Gaspare Spontini und die Oper in Berlin: Zwischen Integration und Isolation
Erfurt, 01.-02.06.2018
Von Jasmin Seib, Mainz – 31.08.2018 | Die Tagung fand anlässlich der Premiere von Gaspare Spontinis Oper Agnes von Hohenstaufen am Theater Erfurt in Kooperation mit der Abteilung Musikwissenschaft des Instituts für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz statt. Nach der Begrüßung durch den Intendanten Guy Montavon und Fabian Kolb (Mainz) eröffnete der Beitrag „Betrachtung des Berliner Opernlebens auf der Bühne und im Konzert (1810-1830)“ von Jasmin Seib (Mainz) das Symposion. Hier standen die vielen Faktoren, die die Spielplanstruktur der Berliner Bühnen beeinflussten, und Spontinis Rolle als Generalmusikdirektor im Vordergrund. Gleichzeitig gab Seib einen Überblick über das Berliner Repertoire, die Rolle von Opernstücken im Konzert sowie über Favoritopern und Favoritstücke.
Gerrit Waidelich (Wien) ging danach in seinem Beitrag „Zu den Berliner Opern vor der Agnes“ vor allem auf Spontinis Opern Olympia, Nurmahal und Alcidor ein, die keine Verbreitung über den Berliner Raum hinaus fanden. Auch thematisierte er die Wahrnehmung Spontinis und seiner Werke in Paris und Berlin und sprach über die Verarbeitung von exotischen Stoffen in den Berliner Stücken im Vergleich zu denen aus Paris, die große heroische Sujets behandelten.
Über die „Wahrnehmungsperspektiven der Oper in Berlin um 1830: das Beispiel der Agnes von Hohenstaufen“ sprach Fabian Kolb (Mainz). Ausgehend von der Frage, wie Spontinis Stellung in Berlin einzuschätzen sei und mit welchen Maßstäben seine Werke aufgeführt wurden, stellte er das Sujet der Agnes als gezielt publikumsorientiert heraus, was auf die Popularität von Hohenstaufendramen und der Rheinromantik zurückzuführen sei. Darüber hinaus erläuterte Kolb Aspekte wie Sängerleistungen und Starkult; er erörterte die musikalische Überwältigungsästhetik in Spontinis Agnes und eröffnete weitere Blickwinkel auf das Konzertleben, die Verlagsproduktionen und die Berichterstattung zu Spontinis Agnes in Journalen und musikalischer Fachpresse.
Arne Langer, Chefdramaturg des Theaters Erfurt, gab in seinem Vortrag „Zur Aufführungsgeschichte der Agnes“ einen Einblick in die Arbeitsprozesse mit dem Notenmaterial und die verschiedenen Fassungen von Spontinis seit etwa 180 Jahren nicht aufgeführter Oper und berichtete über das Auffinden der verschollen geglaubten Ouvertüre. Die aktuelle Inszenierung der Agnes am Theater Erfurt und die damit einhergehenden Probleme (wie die hohen instrumentalen Anforderungen und die inhaltlichen Schwierigkeiten) standen ebenso im Fokus: So habe der kriegerische Patriotismus Anlass gegeben, die Opernhandlung als Rückblende aus der Perspektive eines Soldaten aus dem 1. Weltkrieg zu inszenieren.
Der zweite Teil der Tagung begann mit dem Vortrag „Zwischen ‚Vérité‘ und ‚Bienséance‘: Spontinis französische Opern und die Gattungskonvention der Tragédie lyrique“ von Matthias Brzoska (Essen), der über die Finali der Opern Spontinis sprach. Das Prinzip der Bienséance fordere in der Oper ein Lieto fine, was etwa in der ersten Fassung des Fernand Cortez sowie in Spontinis Pariser Fassung der Olympia bewusst nicht erfolge. Dass die Handlung der Olympia indes geändert und ein glücklicher Werkschluss herbeigeführt wurde, sei der Wahrnehmungsästhetik der Zeit geschuldet, entferne sich zugleich allerdings von der Idee der Vérité.
Über die Arbeit an der kritischen Edition der Oper Fernand Cortez sprach Klaus Pietschmann (Mainz) in seinem Vortrag „Zu den Berliner Fassungen des Fernand Cortez“. Hierbei standen zunächst Werkgenese und Fassungsproblematik der verschiedenen Bearbeitungen im Vordergrund. Das als Propagandastück im Auftrag Napoleons zu verstehende Werk wurde bereits während der ersten Aufführungsserie (Paris 1809) verändert und kam insgesamt in vier Fassungen auf die Bühne, wobei die Bearbeitungen sich auch politisch erklären ließen, wie Pietschmann an einigen Beispielen erläuterte. Überdies bot er einen Überblick über das umfangreich vorhandene Notenmaterial und stellte neue Quellenfunde vor.
Hieran schloss sich der Vortrag von Anno Mungen (Bayreuth) über „Spontini als Dirigent“ an, der den Komponisten als Vorreiter für die spätere Sicht auf den Dirigenten als Künstlerfigur sowie dessen Professionalisierung untersuchte. Daneben sprach Mungen über Spontinis Repertoirebildung und über seine Schwerpunkte beim Dirigat, die neben seinen eigenen Werken auf Haydn und Beethoven im Konzertleben, sowie auf Gluck und Mozart in der Oper gelegen hätten. Auf die Schwierigkeiten des Dirigats von Spontinis Agnes ging Mungen ebenfalls ein und erläuterte in diesem Zusammenhang unter anderem die Rolle des Militärs für Spontini, die Entwicklung neuer Instrumente mit dem Militärmusiker Wilhelm Wieprecht sowie den militärischen Einfluss in seinen Opern Cortez und Agnes. Abschließend verwies Mungen auf Verbindungen zwischen Wagners Rheingold und Spontinis Cortez sowie Agnes.
Arnold Jacobshagen (Köln) sprach zum Abschluss in seinem Beitrag „Nach Berlin – der späte Spontini“ über Spontinis preußische Zeit nach der Agnes („preußisches Endspiel“) sowie seinen Nachruhm, der an den Stationen Paris, Dresden, Köln und Berlin veranschaulicht werden konnte. So berichtete Jacobshagen über eine Aufführung der Olympia beim Niederrheinischen Musikfest in Köln und über die Wiederaufnahmen der Vestalin und des Cortez in Berlin in den 1840er Jahren, die Spontini aus gesundheitlichen Gründen – mit Ausnahme der Ouvertüre zur Olympia – nicht mehr selbst dirigieren konnte. Der bereits in den 1820er Jahren beinahe als antiquiert geltende Spontini habe sich Jacobshagen zufolge auch aufgrund seiner in Berlin gesponnenen Intrigen um Graf von Redern und später um Mendelssohn und Meyerbeer dort nicht mehr etablieren können.
Das zweitägige Symposion im „Studio“ des Theaters Erfurt wurde durch rege Diskussionsbeiträge bereichert und zeigte eindrucksvoll, dass eine vertiefte musikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Spontini als überaus ertrag- und perspektivenreich (etwa auch in Hinblick auf die Entwicklung der Gattung bei Meyerbeer und Wagner) gelten kann. Eine Veröffentlichung der Beiträge ist vorgesehen.