Auf dem Weg zu einem neuen Haydn-Werkverzeichnis
Köln, 19.-20.06.2015
Von Ulrich Wilker, Köln – 27.07.2015 | Die Gesamtausgabe Joseph Haydn Werke, erarbeitet vom Joseph Haydn-Institut in Köln, steht kurz vor ihrer Vollendung. Schlussstein der Ausgabe soll ein neues Werkverzeichnis sein, das das zwar berühmte, aber längst veraltete und teilweise auch problematische Hoboken-Verzeichnis ersetzen soll. In Vorbereitung dieses Projekts veranstaltete das Haydn-Institut vom 19.–20. Juni 2015 den Kongress „Auf dem Weg zu einem neuen Werkverzeichnis“ in den Räumlichkeiten der Fritz Thyssen Stiftung in Köln. Die Referentinnen und Referenten vertraten sowohl die Haydn- bzw. Klassik-Forschung als auch aktuelle Komponisten-Werkverzeichnisse.
Nach der Begrüßung durch Prof. Dr. Wolfram Steinbeck eröffnete Prof. Dr. Ulrich Konrad (Würzburg) die Tagung mit einem Vortrag über „Werkverzeichnisse als zentrale Aufgabe der Musikwissenschaft“, in dem er Werkverzeichnisse als philologisch wie historiographisch komplexe wissenschaftliche Instrumente beschrieb, die nicht mit einer bloßen Auflistung von Werken zu verwechseln seien. Vielmehr handele es sich um nach historiographischen Gesichtspunkten strukturierte Textquellenverzeichnisse, die als wichtigste Nachschlagewerke zu Komponisten und deren Notentexten Orientierung in der unüberschaubaren Fülle von Schaffensbiographien ermöglichen. Der Leiter des Haydn-Instituts, Dr. Armin Raab, stellte anschließend „Wegweiser zum neuen Haydn-Werkverzeichnis“ auf und demonstrierte an einem Probeeintrag zur „Abschiedssinfonie“ ein vorläufiges Verzeichniskonzept. „Heutige Anforderungen an ein neues Haydn-Werkverzeichnis“ formulierte Prof. Dr. James Webster (Ithaca/N. Y.) als Repräsentant der (amerikanischen) Haydn-Forschung. Er widmete sich dabei u. a. der Frage, ob und wie eine neue Werknumerierung eingeführt werden kann, sowie den Problemen bei der Verzeichnung von Haydn fälschlich zugeschriebenen Werken. Ganz ähnlichen Fragen ging Sonja Gerlach, langjährige Mitarbeiterin des Haydn-Instituts, nach, die in ihrem Referat „Quellen-Suche und Quellen-Ordnung. Sechs Jahrzehnte Haydn-Gesamtausgabe als Voraussetzung für ein neues Werkverzeichnis“ die wichtigsten Erfahrungen der Institutsarbeit resümierte und die Aufgaben des neuen Werkverzeichnisses aus Sicht der Haydn-Philologie formulierte. Die „Aufgaben eines Haydn-Werkverzeichnisses aus der Sicht der Quellensammlungen“ waren hingegen Thema des Vortrags von Prof. Dr. Otto Biba (Archivdirektor bei der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien). Biba unterstrich dabei insbesondere das Alleinstellungsmerkmal, das sich das Haydn-Institut durch seine jahrzehntelange Forschungsarbeit erworben hat. Nur das Haydn-Institut verfüge überhaupt über die Kompetenz, ein auch neuesten wissenschaftlichen Fragestellungen genügendes Werkverzeichnis zu erarbeiten. Der erste Kongresstag ging mit einem Festkonzert anlässlich des 60jährigen Bestehens des Instituts zu Ende. Unter der Leitung von Ton Koopman spielte das WDR Sinfonieorchester Werke von Händel und Haydn (u. a. Sinfonie Hob. I:74, deren Edition in der Gesamtausgabe derzeit von Dr. Heide Volckmar-Waschk vorbereitet wird), Solist war Xavier de Maistre.
Der zweite Tag stand im Zeichen aktueller Werkverzeichnisprojekte. Dr. Ulrich Leisinger (eingesprungen für Dr. Wolfram Enßlin, Werkverzeichnis-Projekte im Bach-Repertorium), Prof. Dr. Neal Zaslaw („Der neue Köchel“. Thematisch-chronologisches Verzeichnis der Werke Wolfgang Amadeus Mozarts), Dr. Julia Ronge (Ludwig van Beethoven. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, 2014), Dr. Ralf Wehner (Felix Mendelssohn Bartholdy. Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke, 2009), Dr. Margret Jestremski (Hugo-Wolf-Werkverzeichnis, 2011) und Prof. Dr. Susanne Popp (Thematisch-chronologisches Verzeichnis der Werke Max Regers und ihrer Quellen, 2011) gaben Einblick in die Arbeit an den verschiedenen Verzeichnissen und erläuterten die jeweils zugrundeliegende Konzeption. Wiederkehrende Themen waren dabei die Strukturierung der präsentierten Fakten, der angestrebte Benutzerkreis und die Anbindung an Gesamtausgaben. Zudem stellten Dr. Axel Teich Geertinger (Kopenhagen) und Yulya Shein, M.A. (Mainz) mit dem Catalogue of Carl Nielsen’s Works und dem Gluck-Werkverzeichnis online zwei digitale Werkverzeichnisse vor. Von besonderem Interesse waren hier, neben der Präsentation der Informationen, die Überlegungen zu Datenerfassung (etwa in einem XML-Editor), -speicherung und -pflege. Zum Schluss sprach Dr. Norbert Gertsch, stellvertretender Leiter des Henle Verlags in München, über „Werkverzeichnis und Verlag. Publikationsformen aus der Sicht des G. Henle Verlags“. Gertsch spielte verschiedene Alternativen der physischen und digitalen Publikation des neuen Haydn-Werkverzeichnisses durch und widmete sich insbesondere der Frage, wie auf lange Sicht die Pflege einer Online-Datenbank zu sichern sei. Prof. Dr. Gernot Gruber übernahm die Moderation der Abschlussdiskussion, in der der Werkbegriff als solcher noch einmal problematisiert wurde.
Im Verlauf der Tagung wurde angesichts der verschiedenen Perspektiven aus der Haydn- und Klassikforschung sowie der Vielgestaltigkeit bereits erschienener Verzeichnisse, auf die bereits Ulrich Konrad in seiner Einführung aufmerksam gemacht hatte, deutlich, dass ein Komponistenwerkverzeichnis konzeptuell in erster Linie auf die Erfordernisse des jeweiligen Komponisten, seiner Werke und deren Überlieferung zugeschnitten sein muss. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die wertvollen Anregungen aus den Vorträgen und Diskussionen auf die Arbeit am neuen Haydn-Werkverzeichnis auswirken werden. Sicher ist, dass es auf der Höhe des neuesten Forschungs- und Darstellungsstands sein wird und damit gute Chancen hat, das überholte Hobokenverzeichnis zu ersetzen.