Wege zu Telemann digital. Das neu entstehende digitale Verzeichnis der Werke Georg Philipp Telemanns im Kontext
Workshop anlässlich der 26. Magdeburger Telemann-Festtage
Magdeburg, 14.-15.03.2024
Von Christoph Kellermann, Halle (Saale) – 28.05.2024 | Im Fokus der zweitägigen Veranstaltung stand der Erfahrungsaustausch von Fachkolleginnen und -kollegen aus den Bereichen Musikwissenschaft und Digital Humanities vor dem Hintergrund des Langzeitprojektes zur Realisierung eines digitalen Verzeichnisses der über 3.700 Werke Georg Philipp Telemanns. Veranstaltet vom Zentrum für Telemann-Pflege und -Forschung der Landeshauptstadt Magdeburg, in Kooperation mit der Internationalen Telemann-Gesellschaft e.V., und konzipiert von Carsten Lange, Berthold Over und Ralph-Jürgen Reipsch, lieferte der Workshop in 15 Impulsvorträgen Erfahrungsberichte zu Musikerdatenbanken, Überlegungen zu deren Aufbau, zur Datenstrukturierung und -pflege, zur Usability sowie zum Crowd Sourcing.
Nach der Begrüßung durch Carsten Lange (Magdeburg) führte dieser in die Genese und den aktuellen Stand des digitalen Telemann-Verzeichnisses ein. Im Anschluss gab Ralph-Jürgen Reipsch (Magdeburg) einen Einblick in die seit den 1990er Jahren im Telemann-Zentrum entstandene digitale Materialsammlung sowie deren Nutzen als Grundlage einer Datenbank der Werke Telemanns. Zudem stellte er Strategien zur Vorgehensweise bei der weiteren Datenerfassung und -bereitstellung zur Diskussion. Berthold Over (Magdeburg) schloss diese erste Sektion mit Ausführungen zur Konzeption, Realisierung und Weiterentwicklung des Online-Verzeichnisses mit der bestehenden Datenbanklösung (MerMEId) des an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz angesiedelten Centre for Digital Music Documentation (CDMD).
Die zweite Sektion war den Voraussetzungen und Bedingungen für ein digitales Telemann-Werkverzeichnis gewidmet. Wolfgang Hirschmann (Halle/Saale) referierte zur Frage „Wann ist ein Werk ein Werk?“ und verdeutlichte durch Überlegungen zu Werken, Versionen, Fassungen und Bearbeitungen bei Telemann die Zuweisungsproblematik in Bezug auf das veraltete Vokalwerke-Verzeichnis Werner Menkes (TVWV) sowie die Relevanz eines Telemann-Repertoriums als dessen revidierte Fassung. Daran anknüpfend verwies Steven Zohn (Philadelphia) auf das ebenfalls nicht mehr aktuelle Telemann-Werkverzeichnis Martin Ruhnkes (TWV) und führte dies anhand der Frage „Do we need a Telemann Repertorium for the instrumental works?“ aus, was eine intensive Diskussion zum Nutzen eines Telemann-Repertoriums der Instrumentalwerke nach sich zog. Im Anschluss führte Jürgen Neubacher (Hamburg) seine Überlegungen zu Quellenbeschreibungen im digitalen Telemann-Werkverzeichnis aus, wobei er die Problematik zwischen wissenschaftlichem Ideal und, mit Blick auf das Werkkorpus, erforderlichem Pragmatismus in Bezug auf die technische Umsetzbarkeit innerhalb der Datenbank bei gleichzeitigem Erhalt der Übersichtlichkeit fokussierte. In der folgenden Diskussionsrunde wurde die Möglichkeit einer Kooperation mit RISM als ein Lösungsansatz thematisiert: Ausführliche in RISM angelegte Quellenbeschreibungen können mit dem digitalen Werkverzeichnis verlinkt werden, wobei diese Möglichkeit später ausführlicher diskutiert wurde. Zum Abschluss legte Berthold Over in seinem Vortrag zu „Instrumentation und Alternativbesetzungen, ad lib., colla parte – nur ein technisches Problem?“ die unterschiedlichen Ansprüche von Wissenschaft und Praxis an die Suchfunktion nach bestimmten Besetzungen von Werken innerhalb der Datenbank und die entsprechenden speziellen Anforderungen an eine solche dar. Der Austausch mit den Anwesenden zeigte nicht nur Möglichkeiten der technischen Umsetzbarkeit spezieller Instrumentierungen in Kompositionen des 18. Jahrhunderts auf, sondern wies ebenso auf die Notwendigkeit zur Kennzeichnung verschiedener Besetzungsangaben zu einem Werk als Ausführungsvorschlag hin.
