Mu­sik­in­stru­men­ten­bau zwi­schen Tra­di­ti­on und In­no­va­ti­on. Work­shops und Vor­trä­ge zwi­schen Pra­xis und Wis­sen­schaft

Markneukirchen, 07.-10.03.2024

Ya’qub Yonas N. El-Khaled, Markneukirchen – 01.08.2024 | Eine Tagung mit internationalen Gästen aus dem Musikinstrumentenbau, der musikalischen Akustik, der historischen Musikwissenschaft, der musikalischen Praxis, der Materialforschung und der Museumsarbeit fand vom 07.-10.03.2024 in Markneukirchen beim Studiengang Musikinstrumentenbau der WHZ – Westsächsischen Hochschule Zwickau statt. Strukturell eingebettet war sie in das Projekt WIR! – iMaTech – SummerSchool für Fachkräfte der Region im Musikinstrumentenbau, zu dessen Vorbereitung die Veranstaltung u. a. diente. Ziel der Tagung war es, den Musikinstrumentenbau aus unterschiedlichsten Perspektiven in den Blick zu nehmen und über Chancen, Herausforderungen, positive und negative Entwicklungen sowie aktuelle Krisen zu diskutieren und nachzudenken. Grundlegende Fragen lieferten hierbei gleichsam die Silhouette, durch die die Präsentationen, Workshops und Diskussionen in ihrer Dringlichkeit noch an Gewicht gewannen: Wie können die teils Jahrhunderte alten Traditionen im 21. Jahrhundert bewahrt und fortgeführt werden? Kann der Musikinstrumentenbau angesichts einer heraufdämmernden klimatischen Katastrophe ökologisch nachhaltiger werden? Wie verändert sich der Musikinstrumentenbau durch neue technologische Möglichkeiten und was lehrt der Blick in die Geschichte?

Nach der offiziellen Begrüßung wurde die Konferenz durch Arnfred Marthinsens (Sarpsborg)Vortrag zur Instrumentenausbildung in den skandinavischen Ländern eröffnet, ehe sich drei Vorträge zum Blasinstrumentenbau anschlossen.

Keith Bowen (Warwick) erörterte in seinem Vortrag das Problem, dass viele historische Bassklarinetten in Museum nicht angespielt werden dürften und somit der Klang dieser Instrumente nicht erfahrbar sei. Zur Lösung dieses Problems präsentierte Bowen ein von spielbaren Klarinetten abgeleitetes und daher verifizierbares akustisches Model, welches sichauf nicht spielbare Instrumente übertragen ließe.

Über Fakten und Mythen der Blechblasinstrumente referierte daraufhin Gregor Widholm (Wien). Er setzte auseinander, welche Teile eines Instruments zum spezifischen Gesamtklang des Instruments beitrügen und beschrieb wie Intonation, Klang und Ansprache eines Instruments durch bautechnische Maßnahmen zu beeinflussen seien. Überdies machte er anschaulich deutlich, dass hörbare und messtechnisch erfassbare Klangparameter wie die Intonation sich aus verschiedensten Anteilen ergeben und nur vermeintlich objektiv zu erfassen seien.  

Einen anderen Aspekt des Metallblasinstrumentenbaus behandelte Susanne Berndorf (Freiberg) in ihrem Vortrag. Sie berichtete über neueste Forschungen zur Herstellung einer zinkfraßfreien Messinglegierung für Blechblasinstrumente, deren Ziel es sei einerseits, die akustischen, optischen und für die Verarbeitung relevanten Eigenschaften der Ausgangslegierung nicht zu verändern und andererseits das Risiko selektiver Entzinkung zu minimieren. 

Die nächsten Vorträge nahmen Zupfinstrumente in den Blick. Zunächst referierte Ya’qub El-Khaled (Markneukirchen) über den historischen Zusammenhang von Spieltechnik und Instrumentenentwicklung. Ausgehend von der These, dass der Wechsel vom Plektrum- zum Fingeranschlag die grundlegendste spieltechnische Veränderung der europäischen Lautengeschichte sei, erläuterte er, welche instrumentenbaulichen Veränderungen das Zupfen der Saiten mit den Fingern nach sich zog. 

