Religiöse Friedensmusik von der Antike bis zur Gegenwart
Münster, 28.-30.06.2018
Von Michael Werthmann, Münster – 03.01.2019 | Die Tagung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ reihte sich in eine Vielzahl von Veranstaltungen und Ausstellungen aus Anlass des 370-jährigen Jubiläums des Westfälischen Friedens ein. Bei dem dreitägigen Symposium wurden in chronologischer Reihenfolge verschiedene Aspekte religiös motivierter Musik zum Thema Frieden in den verschiedenen Epochen unter die Lupe genommen. Dabei widmeten sich die Vorträge mehrheitlich der europäischen Musikgeschichte, andere Kulturen und Religionen kamen aber ebenfalls zur Sprache. So betonte Dominik Höink (Essen/Münster), der Organisator der Tagung, in seiner Einführung auch das breite Themenspektrum sowie die vielfältigen Herangehensweisen der einzelnen Vorträge – kurzum ein offenes Verständnis des Begriffs „Friedensmusik“. In einem Grußwort demonstrierte Ulrich Grimpe (Münster) die lokale Bedeutung von Friedensmusik für den Tagungsort Münster und nannte etwa den Dankgottesdienst im St.-Paulus-Dom aus Anlass des Westfälischen Friedens im Jahr 1648 oder die 1966 ebendort uraufgeführte Lukas-Passion Krzysztof Pendereckis.
Mit „Musik zu Sieg und Frieden in der Bildwelt des antiken Vorderen Orients“ beschäftigte sich Rüdiger Schmitt (Münster) im ersten Vortrag. Obwohl es an musikalischen Quellen aus dieser Zeit mangelt, ist vieles durch bildliche Darstellungen sowie durch Instrumentenfunde und historiographische Quellen überliefert, nicht zuletzt eben auch Hinweise auf Musik zu Friedensfeiern. Diese dienten oft der rituellen Herrscherrepräsentation und sollten die Etablierung der göttlichen Weltordnung symbolisieren. Auf die griechische Antike und die Frage, wie der Frieden hier musikalisch repräsentiert wurde, ging sodann Zeynep Helvacı (Münster) ein. Dazu verwies sie zunächst auf Frieden in der Götterwelt, personifiziert durch die Friedensgöttin Eirene. Auch die musizierend dargestellten Götter Apollo und Dionysos kamen zur Sprache. Im Anschluss daran beleuchtete Helvacı die Gattungen Epik, Lyrik und Dramatik und erläuterte unter anderem verschiedene Beispiele im griechischen Theater. Auch Musiker als Friedensstifter und Musik von Gesandtschaften zur Wahrung des Friedens wurden thematisiert. Zwar sind Musikstücke der griechischen Antike fragmentarisch überliefert, jene mit Friedensbezug haben sich jedoch nicht erhalten.
In die Zeit des Mittelalters begab sich daraufhin Stefan Klöckner (Essen). In seinem Vortrag zu Gregorianischen Gesängen und ihrer handschriftlichen Überlieferung setzte er den Fokus auf den inneren Frieden als spirituelle Herausforderung. Klöckner untersuchte unter anderem die Umsetzung von Texten, die sich mit Frieden beschäftigen, und demonstrierte anhand verschiedener analytischer Beispiele (etwa Augustinus oder Hucbald), wie der Begriff phonetisch, grammatikalisch oder inhaltlich hervorgehoben wurde. Mit einem Beitrag zur musikalischen Irenik gegen Ende des Reformationszeitalters schloss Christian Thomas Leitmeir (Oxford) an. Die Ireniker lehnten religiös begründete Gewalt ab und verkörperten im Dreißigjährigen Krieg trotz aller Konflikte und aller Aussichtslosigkeit eine Sehnsucht nach Aussöhnung. Musikalisch schlug sich dies in einer Reihe von Da pacem Domine-Vertonungen nieder. Leitmeir zeigte, dass Komponisten der sogenannten rudolfinischen Tradition – Rudolf II. stand den Irenikern nahe – geschlossen von gewissen konventionellen Mustern abwichen, etwa durch Alterierungen. Den letzten Vortrag des ersten Tages hielt schließlich Inga Mai Groote (Zürich) zum Thema „‚Friedensfreud‘ im Medium des frühneuzeitlichen geistlichen Lieds: zwischen Kontrafaktur und Generalbasslied“. Während für repräsentative Anlässe die großen Gattungen bemüht wurden, waren geistliche Lieder mit einfachem, strophischem Liedtypus eher in informellen und halbprivaten bis privaten Kontexten verbreitet, dafür aber wesentlich weniger an konkrete Anlässe gebunden. Oftmals handelte es sich um Kontrafrakturen auf bekannte Melodien, weshalb auch kein individueller Bezug zwischen Text und Musik bestand. An verschiedenen Beispielen wie etwa von Johann Erasmus Kindermann zeigte Groote die unterschiedliche Beschaffenheit von geistlichen Liedern mit Friedensthematik auf.
