Musiktheatralische Textualität: Opernbezogene Musikdrucke im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts.
Wien, 01.-03.02.2017
Von Meike Wilfing-Albrecht, Wien – 21.02.2017 | Worin besteht die Funktion eines Musikdruckes, welche Bedeutung kann er für die Reputation des Komponisten haben und welche Erkenntnisse liefern uns die Quellen? Diesen und weiteren Fragen zu den im deutschen Sprachraum gedruckten Opern, zu deren Rezeption und Verbreitung sowie zur Geschichte des deutschen Musikalienhandels widmete sich die von Andrea Horz organisierte Tagung am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien.
Zu Beginn wurde näher auf den Klavierauszug eingegangen, der sehr schnell eine enorme Popularität erlangte, da erfolgreich aufgeführte Werke für das häusliche Muszieren am Klavier hergestellt wurden. Axel Beer (Mainz) skizzierte die Entwicklung und Verbreitung: In Wien begann der Musikalienhandel ab den 1770er Jahren an Dynamik zuzunehmen, da sich neben zahlreichen Kopisten, die weiterhin Handschriften anboten, nun Verlage, wie z.B. Artaria mit Musikdrucken und Klavierauszügen einen Namen machten. Im deutschen Raum konkurrierten außerdem Schott in Mainz, Simrock in Bonn oder Breitkopf in Leipzig. Christine Siegert (Bonn) befasste sich mit Simrock und warf dabei die Frage auf, ob und wie viel Einfluss der Komponist bei der Herstellung eines Druckes hatte. Da den Komponisten durchaus bewusst war, dass ein gedrucktes Werk eine höhere Reputation und stärkere Verbreitung begünstigen konnte, nahmen sie meist auch unautorisierte oder qualitativ weniger ansprechende Stiche in Kauf. Klaus Pietschmann (Mainz) betrachtete die Drucke von Carl Friedrich Cramer, der in den Vorworten ungewöhnlich ausführlich über Opernästhetik und besonders die Funktion des Klavierauszuges reflektierte. Für Cramer spielte Praktikabilität eine große Rolle, sodass er sich für einen Mittelweg zwischen originalgetreuer Wiedergabe und Umsetzbarkeit aussprach. Gerrit Waidelich (Wien) stellte den Klavierauszug der wenig bekannten Oper Melida von Johann Heinrich Rolle vor. Beeindruckende Abrundung erfuhr das Referat durch die Darbietung der großen Soloszene der Melida, die die Sopranistin Karoline Pilcz begleitet von Diána Fuchs folgen ließ.
Im Folgenden wurde die Bedeutung des Operndrucks für einzelne Komponisten näher betrachtet: Hartmut Grimm (Frankfurt a. M./Berlin) untersuchte die Sammeldrucke von Johann Adam Hiller und seine Zusammenarbeit mit Immanuel Breitkopf; Michele Calella (Wien) ging auf die unterschiedlichen Gründe für die Drucklegung der drei italienischen Gluck-Opern Orfeo ed Euridice, Alceste und Paride ed Elena ein, die maßgeblich zu Glucks Ruf als Opernreformator beigetragen haben. Auch für Salieri war die Drucklegung seiner Opern von entscheidender Bedeutung, wie John Rice (Rochester) erläuterte: Erst nachdem Cramer 1783 die Armida veröffentlichte, wurden weitere seiner Opern und auch Arien bei Artaria und später auch bei anderen Verlagen gedruckt.
John Wilson (Wien) behandelte in seinem Beitrag das Verhältnis des Kopisten und Verlegers Nikolaus Simrock zur Hofkapelle von Kurfürst Maximilian Franz in Bonn und Panja Mücke (Mannheim) befasste sich mit dem sächsischen Hof. Dessen Intention war es, den Ruf als Opernzentrum mit den selbst finanzierten Drucken durch Breitkopf (z.B. die erste gedruckte Oper Il trionfo della fedeltà von Kurfürstin Maria Antonia Walpurgis von 1756 oder Hasses Alcide al bivio) zu festigen, während Breitkopf sich mit diesen Werken als führender Musikverleger etablieren wollte.
Estelle Joubert (Halifax) betrachtete den Operndruck als multimediale Quelle, bei welcher neben dem Notentext bspw. auch die Illustrationen von Bedeutung waren. So wurde auch in der zeitgenössischen Rezeption nicht ausschließlich die Musik oder das Libretto, sondern teilweise explizit der Druck kritisch wahrgenommen. Andrea Horz (Wien) ging darauf näher ein, indem sie deutsche Journale auf die Erwähnung von Operndrucken untersuchte: Zunächst spielte die Musik selbst in den Kritiken kaum eine Rolle, erst nachdem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Notendruckproduktion zunahm, wurde nicht nur die Musik eingehender betrachtet, sondern es erschienen bald auch Bemerkungen über die Unterschiede von Klavierauszug und Partitur. Zeitgenössischer Konsens war, dass eine gedruckte Oper eine höhere Autorität innehatte als eine handschriftliche Kopie.
Die Tagung lieferte mit ihrem eng umsteckten Thema wichtige neue Ansatzpunkte für ein bislang wenig beachtetes Teilgebiet der Opernforschung im 18. Jahrhundert. Aufgrund dieser inhaltlichen Konzentration konnten die Referate tief in die Materie eintauchen und nahtlos ineinander übergreifen. Eine Publikation der Beiträge ist vorgesehen.