Michael Koch (Mainz) stellte in seinem Vortrag den Gitarrenbauwettbewerb der EGTA (European Guitar Teachers Association) vor, den er im Jahr 1990 mitinitiiert hat. Bei diesem Wettbewerb standen bisher kindgerechte Gitarren im Vordergrund. Durch die Austragung des Wettbewerbs seien, wie Koch berichtete, maßstabsgetreue, kinderfreundliche Gitarren heutzutage deutlich verbreiteter als noch vor 30 Jahren.

Der erste Abend der Konferenz wurde durch ein Lecture Recital begangen. Zunächst gab Jürgen Ruck (Würzburg) eine 15-minütige Kostprobe seines virtuosen Gitarrenspiels, ehe er zu den Anforderungen an die moderne Konzertgitarre aus Sicht eines Spielers und Pädagogenreferierte. Hierbei betonte Ruck nicht nur die Subjektivität aller Urteile zu einem Instrument, sondern machte auch auf Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte aufmerksam, die zu Veränderungen des Instrumentenbaus geführt hätten. Den Abschluss dieses Lecture Recitals bildete eine Blind-Anspielprobe, die Ruck und El-Khaled gemeinsam durchführten. Hierbei spielte Ruck insgesamt sieben verschiedene Gitarren, während das Publikum mit abgewandtem Blick Fragebögen zum Klang der Gitarren ausfüllen konnte. 

Parallel zu den Vorträgen des ersten Tages begann bereits der zweitägige Geigen-Lack-Workshop unter Anleitung von Ulrike Dederer (Zürich). In diesem Workshop demonstrierte die Geigenbaumeisterin ihre Technik des Lackauftragens.

Die ersten drei Vorträge des zweiten Konferenztages nahmen primär den Geigenbau in den Blick. Zunächst führte Jason Reitenberger (London) vor, wie man mit einem 3-D Scanner schnell und vergleichsweise mühelos eine Violine einscannen kann. Die so erstellten Scans könnten u. a. bei der Reparatur oder Konservierung von Violinen zum Einsatz kommen.Außerdem könnten die gewonnenen Daten als Basis für Neubau und Rekonstruktionen dienen. 

Zu einem wahren Rundumschlag holte Silke Lichtenberg (Köln/Passau) in ihrem Vortrag zur Nachhaltigkeit im Instrumentenbau aus. Lichtenberg erläuterte, dass viele der mehr als 750 im europäischen Musikinstrumentenbau verwendeten Materialien als gefährdet einzustufen seien und oft aus weit entfernten Weltteilen importiert werden müssten. Bei einigen Materialien seien die natürlichen Vorkommen beinahe oder schon vollständig erschöpft, so dass auch in der Musikinstrumentenbaubranche das ökologische bzw. kultur-ökologische Bewusstsein gestärkt werden müsse. 

Vor diesem breit aufgefächerten Hintergrund wirkten Stephanie Voss’ (Atlanta) Ausführungen zu alternativen Materialien im Geigenbau umso dringlicher. Voss ging der Frage nach, ob Ebenhölzer in Zukunft durch andere Materialien im Geigenbau ersetzt werden könnten und zeigte anhand von Beispielen aus ihrer eigenen Werkstatt, dass bereits heutzutage erfolgreich Alternativen zum Einsatz kommen könnten und von Kunden akzeptiert werden würden.

