„Johann Ludwig Krebs (1713–1780): Leben und Wirken“
Weimar, 12.-13.10.2013
Von Julian Heigel, Berlin – 18.11.2013 | Im herbstlichen Weimar fand vom 12. bis 13. Oktober 2013 das wissenschaftliche Symposium „Johann Ludwig Krebs (1713–1780): Leben und Wirken“ statt. Ausgerichtet wurde das Symposium von der Academia Musicalis Thuringiae (AMT) in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena aus Anlass des 300. Geburtstages des thüringisch-sächsischen Komponisten Johann Ludwig Krebs. Anliegen der Veranstaltenden war es, Krebs nicht nur als Bachschüler und Orgelkomponisten wahrzunehmen, sondern ihn als eigenständigen, stilistisch vielfältigen Komponisten der Jahrhundertmitte zu begreifen, dessen Œuvre bisher mit Ausnahme der Orgelwerke kaum musikalisch analysiert, interpretiert und kontextualisiert worden ist.
Den Reigen eröffneten die Einführungen von Christian Storch (Göttingen/ AMT) und Helen Geyer (Weimar-Jena), die eine erste Einordnung von Johann Ludwig Krebs vornahmen und die Fragestellungen und Ziele des Symposiums formulierten. Als erster Beiträger referierte Arne zur Nieden (Göttingen) über den italienischen Stil in Krebs’ Klavier- und Orgelwerken. Den Ausgangspunkt bildeten einige von Krebs selbst mit „a gusto italiano“ überschriebene Werke. Die Kriterien für den italienischen Stil bestimmte zur Nieden anhand von Johann Adolph Scheibes Abhandlungen Compendium Musices (1730) und Critischer Musikus (1738/ 1740). Dabei fokussierte zur Nieden neben der melodiebezogenen, simplen Faktur besonders den lombardischen Rhythmus, den er als typisches Stilmerkmal des Italienischen herausstrich. Als Referenz führte zur Nieden ähnliche Charakteristika in Johann Sebastian Bachs „Italienischem Konzert“ (1735), in Scheibes „Concerto per il Cembalo“ (1727) und in Johann Adolph Hasses „Sechs Concerti für Cembalo oder Orgel“ (1741) an.
Charris Efthimiou (Graz) wählte einen stark analytisch ausgerichteten Zugriff, um Krebs’ „Sechs Triosonaten für zwei Flöten (oder Violinen)“ (Krebs-WV 317–322) zu beschreiben. Efthimiou konzentrierte sich zum einen auf die Intervallverhältnisse der Stimmen und zum anderen auf das Verhältnis von imitatorischen und nichtimitatorischen Abschnitten in den einzelnen Sätzen. Seine Beobachtungen machten die farbliche Varianz deutlich, mit der Krebs die einzelnen Phrasen gestaltet. Auch Efthimiou zog vergleichend andere Triosonaten von Zeitgenossen heran, nämlich von Carl Philipp Emanuel Bach und Johann Sebastian Bach. Diese Gegenüberstellung verdeutlichte, wie stark sich Krebs hinsichtlich der Melodiegestaltung an Carl Philipp Emanuel anlehnt und gleichzeitig, wie sehr sich beide von Johann Sebastian Bach unterscheiden.
Erfreulicherweise konnte auch der ,Nestor‘ der Krebsforschung, Felix Friedrich (Altenburg), als Beiträger gewonnen werden. In seinem Vortrag widmete sich Friedrich der Frage nach Krebs’ Verhältnis zum Klavier- und Orgelbau seiner Zeit. Dafür stellte er einige bisher nicht ausgewertete Dokumente vor, nämlich mehrere Orgelgutachten von Krebs sowie dessen Korrespondenz mit den Instrumentenbauern Gottfried Silbermann, Tobias Heinrich Gottfried Trost und den Brüdern Friderici. Diese Quellen geben unter anderem Aufschluss über Krebs’ Klangideal, das dem empfindsamen Stil Rechnung trägt. Als praktizierender Musiker bezog Friedrich seine Ergebnisse auch auf die Aufführungspraxis wie beispielsweise die Wahl des Tasteninstruments für Krebs’ Werke.
