Maximilian I. (1459–1519) und Musik. Reale Präsenz vs. virtuelle Kommunikation
Hannover, 12.-14.06.2019
Von Margret Scharrer Bern/Saarbrücken – 23.07.2019 | Das diesjährige Troja-Kolloquium für Renaissancemusik widmete sich aus aktuellem Anlass seines 500jährigen Todesjahres Kaiser Maximilian I. Im Fokus der interdisziplinären und internationalen Tagung stand insbesondere das Zusammenspiel von Kommunikation und Musik, das von Referenten und Diskutanten aus Musikwissenschaft, Kunstgeschichte, Geschichte, Literatur- und Buchwissenschaft diskutiert wurde. Besonders wurde dabei auf Rudolph Schlögls Kommunikations-Ansatz rekurriert, den der Konstanzer Historiker in seiner Monographie Anwesende und Abwesende. Grundriss für eine Gesellschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit (Konstanz 2014) formuliert.
In ihrer Einführung »Maximilian: Homo musico-politicus« zeigte Tagungsorganisatorin Nicole Schwindt (Trossingen) Formen unterschiedlicher Herrschaftsinstrumentalisierungen und -praktiken Maximilians auf, thematisierte im Zusammenhang mit der großen Reiseaktivität des Kaisers Fragen der direkten und indirekten Kommunikation, deren Erscheinungsformen und Probleme in diversen Medien von Administration, ritualer, künstlerischer und musikalischer Praxis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Sie stellte Maximilian als innovativen Herrscher dar, der traditionelle Verfahren mit neuen Errungenschaften seiner Zeit verband und sich zunutze machte. Der Musik maß sie eine wichtige »Scharnierfunktion« in der kaiserlichen Identitätskonstruktion bei.
Der erste große Komplex der Tagung rückte unterschiedliche höfische »Funktionen« in den Mittelpunkt. Michail A. Bojcov (Moskau) eröffnete diesen mit »Die Kanzleiharmonie König Maximilians«. Fragen der Organisation wie Reorganisation der kaiserlichen Kanzlei standen im Mittelpunkt. Diskutiert wurden Anspruch und Funktion, Wege und Formen der Schriftlichkeit des Beamtenapparates. Dabei zeigte Bojcov auf, dass die formulierten Ideale für dieses Organ eher einer Utopie glichen, Anspruch und Wirklichkeit stark differierten. David Fiala (Tours) befasste sich mit »Maximilian and the musical institutions of the Burgundian court: before 1492/96 and after«. Im Zentrum standen hier die verschiedenen musikalischen Institutionen des burgundischen Hofes, vor allem aber die Kapelle und deren Rezeption im maximilianischen Kontext. Fiala rekonstruierte auf quellentechnischer Basis die personelle Zusammensetzung der Kapelle Maximilians in unterschiedlichen Stadien, thematisierte den personellen Austausch zwischen den höfischen Kapellen. Grantley McDonalds (Wien) Vortrag widmete sich dem Thema »Maximilians Kapellmitglieder als Pfründner«. Im Mittelpunkt stand die Versorgung der Sänger mit kirchlichen Benefizien und deren Vergabepraxis, die nicht nur für Maximilian ein wichtiges Mittel zur Finanzierung seiner Kapelle darstellte und entsprechende Netzwerke verlangte. Problematisiert wurde, dass diese Praxis nicht reibungslos funktionierte und vor allem Phasen des Regierungswechsels für die Kapellmitglieder zu »Versorgungsengpässen« führten. Einer ganz anderen Frage ging Markus Debertol (Innsbruck) nach: »Barbara von Wolkenstein. Einfluss und Netzwerke einer Hofdame«. Anhand der teils weitverzweigten innerhöfischen brieflichen Kommunikation Barbaras versuchte er aufzuzeigen, inwiefern sie ihre Netzwerke einsetzte, um eigene Interessen durchzusetzen. Als problematisch erwies sich dabei, dass konkrete schriftliche Hinweise eigentlich nicht existieren. David Burn (Leuven) richtete zum Abschluss der Sektion den Blick auf das Stiftungswesen Maximilians und die damit verbundenen musikalischen Aufgaben, die zumeist in Form von polyphonen Messen greifbar werden. Konkretes musikalisches Repertoire kann bezüglich der Stiftungen kaum benannt werden, allerdings lassen sich etwa im Fall der Stiftung von Hall i. T. Verbindungen zu Paul Hofheimer ziehen.
