Der europäische Salon: Salonmusik im 19. Jahrhundert
Maynooth (Irland), 02.-04.10.2015
Von Petra Wilhelmy-Dollinger, München – 09.11.2015 | Vom 2. bis 4. Oktober 2015 fand am Institut für Musikwissenschaft der Universität Maynooth (National University of Ireland) eine internationale zweisprachige Konferenz zum Thema „The European Salon: Nineteenth-Century Salonmusik“ statt, an der nicht nur Fachgelehrte aus ganz Europa teilnahmen, sondern auch aus Amerika und Australien. „Der Zweck dieser Tagung ist es, die Bedeutung von Musik, die für den Salon komponiert und dort aufgeführt wurde, sowie die nichtmusikalischen Aspekte des Salons im Kontext des sozio-kulturellen wissenschaftlichen Diskurses über das 19. Jahrhundert neu zu evaluieren“, schrieb Dr. Lorraine Byrne Bodley, Senior Lecturer und Präsidentin der Gesellschaft für Musikwissenschaft in Irland, in ihrer Einleitung zum Konferenzprogramm. Das Konzept dieser interessanten interdisziplinären Tagung hatte Anja Bunzel, Forschungsstipendiatin des Irish Research Council und Doktorandin an der Universität Maynooth, erarbeitet; sie war auch die Vorsitzende des Organisationskomitees und sorgte für den reibungslosen Ablauf der Konferenz. Das Programm beinhaltete Sitzungen im Plenum, Konzert- und Liedvorträge sowie bis zu drei gleichzeitig tagende Sektionen zu speziellen Themen, gruppiert nach systematischen, chronologischen und regionalen Gesichtspunkten.
Zahlreiche Vorträge beschäftigten sich mit der Analyse verschiedener Arten von Salonmusik (impromptus, Lieder, Kammermusik usf.), ihrer Genese und Aufführungspraxis, andere untersuchten die Beziehungen zwischen Poesie und Musik, Fragen der Musikkritik sowie die interkulturelle Rezeption und Bearbeitung von musikalischen Werken. Salons als Schauplätze kulturellen Austauschs und als Räume für Virtuosen und Virtuosinnen, aber auch für junge Musiker und Musikerinnen, fanden in der Debatte ihren angemessenen Platz. Dabei wurde ein Kapitel der Sozialgeschichte der Musik diskutiert, das bis heute eine Herausforderung darstellt – die Möglichkeiten und Grenzen des Wirkens von Komponistinnen und Pianistinnen im 19. Jahrhundert. Die Referate zu regelmäßigen musikalischen Soiréen (die einem größeren Publikum offenstanden) und zu Salons im engeren Sinne von Salongeselligkeit (Konversation im Kreis einer Salonnière gemäß der französischen Geselligkeitstradition, oft eng verknüpft mit musikalischen Interessen) boten vielseitige Fallstudien nicht nur aus Paris, Wien, Prag, Berlin, Mailand und London, sondern auch aus weiteren Salonstädten in Europa und Nordamerika.
Die Analyse der Beziehungen zwischen Musik und den verschiedenen geselligen Sphären (privat, öffentlich, halböffentlich), der Wechselwirkungen musikalischer Geselligkeit mit dem öffentlichen Bereich (Salons und Bühne, Verbindungen mit Zeitschriften, Vernetzungen, Publikationsbedingungen für Notendruck) und mit künstlerischen und kulturellen Konzepten (etwa der Romantik) eröffneten der Debatte weitere Dimensionen. Eine völlig andere, indes sehr interessante Perspektive präsentierten einige Vorträge, die sich mit den im Salon benutzten Musikinstrumenten und der Entwicklung mechanisierter Musik im Kontext musikalischer Geselligkeit des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beschäftigten.
