Fürst und Fürstin als Künstler. Herrschaftliches Künstlertum zwischen Habitus, Norm und Neigung
Wolfenbüttel, 09.-11.10.2014
Von Lena van der Hoven, Berlin und Christian Katschmanowski, Mainz – 10.01.2015 | Die Betätigung der Fürsten und Fürstinnen in den Künsten war seit dem Spätmittelalter nicht nur Teil der Prinzen- und Prinzessinnenerziehung, sondern grundlegender Bestandteil des fürstlichen Alltags. Während die ältere Forschung das Phänomen der Fürsten und Fürstinnen als Künstler jedoch tendenziell noch als ein Spleen einer exzentrischen Herrscherpersönlichkeit isoliert betrachtete, wurde in jüngeren Arbeiten zunehmend die kulturhistorische Bedeutung dieser Beobachtung erkannt. Um diesem Phänomen des malenden, entwerfenden oder musizierenden Fürsten und dem ihm zugrunde liegenden (Fürsten)Habitus näher zu kommen, bedarf es einer vergleichenden und vor allem interdisziplinären Perspektive.
Einen solchen fachübergreifenden Blick nahm die internationale Tagung „Fürst und Fürstin als Künstler“ vom 9. bis 11. Oktober 2014 ein, zu der der Rudolstädter Arbeitskreis zur Residenzkultur nach Wolfenbüttel geladen hatte. Die Tagung entstand in Zusammenarbeit mit der Herzog August Bibliothek und wurde gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung. Mit der Veranstaltung boten die Organisatoren Matthias Müller (Mainz), Klaus Pietschmann (Mainz) und Annette Cremer (Gießen) erstmals einen Rahmen, um das kulturhistorische Potential des Gegenstandes für die Forschung zu erschließen.
Die Leitfragen der Tagung betrafen das Selbstverständnis und den Habitus, der sich aus der Kunstpraxis für die Fürsten und Fürstinnen ableiten lässt. In vier Sektionen zur Bautätigkeit und Ingenieurkunst, der Handwerkskunst, der Kultivierung und Inszenierung von Herrschaft durch Bilder und Texte sowie der Musik- und Kompositionspraxis näherten sich die Referenten dem Thema. Die hier fokussierte vierte Sektion der Tagung nahm den Fürsten und die Fürstin als Musiker, Komponist und Tänzer in den Blick, deren musische Tätigkeit sich jeweils zwischen Staatsraison und Plaisir bewegte. Dieser Tagungsbericht widmet sich ausschließlich den musikwissenschaftlichen Beiträgen der Tagung. Ein vollständiger Bericht ist unter http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5760 abrufbar.
Der erste Vortrag von Nicole Schwindt (Musikhochschule Trossingen) zu Kaiser Maximilian I. von Habsburg verdeutlichte die Bedeutung fürstlichen Musikertums als Teil einer Inszenierungsstrategie. In einem Holzschnitt von Hans Burgkmair im Weisskunig präsentierte sich der Kaiser als Leiter seiner Musiker, äquivalent zu seiner Position als Feldheer. Dennoch betonte Schwindt die Schwierigkeit der Personalunion von Krieger und Musiker an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, da die Kunst als weich und weibisch angesehen wurde. Maximilians musikalische Selbstdarstellung verweise auf sein Bemühen, sich innerhalb eines neuen kulturellen Trends darzustellen. Die faktische Musikausübung des Kaisers selbst bleibe jedoch umstritten. Die Referentin unterschied vier Kategorien des Musiker-Fürsten, die einzeln oder in Kombination auftreten konnten: Erstens die (auch passive) Liebe zur Musik, zweitens theoretische Musikkenntnisse, drittens das eigene Instrumentalspiel oder die vokale Aufführung und viertens das eigene Komponieren. Die Unterscheidung dieser vier Kategorien, die auf unterschiedliche Inszenierungsstrategien verweisen können, war für die Tagung wegweisend.
Ein nicht nur inszeniertes, sondern auch faktisches Musikertum im frühen 18. Jahrhundert wurde im nachfolgenden Vortrag von Ursula Kramer (Mainz) am Beispiel von Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt vorgestellt. Wie Kramer betonte, sind die zeitgenössischen Quellen zur Beurteilung dieser musischen Tätigkeiten von Fürsten und Fürstinnen jedoch sehr rar. Ernst Ludwig wurde als „director musicus“ beschrieben, der bei Aufführungen den Takt schlug und viel komponierte. Seine Kompositionen wurden zweckgebunden zu Feierlichkeiten oder im familiär-höfischen Kreis aufgeführt. Seine eigenen Gesangsauftritte blieben charakteristisch für den Aufführungsdiskurs des Fürsten auf gesellige Abende am eigenen und an fremden Höfen beschränkt. Mit der Thematisierung des Aufführungsortes des musizierenden Fürsten und seines Publikums berührte Kramer eine der zentralen und immer wiederkehrenden Fragen der Tagung.
Eine von Maximilian I. differente musikalische Inszenierungsstrategie stellte Christiane Wiesenfeldt (Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar/Jena) anhand der Messkompositionen von Herzog Guglielmo Gonzaga am Hof von Mantua vor. Für seine Basilica Santa Barbara gab er nicht nur eine eigene Liturgie in Auftrag, die päpstlicherseits approbiert wurde, sondern er beteiligte sich auch selbst kompositorisch – seine Autorschaft blieb in den Drucken jedoch anonym. Daher stellte Wiesenfeldt die Guglielmo zugeschriebenen Kompositionen selbst auf den Prüfstand. Während sie seine Autorschaft für die Lieder Villotte mantovane ausschloss und für die ihm zugeschriebenen Magnificats für unwahrscheinlich erachtete, hielt sie seine Autorschaft für die Madrigale, Messen, Motetten und das Te Deum jedoch für wahrscheinlich bis höchstwahrscheinlich. Wie die Referentin darlegen konnte, trat der Katholik Guglielmo in der musikalischen Außendarstellung des Hofes durch die Anonymität seiner Kompositionen als Komponist hinter das Werk zurück und zeigte sich als Teil einer höfischen Einheit, die durch das Komponistennetzwerk seines Hofes verkörpert werden sollte.
