Marienfrömmigkeit am Hof Maximilians I.
Interdisziplinärer Workshop
Wien, 23.05.2023
Raphaela Beroun – 10.11.2023 | Der geradezu ausufernde Lobpreis Mariens scheint beinahe ein selbstverständlicher Bestandteil der spätmittelalterlichen Frömmigkeit zu sein. Auch im Umfeld Maximilians I. erweist sich die Marienfrömmigkeit als wiederkehrendes Phänomen, das sich in unterschiedlichen Medien mit Verbindung zum Hof ausmachen lässt. Aufgrund dieser Omnipräsenz drohen die Signifikanz des steten Marienbezugs sowie die Spielarten und Funktionen dieser Frömmigkeitsauslebung keiner differenzierten Betrachtung unterzogen zu werden. Auf dieses Phänomen doch einmal im Detail einzugehen, war daher das Ziel des von Raphaela Beroun (Universität Wien), Birgit Lodes (Universität Wien) und Andreas Zajic (ÖAW) organisierten interdisziplinären Workshops „Marienfrömmigkeit am Hof Maximilians I.“. Die Marienfrömmigkeit Maximilians und seines Umfelds wurde in diesem Rahmen auf unterschiedlichsten Ebenen – ob nun politisch, religiös oder persönlich in Text, Bild und Musik – beleuchtet und zur Diskussion gestellt. Im Mittelpunkt des Workshops standen dabei kollektive marianische Frömmigkeitspraktiken – Beten, Singen, Messe feiern und hören, aber auch Dichten und Komponieren.
Als Kooperation zwischen dem Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und dem Sonderforschungsbereich „Managing Maximilian“ (ManMAX) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wurde der Workshop in dem von der ÖAW genutzten historischen Gebäude der Österreichischen Postsparkasse in Wien organisiert.
In der Begrüßung stellte Andreas Zajic, der Projektkoordinator des erst kürzlich angelaufenen SFB ManMAX, die acht wissenschaftlichen Teilprojekte vor. In einem Zeitraum von insgesamt acht Jahren hat sich das interdisziplinär aufgestellte Team eine umfassende prosopographische Analyse der Herrschaft Maximilians zum Ziel gemacht. Ein Forschungsergebnis soll hierbei eine offen zugängliche digitale Datensammlung zu ca. 200 000 Personen sein, womit der SFB die Untersuchung der Herrschaft und Politik Maximilians als Ergebnis von Netzwerken und deren Funktionen in den Mittelpunkt stellt. Von kollaborativen Entstehungen der Ruhmes-, Ehren- und Gedächtniswerke Maximilians schlug Zajic die Verbindung zur kollektiven Praxis der Marienverehrung. Mit dem Appell, eingefahrene Denkschemata in Frage zu stellen (wie den Widerspruch sowohl Humanist als auch Marienverehrer zu sein), eröffnete Zajic die Reihe von Beiträgen.
Raphaela Beroun (Universität Wien, Institut für Musikwissenschaft) stellte in ihrem Beitrag einen Teilbereich aus ihrer entstehenden Dissertation (Machtsicherung, Seelenheil und Memoria als Movens marianischer Musikproduktion am Hof Maximilians I.) vor, in der sie die musikbezogene Marienfrömmigkeit am Hof Maximilians in ihren Ausprägungen und Funktionen nachvollzieht. Dabei konzentrierte sich Beroun auf die Gemeinschaftsbildung durch die Anbetung der „Mater dolorosa“. Mit der Gründung der Bruderschaft der Sieben Schmerzen Mariens verfolgten die Habsburger nach dem Burgundischen Erbfolgekrieg die Strategie, politische Zugehörigkeit durch eine aktive Frömmigkeitsgemeinschaft zu schaffen. Beroun verwies auf die eigens hierfür geschaffene Liturgie der Habsburger, die den gemeinschaftlichen Geist befördern sollte und wandte sich dem musikalischen Repertoire des damit assoziierten Chorbuchs B-Br Ms. 215–216 zu. Als besonders anschauliche Beispiele griff sie die Motette „Memorare Mater Christi“ von Matthäus Pipelare und die Missa de septem doloribus von Pierre de la Rue heraus. La Rues Missa de septem doloribus beleuchtete Beroun unter dem Gesichtspunkt der Eucharistie und Elevation. Zu diesem Zeitpunkt in der Messfeier scheint sich die Distanz zu Gott zu verringern; Christus wird durch die Transsubstantiation präsent. Dadurch sei es an dieser Stelle besonders effektiv, Maria anzurufen, um deren Gnade zu aktivieren. La Rue verarbeitete wohl aus diesem Grund im zweiten Osanna der Messe die musikalische Bitte an die Gottesmutter („O mater Dei, memento mei“).
