Sammeln – Musizieren – Forschen. Zur Dresdner höfischen Musik des 18. Jahrhunderts
Dresden, 21.-23.01.2016
Von Elisabeth Reisinger, Wien – 27.05.2016 | Vom 21.1. bis 23.1.2016 fand an der Sächsischen Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden das internationale Kolloquium Sammeln – Musizieren – Forschen. Zur Dresdner höfischen Musik des 18. Jahrhunderts statt, veranstaltet von der Musikabteilung der SLUB im Rahmen des DFG-geförderten Projekts „Die Notenbestände der Dresdner Hofkirche und der Königlichen Privat-Musikaliensammlung aus der Zeit der sächsisch-polnischen Union“. Im Zentrum standen die Entstehung und Entwicklungen von Musiksammlungen, ausgehend von jener des Dresdner Hofes, im titelgebenden Begriffsdreieck: Sammeln – Musizieren – Forschen.
Die Tagung wurde durch den Generaldirektor der SLUB Dresden Thomas Bürger eröffnet, der zugleich die an der SLUB durchgeführten und von der DFG geförderten Forschungsprojekte zur Dresdner Hofmusik „Schrank II“ – „Opernarchiv“ – „Hofkirche und königliche Privatmusikaliensammlung“ skizzierte (http://hofmusik.slub-dresden.de/). Barbara Wiermann, Leiterin der Musikabteildung der SLUB Dresden, ging in ihrer Einführung ausführlicher auf die Projekte als Ausgangspunkt für das Kolloquium sowie das 200jährige Bestehen der Musikabteilung der SLUB als konkreten Anlass dafür ein.
Die erste Sektion war der Entstehung musikalischer Bibliotheken und deren Implikationen für die Musikwissenschaft gewidmet. Zum Einstieg ins Thema gab Melanie Wald-Fuhrmann (Frankfurt am Main) einen Überblick über die Geschichte und Hintergründe des Sammelns, Aufbewahrens und Inventarisierens von Musikalien, wobei sie die Konvergenzen zwischen Musiksammlungen und der Fachgeschichte der Disziplin Musikwissenschaft deutlich machte. Thomas Leibnitz (Wien) exemplifizierte Wald-Fuhrmanns Thesen anhand der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Er zeigte außerdem, wie die Entstehung dieser Abteilung, die in der Initiative Moritz von Dietrichsteins zur Erschließung des Hofmusikarchivs mit dem Ziel einer öffentlich zugänglichen Sammlung wurzelte, mit der ab dem frühen 19. Jahrhundert zunehmenden Wahrnehmung der Musik als Kunstwerk und der sich verändernden sozial-ideellen Stellung des Künstlers einherging.
Steffen Voss (München) widmete sich hingegen der Frage, welche Erkenntnisse man sozusagen ‚durch die Brille‘ der in München überlieferten Musikalien über die Musikpflege am Münchner Hof gewinnen könne, wobei über die Person Maria Antonias, Kurfürstin von Sachsen, auch Vergleiche mit Dresden angestellt wurden. Klar wurden dabei die Genese und Komplexität der Sammlung sowie das Musikverständnis am Hof, aber auch in welcher Weise die Forschung damit umzugehen hätte.
Die Vorzüge und Probleme im wissenschaftlichen Umgang mit gewachsenen Sammlungen machte Ortrun Landmann (Dresden) anhand der sächsischen kurfürstlich-königlichen Hofkapelle deutlich. Einen Schwerpunkt bildeten die Schwierigkeiten, die die ForscherInnen erwarten und durch verschiedene sammlungsgeschichtliche Faktoren, wie Verluste durch Umordnungen, Verschenkungen oder die Zerstörung von Aufbewahrungsorten, gekennzeichnet sind. Aber auch die Wechselwirkungen zwischen institutioneller und personeller Entwicklung der Hofkapelle und der Sammlungsstruktur sind einzubeziehen.
In der zweiten Sektion wurden zentrale Sammlerpersönlichkeiten am Dresdner Hof während der sächsisch-polnischen Union beleuchtet. Vor allem Kurfürstin Maria Antonia stand im Zentrum, deren kulturellem Wirken sich zwei Vorträge widmeten. Christine Fischer (Basel) ging den Spuren nach, die sich in der Sammlung der Kurfürsten zur ihrer eigenen musikalischen Tätigkeit, Widmungswerken, sowie Vorlieben und bewussten Belegen für ihre musikalische Kennerschaft finden. Dabei stellte sie die Verflochtenheit von Politik und Kunst am frühneuzeitlichen Hof sowie die aktive Rolle von Frauen als Herrscherinnen darin heraus. Eine andere Perspektive nahm Nastasja Gandolfo (Würzburg) ein, indem sie die Herrscherin als Textdichterin, Interpretin und Sammlerin sowie die Frage nach der Rolle der Gattung der italienischen Kammerkantate in diesem Kontext in den Mittelpunkt stellte. Nina Eichholz (Dresden) untersuchte die erhaltenen Inventare zur Sammlung der Kurfürstin systematisch. Diese spiegeln Sammel- und Musizierinteresse und sind eine wichtige Hilfestellung für die Rekonstruktion der Sammlung. Jóhannes Ágústsson (Reykjavik) befasste sich schließlich mit dem Ehemann Maria Antonias, Friedrich Christian (1763 für kurze Zeit Kurfürst von Sachsen), vor seinem Herrschaftsantritt. Die Tage- und Rechnungsbücher des damaligen Kurprinzen geben Aufschluss über Sammel- und Ankaufspraxis sowie Transferprozesse von Musikalien.