Den traditionellen Abendvortrag hielt der Historiker Jan-Friedrich Missfelder (Basel) über »Hör-Wissen 1500. Zur kommunikativen Kultur des Hörens in der Vormoderne«. Anhand Sebastian Brants Das Narrenschiff und dessen Additamentum Sultiferae naves von Jodocus Badius (Ascensius) arbeitete Missfelder unterschiedliche Arten der Kommunikation des Hörens in verschiedenen akustischen und sozialen Räumen heraus, demonstrierte, dass es sich beim Hören um eine »heikle soziale Praxis« handelt, und unterstrich die Macht der Stimme in der Gesellschaft.
Den zweiten Tagungskomplex »Zwischen realer und imaginierter Interaktion« eröffnete Elisabeth Giselbrecht (London) mit »Maximilian, Ludus Dianae, Musik und symbolische Repräsentation im neulateinischen Drama«. Sie thematisiert die repräsentative Funktion, zeigte italienische und deutsche Traditionen auf, die sich in den musikalischen Bestandteilen des Drucks von 1501 finden lassen, und schlug ein Verständnis des Ludus als »Lehrwerk« vor. Martin Schubert (Duisburg-Essen) widmete sich »Literaten am Hof. Maximilians Literaturpflege als Gemeinschaftsprojekt«. Ins Zentrum gerückt wurden die Entstehung von Gemeinschaftswerken wie Triumphzug, Weisskunig (u.a.), mit deren Umsetzung und Recherche verschiedenste Personen beauftragt waren. Die zentrale Frage ging dem Problem der Realisierung dieser Großprojekte nach, die oft nicht zum Abschluss gebracht werden konnten, was Schubert u.a. auf die maximilianischen Kommunikationsbedingungen zurückführt. Gisela Naegle (Gießen) betrachtete anschließend den Briefwechsel Maximilians I. mit Margarete von Österreich als »Kommunikation unter Abwesenden« und problematisierte die historischen Voraussetzungen des Schriftwechsels auf unterschiedlichen Ebenen. Sie zeigte u.a. auf, dass es verschiedentlich zu Missverständnissen zwischen den Korrespondenzpartnern kam, die der besonderen kommunikativen Situation geschuldet waren, aber einvernehmlich gelöst werden konnten. Helen Coffey (London) fragte wiederum nach den musikalischen und diplomatischen Verwicklungen während der Regierung Maximilians I. Dazu wertete sie Rechnungen aus und richtete den Blick auf die Mobilität der Musiker, die Maximilian auf seinen zahlreichen Reisen hörte oder die er immer wieder an bestimmte Orte beorderte. Wolfgang Fuhrmann (Leipzig) unternahm den Versuch, weiteres Licht ins Dunkel um Jacobus Barbireau zu bringen. Barbireau, der nie direkt am Hof diente, trat als Diplomat hervor und schuf herausragende Kompositionen. Fuhrmann stellte die These auf, dass es sich bei ihm um einen »Hofkomponist in absentia« ohne »Residenzpflicht« gehandelt haben dürfte. Matthias Müller (Mainz) führte in seinem Vortrag aus, dass die bildlichen Darstellungen Maximilians im Gegensatz zu seiner »volkstümlichen Nähe« den Entwurf eines Herrscherbildes (zu seinen Lebzeiten) propagierte, das sich dem Betrachter nicht ohne weiteres erschließen sollte. Damit bezweckte der Kaiser die Vermittlung eines Selbstbildes, das »unfassbare Größe«, Gelehrsamkeit, ja Überwältigung transportieren sollte. Den Abschluss der Sektion bildeten die Ausführungen von Melanie Wald-Fuhrmann (Frankfurt a.M.), die der Frage nachging, weshalb sich Maximilian am Innsbrucker Goldenen Dachl mit Moriskentänzern abbilden ließ. Dabei führte sie aus, dass die Situation einer Darbietung eines Moriskentanzes der Form eines Preistanzes nachempfunden ist, wie sie am Hof Maximilians stattgefunden haben könnte. Die Darstellung fungiere somit als Aushängeschild »höfischer Festkultur«. Die in Stein verewigten Figuren führten mit den Abbildern Maximilians zudem das Bild eines stets »Anwesenden« vor Augen.
