Ein Nachmittag mit Gluck: Sein Opernschaffen – Bezüge, Reaktionen, Perspektiven
Mainz, 21.01.2017
Von Lavinia Hantelmann, Mainz – 08.02.2017 | In Zusammenarbeit zwischen dem Staatstheater Mainz und der Abteilung Musikwissenschaft des Instituts für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz fand am 21. Januar 2017 im sogenannten „Glashaus“ des Staatstheaters ein Symposium zur Mainzer Neuproduktion von Christoph Willibald Glucks Armide statt. Der Nachmittag widmete sich Glucks Opern und deren Rezeption – neben musikwissenschaftlichen Vorträgen auch in Form eines Gespräches zur Inszenierung. Die Moderation des Nachmittags übernahm Gabriele Buschmeier (Gluck-Gesamtausgabe, Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz).
Das eröffnende Produktionsgespräch wurde zwischen Ursula Kramer (Universität Mainz) und Ina Karr (Chefdramaturgin Oper, Staatstheater Mainz) mit Unterstützung von Trailern und Ausschnitten aus der aktuellen Mainzer Inszenierung geführt. Hier thematisierten sie insbesondere die Inszenierung und das ästhetische Konzept, das Bühnenbild und Kostümen zugrundelag. Im Vordergrund stand dabei der Kontrast zwischen der in überdimensionierter Künstlichkeit überzeichneten Dekadenz einer barocken Gesellschaft und den Schrecken und Strapazen des Krieges der Welt der Kreuzritter. Die bei der Mainzer Fassung vorgenommenen Umstellungen und Kürzungen der Gluck’schen Oper betrafen vor allem Sprünge in den sogenannten „Lustszenen“ und zielten auf eine dramaturgische Straffung des Stückes.
Im Folgenden erörterte Karl Böhmer (Villa Musica Rheinland-Pfalz, Hochschule für Musik Mainz) in seinem Vortrag „Marie-Antoinette, Armide und der Zauber der Liebe in Glucks Musik“ mit zahlreichen Klangbeispielen die kontrastreiche Opernkomposition, die zwischen starker Tonmalerei – von dem französischen Publikum des 18. Jahrhunderts als „Lärm“ empfunden – und „zarten“ sowie „zauberhaften“ Passagen hin- und herwechselt. Er thematisierte die Neuvertonung des 1686 für Jean-Baptiste Lully entstandenen Librettos von Phillipe Quinault und Glucks Rivalität mit Niccolò Piccini.
Anschließend ging Sabine Henze-Döhring (Universität Marburg) in ihrem Vortrag „Mehr Maler und Poet als Musiker: Glucks Armide-Figur“ nicht nur auf Glucks eigene Ansichten zu seiner Oper, sondern auch auf das Muster der Handlung und deren Knotenpunkte ein. Auch sie thematisierte die Rezeption durch das sich im Opernstreit befindliche Pariser Publikum. Durch Klangbeispiele demonstrierte Henze-Döhring die musikalische Umsetzung des Sujets, die sich durch kontrastreiche Stimmungswechsel (z.B. Hass und Liebe) innerhalb der einzelnen Gesangspassagen auszeichnet. Schließlich arbeitete sie heraus, dass Glucks Oper vor allem wegen ihrer Neuheit und Kombination von Malerei und Poesie in der Musik vom zeitgenössischen Publikum positiv aufgenommen wurde.
Zur Gluck-Rezeption des 19. Jahrhunderts referierte Ingeborg Zechner (Gluck-Gesamtausgabe, Forschungsstelle Salzburg) in ihrem Vortrag „Jenseits des Szenischen. Christoph Willibald Glucks Werke im Konzertsaal des 19. Jahrhunderts“ und machte hierdurch einen thematischen Sprung vom Szenischen zum Konzertanten. Sie beschäftigte sich sowohl mit der Rezeptions- als auch mit der aufführungspraktischen Ebene der „klassischen“ Opern Glucks, die durch bekannte Sängerinnen in die Konzertprogramme des 19. Jahrhunderts eingebracht wurden. Die Referentin resümierte, dass so ein Transfer der Inszenierung von der Opernbühne hin zum Virtuosenkonzert gelingen konnte.
