SysMus13 - International Conference of Students of Systematic Musicology
Genua, 12.-14.09.2013
Von Laura Neumann und Stefan Hindtsche, Leipzig – 11.01.2014 | Die sechste der SysMus-Konferenzen, einer von Richard Parncutt und Manuela Marin ins Leben gerufenen Tagungsreihe für Studierende der Systematischen Musikwissenschaft, fand vom 12. bis 14. September 2013 im CasaPaganini-InfoMus Research Centre (Genua) statt. Wie in den vorangegangenen Jahren bot diese Tagung vor allem Studierenden und Doktoranden die hervorragende Möglichkeit, aktuelle Projekte zu präsentieren, kennen zu lernen und zu diskutieren. Die Zusammenarbeit mit Antonio Camurri, Direktor der CasaPaganini, und dessen Mitarbeitern erwies sich dabei als besonders gewinnbringend, da an diesem Forschungszentrum auf interdisziplinärer Ebene Aspekte des Musizierens und der Rezeption untersucht werden, die in einzigartiger Weise mit den Interessengebieten der systematischen Musikwissenschaft korrespondieren. So lagen auch die programmatischen Schwerpunkte der einzelnen Sitzungen innerhalb der Forschungsgebietesowohl der CasaPaganini als auch der SysMus-Reihe: Mit der Einführung in „EyesWeb“, der an der Universität Genua entwickelten Software zur digitalen Erfassung und Verarbeitung physikalischerBewegungsmuster, die während des Musizierens stattfinden, gab es zunächst einen Einblick in die aufschlussreichen Untersuchungen, die zur Zeit an der CasaPaganini getätigt werden.
Die folgenden Präsentationen waren jeweils den Abteilungen „Music & movement“, „Joint action outcomes in music performance“, „Individual action outcomes in music performance“, „Music perception and cognition“, „Computational perspectives“ sowie „From analysis to philosophy and sociology“ zugeordnet. Die erste Abteilung wurde mit der Präsentation des zu dieser Tagung eingeladenen Frank E. Pollicks (Glasgow) eingeleitet, in welcher Fragen der Wahrnehmung von Tanzperformances in psychologischer Hinsicht verfolgt wurden. Hierbei interessierte sich Pollick insbesondere für die unterschiedliche Wahrnehmung von Tanz mit und ohne Musik sowie die dabei entstehenden Hirnaktivitäten. In der zweiten Sitzung („Music & movement“) wurden vor allem Dissertationsprojekte vorgestellt, die einerseits die Verbindungen von Musik und Gestik (Tobias Neuhold, Graz und Mats Küssner, London), andererseits jene von Rhythmus und musikalischem Nachvollzug (Andrew Rogers/Ian Gibson, Huddersfield und Li-Ching Wang, Cambridge) beleuchteten.
Zusammengefasst unter der Überschrift „Joint action outcomes in music performance“ wurden musiksoziologische Betrachtungen angestellt, die sich auf Interaktionen während des Zusammenspiels in kleinen Ensembles bezogen. Neben der Behandlung unterschiedlicher Bewegungsformen von Musikern, die dasselbe Werk alleine und im Streichquartett realisierten (Arianna Riolfo/Carlo Chiorri/Donald Glowinski, Genua), und der Intersubjektivität so genannter dirigierter Improvisation (Gabriele Marino/Vincenzo Santarcangelo, Turin), konnte hier erneut die „EyesWeb“-Software zum Einsatz kommen: Mit Hilfe genauer Beobachtung der non-verbalen, gestischen Kommunikation innerhalb eines Streichquartetts zeigten Floriane Dardard, Donald Glowinski und Giorgio Gnecco (Genua) unterschiedliche Arten von leadership – der je nach Situation wechselnden Dominanz von Art und Zugehörigkeit einer leitenden Funktion im Ensemble.