Höhepunkt des Abends bildete das Konzert »Musik für Maximilian«, das in der Neustädter Hof- und Stadtkirche vom Vokalensemble des Instituts für Alte Musik der Musikhochschule Trossingen und Jan Van Elsacker unter der Leitung des Cembalisten Alfred Gross eindrucksvoll bestritten wurde.
Im Zentrum der dritten Sektion standen »Mediale Distanz und musikalische Nähe«. Stefan Gasch (Wien) eröffnete diese mit »Bayerische Rauten und österreichischer Bindenschild: Das Chorbuch D-W Cod. Guelf. A Aug. 2° als Beispiel imperialen Kulturtransfers«. Dabei fragte er nach Präsentationsanlass und Gründen für die Repertoireauswahl. Aufgrund der zahlreichen Miniaturen interpretierte er das Chorbuch als Zeugnis der Loyalitätspraxis der Häuser Habsburg und Wittelsbach. Anhand des Zusammenspiels von Bildschmuck und Musik zeigte Gasch, dass die Prachthandschrift im Zusammenhang mit der Wahl Karls V. zum römisch-deutschen König gesehen werden muss. Felix Diergarten (Freiburg) befasste sich mit Simon de Quercus und dessen Opusculum Musices. Er zeigte auf, wie problematisch es nach wie vor ist, Quercus biographisch einzuordnen. Sogar die Beziehungen zum Mailänder Hof stünden letztendlich »auf wackligen Füßen«. Sein Opusculum spräche jedoch eine deutliche Sprache, einige Fragen seien aber von der Forschung nicht diskutiert worden: das erstmals greifbare parallel existierende »tenor- und bassbasierte« kompositorische Denken, das sich in Akkordtabelle (mit Bassbezifferung!) und Kompositionsregeln abzeichnet, Ausführungen zu Notenzeichen und die Tabelle zur Stimmung von Tasteninstrumenten. Kateryna Schöning (Wien) richtete ihren Blick anschließend auf »Verschriftlichung von Lautenmusik im Reich zur Zeit Maximilians I.«. Im Zentrum ihrer Ausführungen standen Quellen zur Lautenmusik (1500 bis in die 1540er Jahre) in Bezug zu Stammbüchern und deren Lesart als soziale Praxis des Musizierens. Schöning unternahm dabei den Versuch, Lautentabulaturen als Medien gelehrter »Erinnerungs- und Unterhaltungskultur« zu lesen, die wesentlich von den Libri amicorum geprägt wurden.
Saskia Limbach (Mainz) untersuchte wiederum Einblattdrucke und politische Kommunikation als Mittel maximilianischer Amtsausübung. Sie frage danach, wie Einblätter produziert wurden, an wen sie sich richteten und wann Rezipienten Maximilians Drucke erhielten. »Lofzangen – Herrscherlob zwischen Ephemeralität und Reproduzierbarkeit« lautete der Titel von Moritz Kelbers (Bern) Vortrag. Er näherte sich dem Druck dieses Chorbuchs, das 1515 anlässlich der Ernennung des späteren Kaisers Karl zum Herzog von Burgund entstand, mit einem mediengeschichtlichen Ansatz, erläuterte dessen Status zwischen ephemerer Anlassgebundenheit und Verewigung als drucktechnisches »Ereignis«. Fabian Kolb (Mainz) rückte Sebastian Virdungs Musica getutscht ins Zentrum der Betrachtung, stellte diese in den Kontext weiterer musikalischer Druckerzeugnisse wie Maximilians großen Prestige- und Repräsentationsprojekten. Leitende Fragen bildeten für ihn die Beziehungen Virdungs zum höfischen wie geistlich-religiösen Umfeld, Frömmigkeitspraktiken der Marienverehrung, sprachliche und wissenstechnische Horizonte sowie Druck und bildliche Darstellungen. Den letzten Vortrag der Tagung hielt Birgit Lodes (Wien): »Obrecht, Maximilian und die Erfindung des Musikdrucks nördlich der Alpen«. Im Zentrum ihrer Ausführungen standen drei der vier gedruckten Obrecht-Messen, die der Basler Drucker Gregor Mewes wohl im Sommer 1507 herausbrachte und die ihren Ausführungen zufolge sehr wahrscheinlich auf dem Konstanzer Reichstag in Umlauf gebracht wurden.