Die Nachmittagssession des zweiten Tages fand im Musikinstrumenten-Museum Markneukirchen statt. Thematisch zur Örtlichkeit passend, nahmen die beiden folgenden Vorträge den vogtländischen Musikinstrumentenbau in den Blick. Zunächst stellte Enrico Weller (Markneukirchen) das Forschungsprojekt ‚I-Na-Reg‘ (Identität-Namen-Region) vor, in dem sog. Exzellenzvertreter des vogtländischen Musikinstrumentenbaus in den Blick genommen werden. Weller erläuterte, dass die Außenwahrnehmung des vogtländischen Musikinstrumentenbaus durch negative Stereotype (qualitativ minderwertige Massenproduktion etc.) bestimmt sei. Durch die Aufarbeitung und Sichtbarmachung von erfolgreichen Instrumentenbaufirmen sollen im Rahmen des Projekts Bausteine für ein fundierteres Image der Region entstehen. 

In seiner Fallstudie rückte Mario Weller (Markneukirchen) einen Exzellenzvertreter des vogtländischen Instrumentenbaus in den Mittelpunkt: Robert Piering. Diesem sei es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelungen, direkte Kontakte zu Orchestermusikern herzustellen und seine Posaunen ohne Zwischenhändler zu verkaufen. Im Anschluss an die beiden Vorträge konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz einer Schauvorführung des historischen Sägewerks beiwohnen, ehe das Museum besichtigt werden konnte. 

Am Abend des zweiten Tages hielt Ulrike Dederer die erste Keynote der Konferenz zur Juryarbeit internationaler Geigenbauwettbewerbe. Hierbei konnte sie auf ihre eigenen Erfahrungen als Jurymitglied verschiedener Wettbewerbe zurückgreifen und berichteteanschaulich über unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe, die je nach Wettbewerb und Juryzusammensetzung angewendet werden würden. 

Wie bereits am ersten Konferenztag fand parallel zu den Vorträgen ein praktischer Workshop statt. In diesem Workshop stellte Sebastian Stenzel (Emmendingen) Methoden zur klanglichen Optimierung von Konzertgitarren vor, die nach Abschluss des eigentlichen Bauprozesses angewandt werden können.

Der dritte Konferenztag wurde mit zwei musikhistorischen Vorträgen eröffnet. Erich Tremmel (Augsburg/ Weimar) begann seine anregenden Erörterungen mit Beispielen von bautechnisch ‚verbesserten‘ Instrumenten, deren ‚Verbesserungen‘ sich jedoch nicht durchgesetzt haben. Ausgehend von diesen Beispielen stellte Tremmel Ideen zur Systematisierung solcher Modifikationsversuche vor, anhand derer sich bestimmte Tendenzen und möglicherweise sogar Gesetzmäßigkeiten ablesen ließen. 

Klaus Aringer (Graz) reflektierte anschließend über das Wechselverhältnis zwischen Musikinstrumentenbau, instrumentaler Praxis und Komposition. Exemplarisch beleuchtete Aringer hierbei Fälle, bei denen jeweils ein Bereich als Impulsgeber für einen anderen gedient habe bzw. Fälle, bei denen es zu zeitlichen Versetzungen der Entwicklungen in diesen Bereichen gekommen sei. 

Im nachfolgenden Vortrag stellte Luca Jost (Dresden/Markneukirchen) die ersten Ergebnisse seines Dissertationsprojekts vor. Hierfür hat Jost sechs möglichst identische Geigen gebaut, die sich lediglich in einem einzigen Bauparameter unterscheiden. Mithilfe dieser Instrumente plant Jost die Auswirkungen dieses einen Bauparameters auf die akustischen Eigenschaften des Instruments mithilfe von Messungen und Hörtests zu untersuchen. 

Die Nachmittagssession wurde mit einer Gruppendiskussion eröffnet, bei der alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit erhielten, über das Format der laufenden und einer weiteren geplanten Konferenz mit Workshops (Summerschool Musikinstrumentenbau, 02.-15.09.2024) zu diskutieren. Hierbei wurde besonders die positive Mischung der Gäste hervorgehoben, die aus verschiedenen Arbeitsfeldern stammten.  

Im Anschluss an die Diskussion erläuterten Benedikt Brilmayer und Barnes Ziegler (beide Berlin) wie Museen als Orte des Sammelns, Bewahrens und Erforschens mit materiellen Trägern (Musikinstrumenten) eines immateriellen Kulturguts (Musik) umgehen können und welche Probleme hierbei zu lösen sind. 