Anders als Guglielmo Gonzaga, der seine Kompositionen zum Gotteslob nutzte, sind die sehr unbekannten Kompositionen von König Ludwig XIII., denen der nachfolgende Vortrag von Margret Scharrer (Saarbrücken) gewidmet war, mehr dem Plaisir und der Rekreation als der Staatsraison zuzuordnen. Dies war auch durch die Hauptquelle des Vortrages, dem Tagebuch des königlichen Leibarztes Jean Héroard, begründet, aus der sich ein intimer Blickwinkel auf dessen Musizier- und Kompositionspraxis ergab. So wurde für den Dauphin Musik zu den Abend- und Nachtstunden zum Einschlafen gespielt und auch als König musizierte und komponierte er vor allem abends und nachts sowie in Krankheitsphasen. Die königlichen Kompositionen, bei denen die Bassstimme von Hofkomponisten notiert wurde, wurden jedoch häufig bei höfischen Divertissements aufgeführt und entsprachen demnach nicht nur dem Plaisir. Als repräsentatives Kunstwerk führte Scharrer Le Ballet de la Merlaison (1635) an, für das der König selbst die Musik komponiert, den Text geschrieben und die Choreographie und Kostüme entworfen hatte.
Christine Fischer (Basel) beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit Fürstinnenporträts im höfischen Opernwesen. Sie verdeutlichte, dass es sich bei der Oper um einen Ort der Manifestation von Geschlechterrollen handelte. Dabei veranschaulichten höfische Opern meistens Eigenschaften des Fürstenspiegels. Darüber hinaus zeigte Fischer, wie häufig die künstlerische Urheberschaft im höfischen Opernwesen bei Fürstinnen lag und wie stark diese variieren konnte. Herzogin Sophie Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg half zum Beispiel die Hofkapelle neu zu organisieren, Königin Sophie Charlotte in Preußen nahm Einfluss auf die Konzeption einzelner Opern, und Kurfürstin Maria Antonia Walpurgis von Sachsen und Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth verfassten Libretti und/oder komponierten Opern selbst. Traten Fürstinnen allerdings als Sängerinnen oder Dirigentinnen auf, erfolgte dies immer im innerhöfischen Kreis vor einem kleinen Publikum. Im Vergleich zu Herzog Guglielmo Gonzaga, der anonym und König Friedrich II. von Preußen, der seine Kompositionen überhaupt nicht publizierte, erscheinen die Publikationen der Kurfürstin Maria Antonia Walpurgis von Sachsen und Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth hervorhebenswert. Sie führen zu der Frage, ob das „WIE“ der Inszenierung des komponierenden Fürsten ans Geschlecht und /oder die Regierungsführung gekoppelt war.
Mit dem letzten Vortrag der Sektion von Christiane Hille (Ludwig-Maximilians-Universität München) erfolgte die Hinwendung zu der Möglichkeit des Scheiterns in der Kunstpraxis des Fürsten am Beispiel des tanzenden Königs Karl I. von England. Hille betonte nicht nur die Verkehrung der Blickrichtung von Objekt und Subjekt, wenn der Fürst als Tänzer auf die Bühne trat, sondern auch dessen Zwei-Körperlichkeit. Insbesondere ihre These, dass es beim tanzenden Fürsten zu einer Bedeutungsverschiebung von der virtus zur Virtuosität des Körpers komme, da der trainierbare, vergängliche Körper und damit der body-natural fokussiert erscheint, während der body-politic ausgeblendet werde, wurde in der anschließenden Diskussion kritisch hinterfragt. Die Diskussion führte zu der Vermutung, dass es sich, wenn ein Fürst tanzend oder musizierend auf der Bühne stehe, immer um den „body politic“ handele.
Im Laufe der Tagung kristallisierten sich weitere Kernfragen heraus: Was kann welche Gattung für das Selbstverständnis oder die Inszenierung des Fürsten leisten? Existierte eine Geschlechtergebundenheit einzelner Gattungen? Welcher Grad der Öffentlichkeit wurde für die jeweilige Kunstausübung in Anspruch genommen? Und damit zusammenhängend, welche unterschiedlichen Rezeptions- und Zielgruppen wurden angesprochen? Wie ist Autorschaft in Hinblick auf Nachahmungsprinzipien oder Kollaborationen einzuordnen? Gibt es eventuell unterschiedliche „Kunst“-Erziehungspläne für Erst- und Nachgeborene? Welche Rolle spielten persönliche Neigungen und Familientraditionen bei der Erlangung von Kennerschaft? Wurde der Versuch einer Einschreibung in eine Generationsfolge unternommen? Darüber hinaus ist zu hinterfragen, ob der Begriff des „Dilettantismus“ tatsächlich geeignet ist, oder ob vielleicht besser von einer „kulturellen Produktion“ gesprochen werden sollte. Mit den diskutierten Fragen verdeutlichte die Tagung, wie essentiell die konkrete zeitliche, personelle und politische Kontextualisierung des jeweiligen Fürsten als Künstlers ist.