Stephen A. Crist (Atlanta) fragte in seinem Beitrag nach dem Einfluss von Johann Sebastian Bach auf Krebs’ Arien-Gestaltung. Im Mittelpunkt seiner Analyse standen zwei Sopranarien aus Kantaten von Krebs, denen Crist vergleichend Arien von Bach gegenüberstellte. Für die erste Arie „Schlage bald, geliebte Stunde“ (Krebs-WV 110/3) zeigte Crist eine Äquivalenz der Semantik zu Bachs Arie „Ach schlage doch bald“ (BWV 95/5), die eine ähnliche Instrumentation aufweist. Anhand der zweiten Arie „Lass dein Herze mit Erbarmen“ (Krebs-WV 112/3) verwies Crist auf eine auffällige formale Übereinstimmung mit Bachs Arie „Mein Jesus soll mein alles sein“ (BWV 75/3), nämlich die Wiederholung eines Textausschnitts des A-Teils im B-Teil.
Nahtlos schloss daran der Beitrag von Julian Heigel (Berlin) an, der ebenfalls die Kantaten von Krebs zum Gegenstand hatte. Zunächst gab Heigel einen Überblick über die erhaltenen Kantaten, ihre Abschriften, Schreiber und ihre vermutlichen Aufführungsorte im gesamten 18. Jahrhundert. Besondere Aufmerksamkeit galt der erstmaligen Zuweisung der Libretti zu Textdichtern, nämlich Erdmann Neumeister und Johann Oswald Knauer. Darüber hinaus arbeitete Heigel die stilistische Vielfalt innerhalb der Krebsschen Kantaten heraus, in denen kontrapunktische Formen und wortbezogene musikalische Rhetorik neben frühklassischer Themenbildung und empfindsamer Ästhetik stehen.
Den Abschluss bildete Kathrin Kirsch (Kiel) mit einem Beitrag zu Krebs’ lateinischem Magnificat (Krebs-WV 105), das sie den Magnificat-Vertonungen von Johann Sebastian Bach (BWV 243) und Carl Philipp Emanuel Bach (H 722) gegenüberstellte. In ihrer vergleichenden Analyse arbeitete Kirsch heraus, dass Krebs in seinem Magnificat in ausgesprochen moderner Weise gestische Aspekte, klangliche Kontraste und eine explizite ‚Simplizität‘ des musikalischen Satzes nutzt, um einer Ästhetik des unmittelbaren religiösen Ausdrucks Vorschub zu leisten. Als Ergebnis betonte Kirsch ebenfalls, dass sich Krebs eher an Carl Philipp Emanuel als an Johann Sebastian Bach anschließt.
Abgerundet wurde das Symposium durch ein Konzert anlässlich des 300. Geburtstags von Krebs in Krebs’ Taufkirche Buttelstedt bei Weimar, das im Rahmen des Festivals Alter Musik in Thüringen, „Güldener Herbst“, stattfand. Auf dem Programm standen zum einen Vokalwerke von Johann Ludwig Krebs und zum anderen Werke des zweiten prominenten Buttelstedter Komponisten, nämlich Johann Friedrich Fasch. Aufgeführt wurden diese vom Ensemble Hofmusik Weimar unter der Leitung von Johannes Kleinjung.
Aufgrund der fundierten, sorgfältig vorbereiteten Beiträge, der angenehmen Diskussionsatmosphäre und nicht zuletzt aufgrund des stimmigen Rahmenprogramms wird dieses kleine Symposium den Teilnehmenden sicherlich in guter Erinnerung bleiben. Unbenommen hat es neue Impulse für die Krebs-Forschung gesetzt, aber auch für die Beschäftigung mit der Generation nach Bach, die aus der Tradition schöpfend neue Wege gegangen ist. Eine Veröffentlichung der Beiträge in der Schriftenreihe der Academia Musicalis Thuringiae ist geplant.