Eine geografische Weitung bot Stewart Carters (Winston-Salem) Vortrag zum chinesischen Streichinstrumentenbau. Carter berichtete, dass in China strengere Naturschutzregeln den Einsatz bestimmter Materialien schwieriger oder unmöglich machten, so dass auch imdortigen Instrumentenbau alternative Materialien gesucht werden müssten. 

Robert Mores (Hamburg) stellte in seinem Vortrag zunächst ein akustisches Archiv vor, für dass er mehr als 60 Gitarren akustisch vermessen hat. Anschließend präsentierte er ein analytisches Modell, mit dem sich sog. Signaturmorden von Gitarren berechnen lassen. Am darauffolgenden Tag war es in einem ebenfalls von Robert Mores geleiteten Workshopmöglich, das vorgestellte analytische Modell auch praktisch nachzuvollziehen. 

Die zweite Keynote sollte dem Titel nach ‚Einige Gedanken zur Entwicklung von Saiteninstrumenten‘ enthalten, doch bot Sebastian Stenzel (Emmendingen) weit mehr. Er behandelte die Grundfrage, welche Überlebenschancen handwerklich gebaute Instrumente angesichts der Konkurrenz industrieller Betriebe und der sich verändernden Musiklandschaft mit starker Tendenz zur Technisierung überhaupt noch haben. Trotz der düster skizzierten Lage blieb Stenzel optimistisch: Die menschlichen Qualitäten des handwerklichen Instrumentenbaus – er sprach von ‚beseelten Instrumenten‘ – würden auch in Zukunft dessen Existenz sichern.

Den Auftakt des letzten Konferenztages bildeten Iris Verena Barth und Sveinung Søyland Moen (beide Trondheim) mit ihrer Präsentation zur Rolle von Museen bei der Bewahrung von Musikinstrumentenbautraditionen. Sie berichteten über ein neuartiges Konzept, bei dem Instrumentenbauer vom Museum angestellt werden würden und ihr Handwerk in Werkstatträumen des Museums betreiben könnten. Der Instrumentenbau werde somit Teil der Ausstellung.

Ganz praktisch wurde es mit Christoph Schumann (Markneukirchen), der die Grundlagen der Instrumentenfotografie vorstellte. Schumann gab nicht nur Ratschläge zur erforderlichen Grundausstattung, sondern beschrieb auch einfach umzusetzende Fotografie-Set-Ups und die Eigenschaften professioneller Fotografien. 

Den Schlussakkord der Konferenz setzte Franz Ehn (Wien), der sein neu entwickeltes Instrument Aristid vorstellte. Ehn legte dar, welche Konstruktionsprinzipien bei der Entwicklung zur Anwendung gekommen seien, wie das Sounddesign entstanden und der tatsächliche Bauprozess abgelaufen sei. Ein Video mit einer Darbietung auf dem Aristidrundete den Vortrag ab.

Im Laufe der vier sehr intensiven Tage wurde deutlich, wie bereichernd es sein kann, wenn Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen und Tätigkeitsfelder miteinander ins Gespräch kommen. Ebenso deutlich wurde der Mangel an vergleichbaren Formaten, bei denen Vertreterinnen und Vertreter der Musikwissenschaft, des Handwerks, der musikalischen Praxis, der Museumsarbeit und anderer mit Musik zusammenhängender Tätigkeitsfelder miteinander ins Gespräch oder überhaupt in Kontakt kommen können. Auch die Kombination aus Workshops und Vorträgen erwies sich als für weite Teile des Publikums überaus inspirierend. Es wäre daher wünschens- und empfehlenswert, wenn die Veranstaltung Musikinstrumentenbau zwischen Tradition und Innovation. Workshops und Vorträge zwischen Wissenschaft und Praxis mit diesen Konstellationen kein Einzelfall bliebe. Ein Tagungsband mit zahlreichen Beiträgen der Veranstaltung ist bereits in Arbeit.