Zwischen den Zeiten: Die Weimarer Bachsöhne – Aufbruch in die Moderne
Weimar, 01.-02.05.2014
Von Katharina Steinbeck, Weimar – 02.10.2014 | 2014 feierte Weimar den 300. Geburtstag seines großen Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach. Wie sein ebenfalls in Weimar geborener, wenig älterer Bruder Wilhelm Friedemann Bach wirkte er in einer Zeit, die sich neben einem erstarkenden Handelsbürgertum durch eine gewandelte Idee von Wahrhaftigkeit, Reinheit und Schönheit, gepaart mit einer systematischen Entdeckung der Natur, auszeichnete. Inmitten des aufklärerischen Denkens war auch das künstlerische Umfeld der Bach-Söhne geprägt von widersprüchlichen Thesen und Einstellungen. Die Frage um den richtigen, wahren wie dem Anlass gemäßen Stil wurde auf europäischer Ebene in teilweise heftigen und kontrovers geführten Debatten ausgetragen.
Dieser Zeit des Aufbruchs widmete sich das zweitätige Symposion im Festsaal des Fürstenhauses der Hochschule für Musik Franz Liszt unter der Leitung der Direktorin des Instituts für Musikwissenschaft Weimar-Jena, Frau Prof. Dr. Helen Geyer.
Nach der Eröffnung des Symposiums durch Prof. Dr. Helen Geyer und einigen Grußworten u. a. des Präsidenten der Hochschule, Prof. Dr. Christoph Stölzl, bot die erste Sektion des Nachmittags gleich zweierlei Einstiege und Vertiefungen: sowohl in die Kompositionen C. Ph. E. Bachs und deren Faktur wie auch in die musiktheoretischen und ästhetischen Schriften der Zeit. Prof. Dr. Albrecht von Massow (Weimar-Jena) öffnete mit seinem Referat über die Inszenierung und Beherrschung des Unerwarteten in C. Ph. E. Bachs Streichersymphonien den Blick auf das Freudige und Positive der häufig mit Düsternis assoziierten musikalischen Moderne, welches u. a. ausgehend von der kompositorischen Experimentierlust Bachs zu deuten sei. Dieser „optimistischen Moderne“ spürte er speziell auch im sinfonischen Werk Bachs nach. Dr. Christian Storch (Göttingen) stellte dagegen in seinem Vortrag einen Vergleich des in C. Ph. E. Bachs Klavierschule und in weiteren musikästhetischen Schriften der Zeit verwendeten Vokabulars an, mit welchem die Zeitgenossen das Rhetorische, die musikalisch-rhetorische Figuren in Abkehr von der aristotelischen Mimesislehre zu benennen versuchten. Neben einer zunehmend auf das ästhetische Ich rekurrierenden Ästhetik wandten sie sich vielmehr derjenigen des Ausdrucks und des Geniegedankens zu.
Den Festabend eröffnete Prof. Dr. Hans-Günter Ottenberg (Dresden) mit seinem Festvortrag zu „Carl Philipp Emanuel Bach – Musik für Europa. Ein Komponist und seine Öffentlichkeit“. Im Anschluss daran fand ein Konzert mit Cembalisten des Instituts für Alte Musik der Hochschule (Prof. Bernhard Klapprott) und Werken von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach statt.
