Ka-Ching! Der Klang des Geldes – Ökonomische, soziale und ästhetische Aspekte von Geld und Musik
Kiel, 07.-10.11.2019
Von Paul McCall-Labelle, Hamburg, und Celina Rausch, Kiel – 01.04.2020 | Das diesjährige, mittlerweile 32. Symposium des Dachverbandes der Studierenden der Musikwissenschaft (DVSM) tagte zum ersten Mal in Kiel. Das interdisziplinäre, breit angelegte Thema wurde von Studierenden mehrerer Länder und aus unterschiedlichen Disziplinen und Studienphasen lebhaft diskutiert und ermöglichte eine große Vielfalt an Beiträgen – von Corelli bis Kanye West; von Auroville bis Kolumbien; vom Catch bis zum Vaporwave.
Das erste Panel, „Ökonomische Strukturen in Musik und Kultur“, begann mit dem Gastvortrag von Boris Voigt (Berlin). Er beschrieb die Überschneidung ökonomischer und musikalischer Denkweisen und argumentierte, dass die Beziehung zwischen Musik und Ökonomie nicht einfach als Einfluss der Ökonomie auf der Musik verstanden werden kann. Vielmehr fänden „musikästhetische Denkweisen auch in das ökonomische Denken Eingang“. Isabel Gebhardt und Sindram Volkmer (Leipzig) boten einen Einblick in die Anfänge einer systematischen Untersuchung der Beziehungen zwischen Musikpräferenzen und sozioökonomischen Faktoren. Eine Innovation in diesem bekannten Forschungsfeld bedeutete es, die Neigung zum Geld als Thematik in der Musik zu untersuchen und diese Tendenz wieder auf Persönlichkeit und Gesellschaftsschicht zurückzuführen. Annika Götz und Franziska Weigert (Mannheim/München) skizzierten das Konzept der „open culture“ und die primären und sekundären Finanzierungsmöglichkeiten für entsprechende Projekte. Anhand von Beispielen wie dem „Kultur-Hackathon“ Coding da Vinci stellten sie die Anreize für die Realisierung von „open culture“ Projekten dar.
Das zweite Panel betrachtete die Musikökonomie aus einer postkolonialen Perspektive. Ulrike Straßmann (Berlin) beschrieb ihre Erfahrung der „Utopie Auroville“. Die experimentelle Stadt mit ungefähr 3.000 Einwohner aus 56 Ländern wird wegen ihres utopischen Rufs und ihres überproportionalen Kulturangebots von bis zu 10.000 Besuchern täglich bereist. Straßmann erklärte die Philosophie, die das Kulturleben antreibt, und hinterfragte, inwiefern die Kulturökonomie Aurovilles tatsächlich geldlos sei. Am Ende des ersten Tages referierte Paula Marcela Castaño Castaño (Caldas) über die Musikinstrumente und Gattungen der unterschiedlichen Gebiete (Departamentos) Kolumbiens und setzte sich mit der von finanziellen Erwägungen stark beeinflussten Kulturpolitik Kolumbiens auseinander. Castaño Castaño erörterte die Spaltung zwischen der politischen Fantasie einer Musik(ausbildung), die Koexistenz, Sozialisation und Integration erleichtert, und der Realität eines offenen Spektakels, „bei dem eine Geldmenge erwirtschaftet wird, die der Steuerverordnung des jeweiligen Gebiets und wiederum den Einzelnen zugutekommt.“