Am zweiten Tag stand zunächst weiterhin die Zeit um den Dreißigjährigen Krieg im Fokus. Peter Schmitz (Münster) widmete sich in seinem Vortrag der Musik bei Dankfesten nach 1648. Dazu warf er zunächst einen Blick auf die Zeit während des Krieges und konstatierte, dass nicht überall das Musikleben zum Erliegen kam, im Gegenteil: In Städten wie Nürnberg und Frankfurt erlebte es gar eine Blütezeit. Schmitz ging daraufhin auf verschiedene Friedensfeiern und ihre Musik ein. Auch hier standen eher privat initiierte Gelegenheitswerke opulenten öffentlichen Friedensfesten gegenüber. Einem der wichtigsten Komponisten dieser Zeit und seinem Verhältnis zur Friedensmusik widmete sich sodann Jürgen Heidrich (Münster): Von Heinrich Schütz sind einige Kompositionen zum Frieden mit politischen Implikationen überliefert, deren musikalische Faktur Heidrich beleuchtete. Wie er außerdem herausstellte, waren diese Kompositionen, die Schütz in seiner Funktion als Kapellmeister am sächsischen Hof verfasst hatte, Ausdruck einer höfischen Repräsentation und kein individuelles Bekenntnis zu Frieden seitens des Komponisten.
Den Komponisten Georg Friedrich Telemann, der ebenfalls Auftragswerke für Dankesfeste aus Anlass von Friedensschlüssen, Friedensjubiläen oder militärischen Siegen komponierte, nahm sodann Brit Reipsch (Magdeburg) in den Blick. Insbesondere ging Reipsch dabei auf das Oratorium Holder Friede, heilger Glaube ein, das Telemann zur Feier des 200-jährigen Bestehens des Augsburger Religionsfriedens von 1555 komponierte. Sie zeigte dabei analytisch, wie beispielsweise die Beziehung von Frieden und Religion kompositorisch zum Ausdruck gebracht wird. Auch Matthew Gardner (Tübingen) untersuchte das Schaffen einer Einzelperson und sprach zu dem Thema „Musik für den Frieden in Händels London“. Aus Georg Friedrich Händels Londoner Zeit gibt es drei Te Deum-Vertonungen zu Friedensschlüssen: Eine zum Frieden von Utrecht (1713), eine zum Sieg der Schlacht bei Dettingen (1743) sowie ein (bereits zuvor komponiertes) Te Deum zum Aachener Frieden (1749). Gardner hob hervor, dass die Friedensfeiern wichtige Ereignisse in London und für das Hofleben waren. Daher war es für Händel, der zu Lebzeiten in England vor allem als Opernkomponist bekannt war, eine wichtige Gelegenheit, seine Fähigkeiten als Komponist anglikanischer Kirchenmusik unter Beweis zu stellen.
Aus dem Barockzeitalter heraus bewegte sich schließlich der chronologische Verlauf der Tagung mit einem Vortrag von Hans-Joachim Hinrichsen (Zürich) zu Ludwig van Beethovens Missa solemnis, die Hinrichsen in Bezug zu Immanuel Kants Moraltheologie setzte. Anhand eines Verweises auf Kants Kritik der reinen Vernunft in Beethovens Konversationsheften von ca. 1820 zeigte er, dass Beethoven mit Kants Schriften sehr gut vertraut gewesen sein muss. Infolge dessen kam Hinrichsen zu der Hypothese, dass Kants Schrift Zum ewigen Frieden Einfluss auf die Missa solemnis hatte und verdeutlichte dies anhand verschiedener Beispiele. Markus Böggemann (Kassel) referierte im Anschluss daran über Robert Schumanns Messe op. 147, die der Komponist 1853 schuf und die lange Zeit unbeachtet blieb. Neben typischen Elementen und der Rezeption alter Kirchenmusik enthält das Werk aber vor allem in Hinblick auf den Text und seine musikalische Ausdeutung Besonderheiten. Bewusste Texteingriffe seien als subjektive Umformatierung von Glaubensbekenntnis zu verstehen und damit mehr als das reine Bedienen einer Gattung, so Böggemann.
Mit Werken jüdischer Komponisten im 20. Jahrhundert setzte sich zum Abschluss des zweiten Tages Joachim M. Klein (Weimar) auseinander. Dazu stellte Klein zunächst klar, dass der Begriff des „Schalom“ im Judentum nicht deckungsgleich mit dem Begriff „Frieden“ sei. Bei seinem Überblick ging er sodann auf liturgisch gebundene Kompositionen ein, auf solche mit biblischem Bezug sowie chorsinfonische Werke mit jüdischer Referenzialität, etwa Leonard Bernsteins Chichester Psalms oder Arnold Schönbergs A Survivor from Warsaw.