In seiner Respondenz unterstrich David J. Rothenberg (Case Western Reserve University), die von Beroun herausgestellte Bedeutung der Marienverehrung für Maria von Burgund und die Valois und skizzierte, wie sich diese Frömmigkeitspolitik auf Maximilians schwierige Herrschaft nach ihrem Tod auswirkte. Rothenberg verwies jedoch auf die Schwierigkeit der Abgrenzung hinsichtlich des Begriffs der „höfischen Gesellschaft“ Maximilians, dessen Grenzen zwar weit, aber dennoch klar gezogen werden sollten.
Stephan Müller und Dennis Wegener (Universität Wien, Institut für Germanistik) stellten als Beispiel für kollektive Frömmigkeitspraktiken, vor allem aber für Maximilians strategisches Networking, das 1520 in Augsburg gedruckte Gebetbuch Gilgengart vor. Unter den zahlreichen Gedächtniswerken Maximilians blieb das Gebetbuch, dessen Titel die Lilien (Gilgen) im Garten mit den Gebeten des Buches vergleicht, in der Forschung bislang eher unbeachtet. Die hierbei mitschwingenden marianischen Symbole der Lilie und des verschlossenen Gartens („Hortus conclusus“) nahmen Wegener und Müller zum Anlass, ihre aktuellen Forschungsergebnisse zu jenem Gebetbuch zu präsentieren. Im Zuge der Untersuchung der Drucktypen (Theuerdank-, Gilgengart- und Gebetbuch-Type) sowie der Entstehungshintergründe des Buchs im Zusammenspiel zwischen Johann Schönsperger, Konrad Peutinger und Maximilian wiesen Wegener und Müller auf ein ursprünglich angedachtes Wappen der Dorothea von Sernstein hin, der Frau von Maximilians Kanzler Cyprian von Sernstein. Daraus folge die Annahme, dass sich der Gilgengart an die weiblichen Akteurinnen des maximilianischen Netzwerkes richtete – parallel zum Theuerdank, welcher vor allem eine männliche Elite adressieren sollte. Zuletzt unterstrichen die Vortragenden die fehlende Rolle Marias nicht nur im Gilgengart, sondern generell in Maximilians Gedächtniswerken – mit Ausnahme des Weißkunig.
Der Titel des Vortrags „Maria kann man sich an den Hut stecken“ von Heidrun Lange-Krach (Goethe-Universität Frankfurt, Kunstgeschichtliches Institut) verwies bereits auf ihre provokante These, die Jungfrau Maria habe für Maximilian eine weniger relevante Rolle gespielt. Lange-Krach begab sich auf die Suche nach Bildzeugnissen, die Maximilian und die Jungfrau Maria darstellen. Anhand der Stifter*innen und des jeweiligen Stiftungszeitpunkts versuchte Lange-Krach, die Bedeutung der Marienfrömmigkeit für Maximilian kunstgeschichtlich einzustufen und kam dabei zu dem Schluss, dass Verbindungen zu Maria vor allem in posthumen Zeugnissen zu finden seien. Ihrem Argument zufolge bemühten sich diese insbesondere darum, Maximilian nun als Vertreter der alten Kirche darzustellen.
Während sowohl Wegener und Müller als auch Lange-Krach die fehlende Rolle Marias in „Maximilian-Werken“ betonten, verwies Birgit Lodes (Universität Wien, Institut für Musikwissenschaft) auf mehrere marianische Kompositionen am Hof Maximilians mit u. a. politischen Funktionen: die Krönungsmesse Salve diva parens im „Maximilians-Codex“ (A-Wn Mus.Hs. 15495), die Motetten Summa laudis o Maria und Sub tuum praesidium aus dem Antwerpener Druck Lofzangen ter ere van Keizer Maximiliaan (1515), Jakob Obrechts Missa Maria zart sowie dessen Missa Sub tuum praesidium. Letztere wurde, wie Lodes anhand einer Neuinterpretation eines Zahlungsbeleges an Obrecht 1503 nachweisen konnte, zu den Osterfeierlichkeiten 1503 in der Gnadenkapelle „Unserer Lieben Frau von Halle“ – Teil der Kirche St. Martin in Halle (Belgien) – aufgeführt. Mit der Missa Maria zart nahm Lodes eine weitere „marianische Maximiliansmesse“ in den Fokus, deren repräsentative Länge von etwa 70 Minuten sie hervorhob. Das Singen, Lesen oder Betrachten des Liedes „Maria zart“ sollte von der „Malafrantzos“ (Syphilis) heilen und war auch mit einem Ablass verbunden. Beides wird zur Bedeutung des Liedes für Maximilian und seinen Kreis beigetragen haben, so dass es in mehrfacher Vertonung in Quellen des maximilianischen Hofes erhalten ist. Obrechts Missa Maria zart müsse vor diesem Hintergrund sowie aufgrund ihrer Länge und kompositorischer Merkmale als repräsentativer Bestandteil des maximilianischen Musikrepertoires betrachtet werden.
