriff auf die lizenzierten Inhalte benachbarter Disziplinen gewährleistet sein. Dieser – auch forschungspolitisch unterstützten Tendenz – zur interdisziplinären Vernetzung folgen im Übrigen auch die Verlage, wenn sie E-Book-Pakete fachlich mischen, sie damit jedoch für Spezialbibliotheken finanziell schwierig darstellbar werden lassen. Im Gegensatz zu einer ortsgebundenen, ungleich verteilten, dezentralen Beschaffung von Lizenzen (etwa über Opt-in- oder Pay-per-Use-Verfahren) sichert das Modell der Allianz-Lizenzen eine breite und gleiche Informationsversorgung bundes- und länderfinanzierter Forschungs- und Lehrinstitutionen. Überdies wird eine übergreifende konsortiale Lizenzierung auf Bund-Länder-Ebene insgesamt ressourcenschonender sein. Während der Spitzenbedarf bereits durch die FIDs abgedeckt wird, könnte ein aus den FIDs und der NFDI gebildeter konsortialer Verbund auch Träger einer solchen Informationsversorgung werden.

Kassel, April 2020
Prof. Dr. Dörte Schmidt (Präsidentin der GfM)
Prof. Dr. Ulrich Konrad (Vizepräsident der GfM)

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Geschäftsstelle: Gesellschaft für Musikforschung e. V. Frau Pamela Wagener Heinrich-Schütz-Allee 35 D-34131 Kassel E-Mail: G.f.Musikforschung@T-Online.de