Die zweite Abteilung leitete Peter Keller mit einem weiteren Hauptvortrag über seine noch überwiegend am Max Planck Institute for Human Cognitive and Brain Sciences Leipzig entstandenen Forschungsergebnisse zum Einfluss sozialer Faktoren während musikalischer Darbietungen ein. Besonderes Augenmerk legten sein Team und er dabei auf die kognitiven sowie motorischen Kapazitäten, derer es bedarf, um gemeinsames Musizieren zu koordinieren. So wurde beispielsweise auf die Ergebnisse von Rasmus König eingegangen, der in seiner Untersuchung nachweisen konnte, dass junge männliche Chorsänger von der Anwesenheit eines vornehmlich weiblichen Publikums des gleichen Alters während des Spielens maßgeblich beeinflusst werden. In diesem Setting wurde gezeigt, dass bei den Musikern in erhöhter Weise kognitive Ressourcen in Gebrauch waren. Diese Ergebnisse unterschieden sich von denen anderer Settings, in denen sich das Publikum aus Personen anderen Alters und Geschlechts zusammensetzte.
Im Kontext „Music perception and cognition“ stellte Andrew Goldman (Cambridge) erneut einen Zusammenhang zwischen Kognitionsforschung und musikalischer Improvisation her, indem er die Frage aufwarf, inwiefern sich einerseits die Improvisationen unterschiedlicher Musiker in ihren jeweiligen kognitiven Repräsentationen unterscheiden, andererseits gleiche musikalische Strukturen auf die Wahrnehmung der Musiker in jeweils unterschiedlichen Situationen einwirken. Die weiteren Referenten bezogen sich wiederum ausschließlich auf Themen der Wahrnehmungsforschung; hierbei wurde ein breites musikalisches Spektrum von Monteverdis emotional figures (Louise Sykes, Donald Glowinski, Didier Grandjean, Olivier Lartillot, Kim Torres-Eliard, Genf) bis hin zu equitone music (Barry Ross, Sarah Knight, Cambridge) bedient.
In der vorletzten Abteilung standen Probleme der musikalischen Repräsentation philosophischer und emotionaler Intentionen im Vordergrund: Während Karolina Kolinek (Warschau) in W. Lutoslawskis Werk nach Zeichen emotionalen Ausdruckes suchte, zeigte Pawel Siechowicz (Warschau) die strukturelle Verwandtschaft zwischen Kompositionen und Gemälden M. K. Čiurlionis‘. Außerdem versuchte Federico Lazzaro (Montreal) Eigenschaften eines Stils zu ermitteln, der sich zu der so genannten „École de Paris“ zusammenfassen lassen können. Die Tagung wurde unter der Überschrift „Computational Perspectives“ zum Abschluss gebracht, wobei die Forschung Antonio Camurris rund um das „Potter“, ein interaktives System zum Umsetzen und Entdecken eigener Klangvorstellungen für Kinder, vorgestellt wurde.
Diese und weitere interessante Beiträge, die hier nicht näher erläutert werden können, ließen diese Tagung in Verbindung mit einem liebevoll erdachten Freizeitprogramm, der reizvollen Kulisse und dem bewundernswerten Engagement der Gastgeber und Organisatoren zu einem produktiven und inspirierenden Ideenaustausch werden. Insgesamt zeichnete sich auf der SysMus13-Konferenz eine Entwicklung der Systematischen Musikwissenschaft ab, die in Richtung einer holistischenErforschung menschlicher Lern-, Interaktions- und Wahrnehmungsmodi weist; so scheinen Fragen nach Kommunikationswegen im musikalischen Ensemble oder nach Entstehung und Wirkung der Vorstellung vom musikalischen Genie die übliche Division der Systematischen Musikwissenschaften in ihre Einzeldisziplinen aufzulösen. Dass dabei neue Perspektiven der Systematischen Musikwissenschaft aufgezeigt wurden, die auf pädagogischer, künstlerischer und anthropologischer Ebene Möglichkeiten zur weiterführenden Nutzung der Erkenntnisse bereithalten, war die große Stärke dieser Tagung. Einige der vorgestellten methodologischen Ansätze auch in künftigen Projekten wieder zu finden, wäre eine wünschenswerte Konsequenz.