Paweł Siechowiczs (Warschau) Vortrag über die Bewertung von Geld in Rossinis Il barbiere di Siviglia und Wagners Ring eröffnete den zweiten Tag des Symposiums unter dem Panelthema „Wie klingt das Geld? Geld als Topos in der Musik“. Die zwei Komponistenhätten, so Siechowicz, zwei entgegengesetzte Einschätzungen von Geld in ihren Werken gezeigt. Rossinis Darstellung liege der Perspektive des marktliberalen Adam Smith näher, während Wagners Darstellung sich eher der Kritik von Karl Marx nähere. Viola Großbach (Frankfurt am Main) beleuchtete, ebenfalls an Marx anknüpfend, Hanns Eislers dialektisches Musikdenken. Großbach konzentrierte sich sowohl auf die Rezeption der Marx’schen Theorie in Eislers Musik und Schriften als auch seine Übereinstimmung mit dem Antiimperialismus von Lenin und Rosa Luxemburg. Florian Käune (Essen/Bochum) nahm zwei Beispiele aus Johannes Kreidlers Schaffen, Charts Music und Fremdarbeit, um sich mit Kreidlers Konzeptmusik auseinanderzusetzen. Käune nutzte die Beispiele, um über Begriffe wie Idee, Arbeit und ‚Werk‘ nachzudenken und neu zu überlegen, was solche Konzepte für die Musikökonomie des 21. Jahrhunderts bedeuten. Marco Dimitrou (Münster) stellte auch eine Art von Konzeptmusik in den Undergroundgenres Vaporwave und Mallwave/Mallsoft dar, die sowohl eine Kritik am Konsumkapitalismus als auch an dessen Ästhetisierung anzubieten hätten. Dimitrou zeigte anhand eines Beispiels in den Projekten des Labels PC Music seit 2013, wie man „sich mittels einer gezielten Konsumästhetik selbst als konsumierbare Ware“ präsentieren könne. Trotzdem verstehe sich diese Ästhetik „auch als Kritik am Mainstream[, …] der mutmaßlich einer kapitalistischen Profitlogik folgt.“ Am Ende des zweiten Tages gab es einen Workshop zum Thema „Konzerthaus der Zukunft?“
Das Panelthema „Vermarktungsstrategien von Musik damals und heute“ begann mit einer Einschätzung des ökonomischen Denkens auf Musikproduktion in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Till Stehr (Heidelberg) setzte sich mit dem Anreiz auseinander, der junge Komponisten zu einer Triosonate als Opus 1 verlockte. Das häufige Phänomen einer Triosonate als erstem Opus erklärte Stehr nicht nur durch die geringeren Produktionskosten und ihre leichtere Verkaufbarkeit, sondern auch durch eine breitere Diskurstradition, die das Ökonomische und Gattungsgeschichtliche miteinbezogen habe. Maximilian Rosenthal (Heidelberg) ging Widmungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach. Die Widmungen seien laut Rosenthal eine heterogene Praxis, die einerseits als einfache Werbung erscheine, zugleich aber ein gewisses Risiko berge, wenn unzureichende Musik an einen ehrwürdigen Namen gebunden werde. Christopher Klatt (Jena/Weimar) untersuchte die Darstellung von Patriotismus in der Musik und seine Marktfähigkeit. Das komplexe Geflecht aus den aufeinander bezogenen Komponenten – Komponierenden, Verlagen, Kompositionen und ökonomischen Interessen – führten zu einer bestimmten, gut verkäuflichen Art des musikalischen Patriotismus um 1900. Paul McCall-Labelle (Hamburg) griff eine andere Art von musikalischem Patriotismus auf, nämlich den Versuch des Noblemen and Gentlemen’s Catch Club, das Genre des Catch wiederzubeleben. Anhand der Catches und der Recollections von R. J. S. Stevens beschrieb McCall-Labelle einen zyklischen Prozess, in dem der Club Komponisten zum unzüchtigen Komponieren reizte, die Komposition diesen Einfluss spiegele und die Rezeption dieser Kompositionen wiederum den Club präge.
