Philologisches Arbeiten von der Textgenese zur Rezeption
Bonn, 04.-07.09.2017
Von Lavinia Hantelmann, Mainz – 19.12.2017 | Das diesjährige Beethoven-Studienkolleg „Philologisches Arbeiten von der Textgenese zur Rezeption“ in Bonn war stark international geprägt. Dank der Förderung durch die Gesellschaft für Musikforschung konnten die Teilnehmer nicht nur aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, sondern auch aus den USA anreisen.
Vier musikphilologisch intensive, lehrreiche und interessante Tage standen den angehenden Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftlern bevor, Tage, die mit der Textkonstitution von Beethovens Sonaten für Cello und Klavier und der Neunten Sinfonie begannen. Verschiedene Drucke, teils mit Korrekturen und Anmerkungen Beethovens, wurden mit den Skizzen und Reinschriften auf ihre Umsetzung hin verglichen. „Was wollte Beethoven wirklich in den Noten stehen haben?“, war die Frage, deren Antwort es zu erarbeiten galt. Drucküberlieferungen können sehr vielfältig sein und sind, wie die Kollegiaten feststellen mussten, selten datiert. Durch äußere und innere Merkmale konnten die Druckausgaben von Beethovens Adelaide op. 46 am Ende jedoch gemeinsam erfolgreich in eine zeitliche Reihenfolge gebracht werden.
Der zweite Tag wurde komplett durch die Mitarbeiter des Akademie-Projekts „Beethovens Werkstatt“ gestaltet. Nach einer Einführung in die VideApp und die Codierung der Notentexte sowie Erläuterungen zur Vorgehensweise bei der Erarbeitung der Textgenese, deckten die Kollegiaten die Textvarianten des Liedes Neue Liebe, neues Leben op. 75/2 auf und konnten durch die Einfärbung der verschiedenen Schreibschichten die Textgenese nachvollziehen.
Der Mittwoch brachte Einblicke in die Skizzenforschung und die Probleme und Schwierigkeiten bei der Edition von Skizzenbüchern, die vor allem bei der Darstellung und Wiedergabe des Schriftbildes entstehen. Die Eigenheiten von Beethovens Skizzierungen mit ihren Verweisen, ungenauen Tonhöhen, undeutlichen Schriftfetzen, Streichungen und freien Stellen wurden den Kollegiaten erklärt. Auch die Genese der kompositorischen Fähigkeiten Beethovens war durch die Kompositionsstudien des Unterrichts bei Haydn und Albrechtsberger nachzuvollziehen und seine Aneignung der Fuge in den Noten miterlebbar. Ein Highlight stellten Autographe aus dem Beethoven-Archiv dar, die inklusive Kaffeetassenabdruck und gefalteter Seiten einen lebendigen Eindruck von der Arbeit des Komponisten verschafften. Doch bevor aus all diesen Quellen eine Edition entstehen kann, muss man sich über die Herangehensweise einigen, was abschließend von den Kollegiaten diskutiert wurde. Wie definiert man den Werkbegriff? Was ist der Text? Wie behandelt man bisherige Druckausgaben und deren Interpretation? Nach dieser lebhaften Diskussion stellten einige Kollegiaten ihre Projekte – Masterarbeiten und Dissertationen – vor, die von Variorum Editionen über Beethovens Sprachwerkstatt für Briefe, die Beziehungen zwischen Beethoven und Salieri, Überarbeitungen der Streichquartette und Rezeptionsforschung bis hin zu der Kirchenmusikbibliothek von Kurfürst Maximilian Franz reichten. Da sich zur gleichen Zeit die Komponisten Samuel Walther und Stefan Beyer als Stipendiaten im Rahmen der Komponistenresidenz 2017 in der Villa Wasmuth und somit ganz in der Nähe befanden, konnten diese das Studienkolleg mit ihrer Erfahrung als Praktiker bereichern. Samuel Walther erklärte seine Vorgehensweise von der Skizzierung der Werke bis hin zur Uraufführung und demonstrierte, dass sich das Komponieren auch nach wie vor noch ähnlich wie zu Beethovens Zeiten abspielt.
Die Abende klangen in gemeinsamer Runde aus und boten den Kollegiaten viele Austauschmöglichkeiten. Außerdem bereicherte die Eröffnung der Ausstellung des Künstlers Carl Körner mit dem Thema „Beethoven – Visuelle Biographien“, ein Stadtrundgang mit den wichtigsten Orten des jungen Beethoven und einer Führung durch die Sonderausstellung zum Beethoven-Haus 1933-1945 das vielfältige Programm.