Wiederholt kam als zentrale Thematik die Analyse und Erläuterung der verbreiteten Klischees über die angeblich triviale „Salonmusik“ zur Sprache, auch und gerade angesichts zuverlässiger Berichte von anspruchsvoller Musik, die von „Dilettanten“ und professionellen Musikern in den Salons rezipiert und aufgeführt wurde. Hugo Riemanns berühmtes, aber nicht sehr hilfreiches Verdammungsurteil über „Salonmusik“ in seinem einflussreichen Musik-Lexikon war nur eine von vielen Stimmen im 19. Jahrhundert, die vor einer modischen, oberflächlichen Musikauffassung warnten. Selbst wenn solche Vorbehalte in mancher Hinsicht berechtigt waren, ist festzuhalten, dass die Debatte über Salonmusik stets durch Vorurteile und einen Mangel an exakten Definitionen vernebelt wurde. Dieses Dilemma hängt auch zusammen mit der Neigung zu Verallgemeinerung und Übertreibung (verstärkt durch Karikaturen und literarische Satiren) sowie mit den ganz unterschiedlichen Bedeutungen von „Salon“ (elegante Räumlichkeiten, Ausstellungen und Vorführungen, verschiedene Formen von Geselligkeit usf.). Im Verlauf der Sitzungen kristallisierte sich immer deutlicher heraus, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit „Salonmusik“ und „musikalischen Salons“ nicht nur die chronologische Einordnung und die Zuverlässigkeit von Quellen und Definitionen berücksichtigen muss, sondern auch den speziellen Kontext von musikalischen Veranstaltungen, zusammen mit den die kommunikativen und performativen Situationen bzw. Räume jeweils prägenden Faktoren. Obgleich sich die Schwerpunktsetzungen, Perspektiven und Einschätzungen (vorhersehbarerweise) vielfach unterschieden, wurde der Zweck dieser Tagung vollständig erreicht: In anregenden Debatten überprüfte und diskutierte man Thesen und Stereotypen, und einer differenzierten Betrachtung des komplexen kulturellen Phänomens kamen neue Einsichten, relevante Zusammenhänge und wiederentdecktes Quellenmaterial zugute. Die künftige Forschung im Bereich „Musik in Salons“ und „Salonmusik“ wird sicher von dieser sehr lebhaften Tagung profitieren, umso mehr, wenn demnächst zumindest einige der wichtigsten Vorträge in gedruckter Form zur Verfügung stehen werden.
Glanzlichter dieser Konferenz waren Veranstaltungen, die den Teilnehmern eine Kombination von akademischer Gelehrsamkeit und musikalischem Genuss boten, so etwa der anregende Konzertvortrag über Joseph Joachim (1831–1907) (Prof. Katharina Uhde / Prof. Larry Todd), ein weiterer über Musik aus dem Salonkreis Jessie Hillebrands (1827–1905) in Florenz (Prof. Michael Uhde / Prof. Katharina Uhde / Johanna Vargas) und schließlich der temperamentvolle Liedervortrag der großen Sopranistin Sylvia O’Brien, die Mme Pauline Viardot (1821–1910) als Diva, Komponistin und Meisterin des musikalischen Arrangements zum Leben erweckte. Genauso beeindruckten die tonangebenden Hauptvorträge („Keynote“-Lectures), die ebenfalls im Plenum stattfanden. Bereits am Eröffnungstag der Konferenz widmete sich Professor Susan Youens mit ihrer glänzenden Vorlesung über „Salon culture, night thoughts, and a Schubert song“ der Wiener Salonkultur in Gestalt Caroline Pichlers (1769–1843). Der abschließende Höhepunkt der Konferenz fand am Sonntagnachmittag statt, als Professor Harald Krebs in einem faszinierenden, tiefgründigen Referat die Pianistin und Komponistin Josephine Lang (1815–1880) vorstellte. Seine Frau, die Künstlerin und Wissenschaftlerin Sharon Krebs, sang dazu einige von Josephine Lang komponierte Lieder ganz zauberhaft mit genialem Einfühlungsvermögen.
Das spezielle Flair des Wochenendes ergab sich u.a. aus dem weiten Spektrum interessanter Vortragsthemen (man bedauerte oft, dass man nur an einer Sektion gleichzeitig teilnehmen konnte!) und aus der Möglichkeit, in den ehrwürdigen historischen Gebäuden der Universität Maynooth die persönliche Bekanntschaft bedeutender Kolleginnen und Kollegen sowie interessanter junger Damen und Herrn des wissenschaftlichen Nachwuchses zu machen. Sehr angenehm waren die informellen, doch überaus anregenden Unterhaltungen bei Tee, Kaffee, Obst und Gebäck während der Konferenzpausen. Mehr als einmal wurde bemerkt, dass man bei vielen Gesprächen den Eindruck hatte, man könne durchaus noch etwas spüren vom Geist der alten Salons.