Zwei Beiträge widmeten sich dem Bereich der Kirchenmusik vor dem Hintergrund von Quellen- und Repertoiretransfers. Janice Stockigt (Melbourne) zeigte anhand der Sammlung von Jan Dismas Zelenka (1679–1745) den Transferprozess von Musik zwischen Dresden und Böhmen. Alina Žórawska-Witkowska (Warschau) gab einen Überblick über das katholische Leben in Warschau zur Zeit Augusts III. und Maria Josephas und die religiöse Praxis des Hofes sowie die sie umgebende Musikpraxis, wobei hier die enorm schwierige Quellenlage zu betonen ist.
Zentral sind in der musikwissenschaftlichen Beschäftigung mit Notensammlungen auch Methoden der Quellenerschließung, -beschreibung und -analyse. Dazu gehört etwa die Frage nach dem Erkenntnisgewinn aus den für Musikalien verwendeten Einbänden. Anhand ausgewählter Beispiele aus Dresden demonstrierten Thomas-Klaus Jacob (Berlin) und Matthias Hageböck (Weimar) verschiedene Arten der Einbandgestaltung und -bestimmung sowie eine grundlegende Fachterminologie. Analog zu aktuellen Trends in der Musikwissenschaft befasste sich Claudia Lubkoll (Dresden) mit den Wasserzeichen in den Notenbeständen der Dresdner Hofkirche. Die Vorteile einer systematischen Erfassung von Papieren für die Datierung von Handschriften wurden durch ihre Ausführungen deutlich.
Die letzte Sektion war Fragen nach dem musikalischen Repertoire, Gattungen und Komponisten in der Dresdner Sammlung gewidmet. Roberto Scoccimarro (Dresden) gab einen Überblick über die darin erhaltenen Arienmanuskripte mit einer Schwerpunktsetzung auf Fragen der Zuschreibung und der Mehrfachtextierung dieser Musik. Die weiteren Referate befassten sich mit einzelnen Komponisten: Christin Seidenberg (Dresden) legte den Fokus auf die in Dresden überlieferten Werke Antonio Lottis. Sie untersuchte systematisch die handschriftlichen Quellen nach Hinweisen auf deren Entstehungszeit und -ort, wobei sie etwa an die Ausführungen über Wasserzeichen des Vortages anknüpfen konnte. Sie machte aber auch deutlich, dass Fragen zu Erwerbungs- und Verbreitungswegen dieser Werke noch nicht im Detail beantwortet werden können. Andrea Zedler (Regensburg) erläuterte die Hintergründe zu jenem Kantatenband, den Antonio Caldara dem Kurprinzen Friedrich August während dessen Zeit am Wiener Hof gewidmet hat. Außerdem ordnete Zedler diese Werke stilistisch in das Schaffen Caldaras sowie generell in die Gattungsgeschichte der Kantaten im Wien jener Zeit ein. Federico Maria Sardelli (Florenz) stellte Werke Antonio Vivaldis vor, die er in der Dresdner Sammlung identifizieren konnte, und demonstrierte eindrucksvoll seine Vorgehensweise. 2014 war es ihm gelungen eine bislang anonym überlieferte Sonate in G-Dur für Violine, Violoncello und Basso Continuo eindeutig Vivaldi zuzuschreiben (nun im Ryom-Werkverzeichnis RV 820).
Neben den Vorträgen gab es die Möglichkeit das Digitalisierungszentrum der SLUB Dresden zu besichtigen. Außerdem wurde von den Studierenden der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ (Leipzig, Fachrichtung Alte Musik) unter der Leitung von Susanne Scholz und Federico Maria Sardelli bei einem Konzert mit Werken aus dem Repertoire der Dresdner Hofkirche und der Königlichen Privat-Musikaliensammlung (u.a. die von Sardelli entdeckte Vivaldi-Sonate RV 820) die Forschung und ihre Quellen zum Klingen gebracht. Die Tagung bot nicht nur einen tiefen Einblick in die Musik am Dresdner Hof während der sächsisch-polnischen Union und ihre Quellen, sondern auch Anregungen für einen differenzierten Umgang mit diesem Material. Zudem wurde deutlich, welche Wege die künftige Musikwissenschaft, auf Basis der bisher geleisteten, enormen Grundlagenforschung, noch zu beschreiten hat.