In der dritten Sektion standen verschiedene Datenbanken im Fokus. Peter Stadler (Paderborn) lieferte einen Einblick in die Geschichte, die technischen Hintergründe und den aktuellen Stand der „MerMEId 2.0,“ wobei das Hauptaugenmerk auf den Vorteilen für Musikerdatenbanken, z. B. der Möglichkeit zur Abbildung sämtlicher Notationsmerkmale, lag. Kristina Richts-Matthaei (Mainz) knüpfte mit ihren Ausführungen zu „MerMEIding to the future. Weiterentwicklung und Ausblick“ an den Vorredner an und hob besonders die Weiterentwicklung bestehender Datenbanktools sowie die Erzeugung nachnutzbarer und anschlussfähiger Forschungsdaten im Sinne der Nachhaltigkeit hervor. Vor allem die Ideen zur Integration bestehender digitaler Verzeichnisse sowie zum Einbezug zahlreicher Institutionen und Projekte regten eine intensive Diskussion zur Überführbarkeit von Daten aus existierenden Musiker- bzw. Literaturdatenbanken an. Anschließend stellte Christiane Hausmann (Leipzig) die Forschungsplattform „Bach digital“ als stetiges „work in progress“ vor, ging dabei u. a. auf die technischen Hintergründe einer nicht-MerMEId-basierten Datenbank sowie die damit verbundenen Probleme bei der Vernetzung von Werk-, Quellen- und Personendatensätzen ein und stellte die Vorteile eines digitalen Werkverzeichnisses anhand des bestehenden Verzeichnisses der Werke J. S. Bachs dar. Wolfram Enßlin (Leipzig) lieferte danach einen Erfahrungsbericht zum Verzeichnis der Instrumentalwerke Carl Philipp Emanuel Bachs, bei dem die Notwendigkeit einer digitalen Datenbanklösung daraus resultierte, dass ein gedrucktes Verzeichnis die Finanzierung deutlich übersteigen würde. In der anknüpfenden Gesprächsrunde wurden Möglichkeiten und Grenzen der Publikation aus MerMEId sowie der Ausgabe von PDF-Dateien aus der Datenbank diskutiert. Die Sektion schloss mit dem Referat von Angela Romagnoli (Cremona) über „Konzeptionelle Überlegungen zu einem Verzeichnis der Werke Alessandro Scarlattis,“ worin die Ausgangslage, die Notwendigkeit, die aktuell auftretenden Hürden sowie die Angliederung einer (digitalen) Gesamtausgabe der Werke des Komponisten als neues Projekt dargelegt wurden. Der anschließende Austausch lieferte zahlreiche Hinweise und Ideen zu Konzeption und Realisierung des Vorhabens.
Die Beiträge der letzten Sektion setzten einen Schwerpunkt auf datenbankspezifische Prozesse und Vorgehensweisen. Katrin Bicher (Dresden) berichtete aus der Arbeit am Liszt-Quellen- und Werkverzeichnis und der Frage der primären Quellenerfassung in RISM oder MerMEId. Besonders die Möglichkeiten und Grenzen zur Integration von Daten aus RISM in MerMEId bildeten Schwerpunkt des Vortrags und der anschließenden Diskussion. Viele dabei aufgeworfene Fragen beantwortete Martina Falletta (Frankfurt am Main) mit den Ausführungen zum Thema „Aktuell oder veraltet – Datenpflege der Musikquellen bei RISM,“ wobei deutlich wurde, dass RISM als internationales Quellenlexikon der Musik keinem Werkverzeichnis gerecht werden kann, jedoch eine deutliche Unterstützung, etwa umfangreiche Quellenbeschreibungen, für die digitalen Werkverzeichnisse bereithält. Zusätzlich betonte Falletta, dass der Einbezug verschiedener Institutionen und des wissenschaftlichen Nachwuchses essenziell für die Datenpflege in RISM bleibt, um den großen Quellenbestand korrekt zu erfassen. Zum Abschluss stellte Christoph Volkmar (Magdeburg) in seinem Referat zu „Crowd Sourcing als Methode im virtuellen Archiv www.magdeburger-spuren.de“ das digitale Projekt „Magdeburger Spuren“ vor, das mit den modernen Möglichkeiten der Digital Humanities die facettenreiche Stadtgeschichte zu rekonstruieren versucht und als Mitmachprojekt auf die breite Öffentlichkeit sowie den wissenschaftlichen Nachwuchs setzt – ein Ansatz, der u. U. auch für das Telemann-Projekt verfolgt werden kann. Hieran schloss ein Erfahrungsaustausch zur Nutzung künstlicher Intelligenz bei der Transkription historischer Handschriften und den Möglichkeiten zum Einsatz bei Musikhandschriften an.
Insgesamt bildete der Workshop nicht nur einen geeigneten Raum zur Diskussion der Anforderungen an Werkverzeichnisse, insbesondere für Komponisten des 18. Jahrhunderts, sondern generierte auch die Idee eines regelmäßigen Erfahrungsaustauschs der verschiedenen Datenbankprojekte über technische, methodische und strategische Fragen. Die Beiträge lieferten zudem wertvolle Ansätze für das Projekt „Telemann digital“, aus denen weitere Schritte auf dem Weg zum digitalen Verzeichnis abgeleitet werden können.