Auch Jeremy Llewellyn (Universität Wien, Institut für Musikwissenschaft) griff in seinem Beitrag marianisches Repertoire aus dem Maximilian-Umfeld auf: die marianischen Sequenzen Heinrich Isaacs aus dem Choralis Constantinus. Dabei konzentrierte er sich auf (kompositorische) Techniken, die in unterschiedlichen Kontexten verschieden eingesetzt werden und folglich in ihrer Bedeutung variieren können. Llewellyn verwies auf von Isaac kompositorisch umgesetzte Textausdeutungen der Sequenzen, u. a. durch Kolorierungen, welche auch optisch im Notentext sichtbar werden („Augenmusik“) – und als „embodiment of Marian devotion“ gelten können.
Anders als die von Lodes besprochene Missa Maria zart, welche Maria preist, ohne dabei jedoch damals kontrovers diskutierte Themen wie die unbefleckte Empfängnis zu verhandeln, machte Elisabeth Klecker (Universität Wien, Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein) eben jene immaculata conceptio zum Gegenstand ihres Beitrags. Klecker widmete sich humanistischen Netzwerken im Umfeld Maximilians und untersuchte die Art der Selbstdarstellung von Humanisten, wie sie sich im Verhältnis zum Hof Maximilians positionieren und welche literarischen Techniken sie dazu nutzen. Mit dem Fokus auf lateinische Texte zur Marienverehrung stellte Klecker Jakob Spiegels Kommentar zum Staurostichon des Gianfrancesco Pico della Mirandola vor, welches Maximilian gewidmet ist. Eine solche kommentierende Edition erwies sich als sehr offene Textsorte, die den Verfassern Spielraum zur Darstellung von Eigeninteressen ließ. Die einleitende Inspirationsbitte, die sowohl an Christus als auch an die „allerheiligste Jungfrau“ gerichtet ist, gab Spiegel Anlass, die Heiligkeit Marias weiter auszuführen. Dabei träte nach Klecker seine Sympathie für die Position im großen Streit rund um die immaculata conceptio deutlich hervor. Das könnte wiederum auf einen Rückgriff auf die Netzwerke um Maximilian verweisen, die für die eigenen Belange instrumentalisiert wurden: Spiegels Ziel, so Klecker, sei es gewesen, damit seinen Onkel, Jakob Wimpfeling zu unterstützen, der in dieser theologischen Diskussion dieselbe Position vertrat, und ihn damit in die Nähe Maximilians zu rücken.
Mit den Vorträgen von Grantley McDonald (Universität Wien, Institut für Musikwissenschaft) und David Merlin (Wien) wurde der Schwerpunkt auf die Liturgie gelenkt. Während Merlin einen kurzen Überblick über die Formulare für die Marienfeste in den Diözesen Augsburg und Konstanz sowie in der Kirchenprovinz Salzburg gab, lenkte McDonald den Blick auf die Heiligenverehrung von Maximilians Vater, Friedrich III. Neben der Vielzahl an Mariengebeten, die sich in eigens für Friedrich zusammengestellten Gebetbüchern finden, betonte McDonald die Auswahl der Heiligen in Kalendern der Gebetbücher. Die unterschiedlichen, stark lokal ausgeprägten Heiligentraditionen, die in Friedrichs Gebetbüchern aufeinandertreffen und teilweise von Friedrich selbst eingetragen wurden, zeigen, so McDonald, dass Maximilians Vater offensichtlich auch auf Reisen Heilige „sammelte“ und in seine Gebetbücher aufnahm.
Der Workshop erwies sich damit als offene Plattform, auf der es möglich war, markante Fallbeispiele aus den Bereichen Musik, Bildender Kunst, Literatur und Liturgie zu diskutieren. Wie skizziert, wurden verschiedenste Akteur*innen, Medien und Werke vorgestellt und aus der Perspektive der verschiedenen Fachdisziplinen lebhaft erörtert. Dabei sorgte die Rolle der Marienfrömmigkeit für Maximilian und/oder seinen Hof, die in den Medien der jeweiligen Disziplinen als unterschiedlich stark wahrgenommen wurde, auch noch im gemütlichen Ausklang des Workshops für regen Diskussionsbedarf.