Mit dem Vortrag „Bernhard Kleins Oper Dido (1823) aus der Perspektive der Berliner Gluckrezeption im frühen 19. Jahrhundert“ griff Gwendolyn Döring (Universität Mainz) die Frage nach dem Stellenwert Glucks auf den Opernbühnen des 19. Jahrhunderts auf. Kleins zum Geburtstag des Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. uraufgeführte Antikenoper wurde in einer Zeit der Orientierungslosigkeit auf den Bühnen im deutschsprachigen Raum komponiert, in der der Wunsch nach einer „typisch deutschen Oper“ herrschte. Die Referentin setzte sich mit dem Gluck-Attribut, das man Kleins Dido in zahlreichen zeitgenössischen Rezensionen zuordnete, auseinander. Dabei analysierte sie exemplarisch die Gestaltung der Titelpartie, die Klein der Gluck-Interpretin Anna Milder-Hauptmann auf den Leib geschrieben hatte, und stellte dieser die Partie der Selene, gesungen von Josephine Schultz-Killitschky, gegenüber. Allein schon aufgrund der demonstrierten stilistischen Brüche sei das aus der Presse stammende „Etikett Gluck“ kritisch zu hinterfragen, vor dem Hintergrund willkürlicher Instrumentalisierungen jedoch höchst aufschlussreich.
Seinen Vortrag „Niemand folgte ihm nach. Die Gluck-Rezeption im Umfeld der ‚Krise‘ der deutschen Oper nach 1830“ begann Klaus Pietschmann (Universität Mainz) mit der Beobachtung, dass Gluck im 19. Jahrhundert als erster Opernkomponist eine dauerhafte Kanonisierung erfuhr, was etwa aus Komponistenporträts in Theatern hervorgeht. Der dennoch zwischen den 1830er und 1840er Jahren erfolgte Einbruch der Aufführungen Gluck’scher Opern lag u.a. an dem Wunsch des Publikums nach leichten und weniger anspruchsvollen Spielopern und dem Erfolg der Opern Aubers und Meyerbeers. Diese Phase, in der Forschung oft als „Krise“ verstanden, hatte jedoch nach 1840 mit dem erneuten Aufgreifen Glucks als „klassischem“ Vorbild insbesondere durch Richard Wagner ihr Ende. Es wurde angemerkt, dass die Aufführung Gluck’scher Opern auch heute noch ein finanzielles Risiko für die Theater darstellt.
Daran anknüpfend brachten Jasmin Seib und Frederic von Vlahovits (Universität Mainz) mit dem gemeinsamen Vortrag „Ausblick: Des Adlers Horst (Franz Gläser, UA: 1832) und Agnes (Carl Krebs, UA: 1833) – Zeugnisse des Opernlebens im 19. Jahrhundert“ Exempel für Opern der sogenannten „Krisenjahre“. Die ins schlesische Gebirge verlegte und mit Jodelliedern und alpinen Klängen versehene Oper Des Adlers Horst ist ein Beispiel für einen Versuch einer „deutschen Volksoper“, die mit aufwändigen Bühnenbildern und der Möglichkeit einer Identifizierung des Publikums mit den Figuren das markt- und publikumsorientierte Arbeiten der Opern der „Krisenjahre“ ermöglichte. Auch in Carl Krebs‘ Oper Agnes sind die Züge einer „Volksoper“ erkennbar. Dennoch konnten sich diese Werke trotz zahlreicher Versuche nicht langfristig im Repertoire behaupten.
Abschließend referierte Ursula Kramer (Universität Mainz) in ihrem Vortrag „Nachruhm in Gips. Die Mainzer Gluck-Sängerin Margarete Schick“ über die Berliner Karriere (1795-1809) der aus Mainz stammenden Sängerin, die bereits von den Zeitgenossen vor allem für ihre Auftritte in Gluck’schen Opern gerühmt wurde. Unter anderem sang sie 1805 die Armide unter der musikalischen Leitung von Bernhard Anselm Weber in Berlin. Mit der Antike als idealem Vorbild wurden Glucks Opern in den Spielplan integriert, um anspruchsvolle Stücke als geschmacksbildende Maßnahme im Berliner Nationaltheater auf die Bühne zu bringen. Schick fungierte gewissermaßen als Motor für die Berliner Gluck-Rezeption um 1800 und transportierte durch ihre Darstellung unmittelbar die antiken Ideale wie edle Anmut (angelehnt an Winckelmann). Geradezu folgerichtig war sie die erste deutsche Sängerin, von der unmittelbar nach ihrem Tod eine – antikisierende – Büste angefertigt wurde.
Der Nachmittag mit Gluck widmete sich also insbesondere rezeptionsgeschichtlichen Aspekten der Oper Armide, die ihre Mainzer Neuinszenierung größtenteils der Rezeptionshaltung des 19. Jahrhunderts und seiner Würdigung Glucks als „klassischem“ Komponisten verdankt. Als geschmacksbildende „Klassiker“ gewertet, durch bekannte Interpretinnen in Konzertprogramme eingebracht und für neue Opern zeitgenössischer Komponisten als Studienmaterial dienend erfuhren insbesondere Glucks spätere Werke eine hohe Würdigung und konnten sich so bis heute im Repertoire der Opernhäuser halten. Die Vorträge dieses Symposiums werden in einem Tagungsband erscheinen.