PD Dr. Erich Tremmel (Augsburg) begann den Folgetag mit der Darstellung zweier Kuriositäten innerhalb des Werks C. Ph. E. Bachs. Mit den Instrumenten Flauto basso und Bogenclavier wurden auch zwei Werke C. Ph. E. Bachs vorgestellt, die auf Grund der Besetzung bzgl. ihrer Entstehungen und der Differenzen ihrer verschiedenen Versionen ein bezeichnendes Licht auf Bachs Bearbeitungspraxis eigener Werke warfen. Den Höhepunkt des Vormittags, die feierliche Eröffnung der Ausstellung „Weimarer Bach-Quellen“ des Thüringischen Landesmusikarchivs Weimar, leitete Dr. Christoph Meixner (Weimar) mit seinem Bericht über neueste Funde der Provenienzforschung im Umkreis der Familie Bach ein. Anschließend hob Prof. Dr. Arnfried Edler (Hannover) in seinen Überlegungen zur Rolle der beiden ältesten Bach-Söhne in der Geschichte der Musik für Tasteninstrumente insbesondere die Bedeutung Carl Philipp Emanuels als Komponist und Schöpfer neuer Gattungen hervor, welche ebenso wie sein prägender Einfluss auf den ästhetischen Diskurs seine Entwicklung zum großen Innovatoren und musikalischen Stichwortgeber der Epoche begünstigt habe. Der schwierigen wie grundlegenden Frage, inwieweit es sich bei dem Phänomen, dass C. Ph. E. Bach zwischen seinen Jubiläumsjahren immer wieder in Vergessenheit gerät, um ein Problem der Werke oder eines der Geschichtsschreibung und der Analyse handele, ging Prof. Dr. Helmut Well (Weimar-Jena) anhand exemplarischer Ausschnitte aus den Württembergischen Sonaten von 1743 nach.
Die Sektion des Nachmittags eröffnete Dr. Maria Stolarzewicz (Weimar-Jena) mit Überlegungen zur Poiesis in den Schriften C. Ph. E. Bachs und seiner Zeitgenossen. Dabei wurden speziell die musiktheoretischen Äußerungen der Zeitgenossen und das Postulat emotionaler Ergriffenheit des Rezipienten als Hauptwirkung eines literarischen oder musikalischen Werkes beleuchtet. In seinem Referat über C. Ph. E. Bach und seine mitteldeutschen Zeitgenossen als Kantatenkomponisten hinterfragte Dr. Claus Oefner (Eisenach) das Urteil des „Verfalls der Kirchenmusik“, der „neueren protestantischen Kirchenkantate“ der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und forschte nach Gründen einer „Nicht-Beteiligung“ C. Ph. E. Bachs am Stil- und Bedeutungswandel der Gattung Kantate. Vor dem Hintergrund älterer literarischer Modelle – wie bspw. derjenigen Johann Matthesons – betrachtete Prof. Dr. Joachim Kremer (Stuttgart) werkbezogene Äußerungen in autobiographischen Texten C. Ph. E. Bachs und einiger Zeitgenossen. In seinen Gedanken zur Ästhetik des Festlich-Erhabenen zog Prof. Dr. Wolfgang Hirschmann (Halle) vergleichende Schlüsse zwischen den beiden Einweihungsmusiken für die Große St. Michaeliskirche von Georg Philipp Telemann und C. Ph. E. Bach mit Blick auf ihre textlichen Grundlagen, ihre Aussagen und ihre musikalische Faktur. Zum Abschluss der Referate des Symposiums richtete Prof. Dr. Kathrin Kirsch (Kiel) den Blick auf C. Ph. E. Bachs Passionskantate (Matthäus) und thematisierte dabei insbesondere die Auseinandersetzung mit der vom Vater geprägten Tradition.
In einer abschließenden, regen Diskussionsrunde löste der provozierende Titel des Symposiums „Zwischen den Zeiten“ die ersehnte Debatte um jene Jahrzehnte aus, die weder mit den Begrifflichkeiten des Barock, noch mit jenen der Klassik überzeugend zu fassen sind. Es deutete sich der Wunsch an, auf weiteren Tagungen diese Debatten fortzusetzen, um Lösungen des musikgeschichtlichen terminologischen Dilemmas finden zu können. Denn auch die generelle Titelsetzung 18. Jahrhundert wurde als wenig überzeugend empfunden. So konnte mit dieser Tagung ein wichtiger Grundstein für eine erweiterte Beschäftigung mit dem Œuvre der beiden großen Weimarer Bachsöhne gelegt werden.