Mit Schönberg befasste sich dann auch Andreas Jacob (Essen) zu Beginn des letzten Tages. Anhand biografischer Stationen zeichnete er Schönbergs Weg vom konvertierten Christen zum rekonvertierten Zionisten nach. Schönberg verfasste etliche Werke mit religiösem und politischem Gehalt, die Jacob in den biographischen Zusammenhang einordnete. Dabei ging er insbesondere auf das Werk Friede auf Erden (1911) ein, das einen Dualismus zwischen Krieg und Frieden impliziert, was Schönberg in einer späteren Phase selbst als „Illusion“ bezeichnete. In seinem Vortrag „Mit Bach gegen Hitler. Kirchenkonzerte in Norwegen während der deutschen Besatzungszeit (1940–1945)“ beschäftigte sich Michael Custodis (Münster) mit der Musik als Mittel des politischen Widerstands in Norwegen zur Zeit des Nationalsozialismus’ insbesondere im kirchlichen Raum. Anders als Vokalmusik musste Instrumentalmusik unter der Besatzung zwar genehmigt werden, unterlag aber keiner Zensur. Da es den zuständigen örtlichen Polizeibehörden oft an Repertoirekenntnissen fehlte, boten sich strategische Spielräume für politische Implikationen des Konzertprogramms in Kirchenkonzerten.
Im Anschluss daran standen zwei musikethnologische Themen auf dem Programm: Gretel Schwörer-Kohl (Halle/Saale) gab einen Überblick zur „Friedensmusik im Hinduismus und Buddhismus“, für den sie Beispiele aus Indien respektive Thailand gab. Für Thailand nannte sie das Ramayana-Epos, das neben vorwiegender Kampfmusik auch Friedensmusik enthält. Für den Hinduismus in Indien ging Schwörer-Kohl unter anderem auch auf die Ragas ein, deren Haupttöne die Emotionen bestimmen, und hob den Friedensraga hervor. Andreas Meyer (Essen) folgte mit einem Blick auf den afrikanischen Kontinent und sprach zur Musik und Kulturpolitik in Ghana. Texte, die Auskunft über den Stellenwert der Musik in Ghana geben, heben unter anderem hervor, dass die Musik dazu dienen soll, Brücken zu schlagen. Die „Unity in diversity“-Politik des Landes verfolgt diesen Ansatz und fördert beispielsweise Ensembles mit interethnischem Instrumentarium, um so durch die Musik die ethnische Vielfalt des Landes zu bewahren.
Rebekka Sandmeier (Kapstadt) thematisierte Philip Millers Kantate Rewind für Stimme, Tonband und Zeugenaussage, die Zitate aus den Aufnahmen der südafrikanischen Truth and Reconciliation Commission verarbeitet. Hierzu beleuchtete Sandmeier zunächst die Hintergründe der TRC: Die Grundidee war es, die Verbrechen der Apartheid aufzuarbeiten und zu versöhnen, nicht zu bestrafen. Im Anschluss daran ging sie auf die konkrete Umsetzung in der 2005 entstandenen Komposition Millers ein. Neben den Originalzitaten sind etwa auch Bibeltexte, anglikanische Kirchenlieder und Protestlieder enthalten. Den letzten Vortrag der Tagung hielt schließlich Gordon Kampe (Rom/Hamburg), der sich mit Religion und Frieden in zeitgenössischer Musik beschäftigte. Zunächst konstatierte er, dass diese Aspekte relativ wenig vertreten sind. Das Soziotop neue Musik sei eben nicht religiös. Dennoch nannte Kampe mehrere Beispiele wie etwa Wolfgang Rihms Quid est Deus (2007) oder Weltethos von Jonathan Harvey (2011). Eine Gemeinsamkeit vieler zeitgenössischer Werke sei die Tendenz, durchaus auch Zweifel am Frieden zum Ausdruck zu bringen.
Mit einem Schlusswort von Dominik Höink endete die Tagung. Die Vorträge haben die Vielfalt der religiös motivierten Auseinandersetzung mit dem Thema Frieden in den verschiedensten Epochen der Musikgeschichte und in unterschiedlichen Kulturkreisen demonstriert. Es ist deutlich geworden, dass vielen Komponisten die Beschäftigung mit Frieden unabhängig von Zeit und Religion immer wieder ein Anliegen war. Dabei geschah die Verarbeitung in ihren Werken auf die unterschiedlichste Art und Weise.
Alle Beiträge sollen in einem Tagungsband veröffentlicht werden.