In dem Panel „Urheberschaft versus Kreativität?“ skizzierte Maik Köster (Köln) das früheste Rechtsverfahren über das Eigentum an einer Opernarie in England, Skillern vs. Longman (1792-94). Kösters Untersuchung des Prozesses korrigierte die bisherige Interpretation des Falls. Er bietet nicht nur einen Einblick in die Copyright-Debatte am Ende des 18. Jahrhunderts, sondern wirft hochaktuelle Fragen nach geistigem Eigentum in der Musik auf. Auf solche Fragen ging Sandra Bogdanovic (Berlin) mit Blick auf die Copyright-Debatte des „Golden Age of Hip-Hop“ ein. Bogdanovic verglich dabei die Verwendung von Sampling in einigen bekannten Alben der späten 1980er Jahre mit Beispielen aus den frühen 2010ern. Nach einem Rechtsfall von 1991 nahm die Anzahl von Samples pro Track deutlich ab. Dies habe aber zu einem Bedarf an Originalität geführt und das sogenannte „loop/create digging“ begünstigt. Annabel Rapp (Kiel) blieb beim Hip-Hop und zog den Einfluss von Streaming Services auf Musikqualität in Betracht. In Zentrum ihres Vortrags stand die Vorherrschaft von Hip-Hop auf Streaming Plattformen, die niedrige Produktionsbarriere des Genres und dessen Wandel im deutschsprachigen Raum. Am Ende des Tages diskutierten Klaus Frieler, Ina Kaulen, Hans Peter Kuhn und Boris Voigt das Panelthema.
Das abschließende achte Panel behandelte den „Klingenden Kommerz“. Kai Brandebusemeyer (Detmold) sprach von einer philosophischen Weltanschauung in der Musik, der Verknüpfung von Musik und Religion und schließlich von einer musikesoterischen Entwicklung. So erläuterte Brandebusemeyer, „wie die moderne Musikindustrie von der Idee einer spirituellen Musik lebt“. Um musikalischen Tourismus in Österreich und das Geschäft mit dem musikalischen Theater ging es im Vortrag von Emese Lengyel (Debrecen). Anhand der Operette zeigte Lengyel, inwiefern sich der Kulturtourismus in Österreich entwickelt und die Operette für zeitgenössische Konsumenten attraktiv gemacht wird. Als Teil von Festivals wird die Operette selbst als Produkt verkauft und erhält so auch Einzug in die sozialen Medien. Authentizität stellte Ilgaz Yalcinoglu (Berlin) als Marketingstrategie vor. Türkische Bands wie Altin Gün würden durch Einflüsse von westlicher und östlicher Musik Authentizität gezielt nutzen, um sich abzuheben. Authentizität könne auf unterschiedlichen Ebenen auftreten und stehe eigentlich im Gegensatz zum Kommerz, dennoch würde sie bewusst eingesetzt, um Kulturprodukte aufzuwerten.
Das Symposium war ein voller Erfolg, bei dem viele spannende Eindrücke präsentiert wurden und ein reger Austausch der Teilnehmer stattfand. Es wurde gezeigt, dass Musik und Geld sich nicht nur heutzutage gegenseitig stark beeinflussen, sondern dies bereits früher der Fall war, und zwar sowohl in ökonomischer wie ästhetischer Hinsicht. Das Spannungsverhältnis zwischen Geld und Musik hängt zudem stark mit dem jeweils vorherrschenden Kultur- bzw. Kunstbegriff zusammen. In diesem Zusammenhang wurde auch thematisiert, welche Position die Musikwissenschaft in einem Kulturleben einnehmen solle, das von Geld abhängt. Verstehe man Kultur als Interaktion, die nicht erst erschlossen werden muss, sondern eine Qualität menschlichen Handelns vor dem Hintergrund bestimmter Wertvorstellungen darstelle, spiegele die Musikwissenschaft eben diese Wertvorstellungen wider. Daher sei auch ein Symposium, welches offen für jeden ist, ein guter Einstieg, um Musikwissenschaft im gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu positionieren. Bis jetzt gebe es wenige ästhetische Ansätze, mit einem solchen Themenkomplex umzugehen. Doch stelle dies, neben genaueren Beobachtungen der Musik hinsichtlich ihrer ökonomischen Zusammenhänge, noch ein breites Forschungsthema für die Zukunft dar.