„Händel und die Konfessionen"
Halle (Saale), 04.-06.06.2012
Von Teresa Ramer-Wünsche, Halle an der Saale – 26.06.2012 | Anlässlich der Händel-Festspiele 2012 in Halle (Saale) luden die Franckeschen Stiftungen, die Stiftung Händel-Haus, Halle/Saale, das Institut für Musik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Abteilung Musikwissenschaft, und die Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft e. V. vom 4. bis zum 6. Juni 2012 zu der Internationalen Wissenschaftlichen Konferenz ein, in deren Mittelpunkt die Frage nach dem Einfluss der konfessionellen Zugehörigkeit auf den Lebensweg und das kompositorische Schaffen Georg Friedrich Händels stand.
In seiner Einführung wies Wolfgang Hirschmann, Professor für Historische Musikwissenschaft am Institut für Musik, auf die besondere Brisanz dieser Frage hin, da Händel, anders als beispielsweise Johann Sebastian Bach oder Georg Philipp Telemann, im Laufe seines Lebens in verschiedenen konfessionellen Milieus wirkte. Studierende des Instituts für Musik der Martin-Luther-Universität und der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik Halle boten eine gelungene musikalische Einleitung mit geistlichen Werken von Händel und Friedrich Wilhelm Zachow.
Für die sich anschließenden acht Sektionen und einen Roundtable mit Vorträgen und Diskussionen zur Leitfrage und darüber hinaus konnten Vertreter aus Musikwissenschaft, Kunstwissenschaft, Geschichte, Theologie und Philosophie gewonnen werden.
Die erste Sektion der Tagung (Leitung: Wolfgang Hirschmann) war Händels Lehrer, dem wichtigen protestantischen Kirchenmusiker Friedrich Wilhelm Zachow gewidmet, dessen Tod sich 2012 zum 300. Mal jährt. Kathrin Eberl-Ruf (Halle/Saale) referierte zur Quellenüberlieferung der Kantaten Zachows und wies in diesem Zusammenhang auf die generelle Problematik der Autorschaft Zachows hin, da keinerlei autographe Notenmanuskripte bekannt sind. Das wieder entdeckte Meissner'sche Verzeichnis stellt hierbei eine wichtige Quelle für den Nachweis von Kirchenstücken Zachows dar. Christiane Hausmann (Halle/Leipzig) leitete in ihrem Vortrag zu Händel über, indem sie den kompositorischen Einfluss Zachows auf Händel untersuchte und dabei herausstellte, dass gerade die frühen Werke Händels stark der Tradition der mitteldeutschen protestantischen Kirchenmusik verbunden sind.
Die zweite Sektion (Leitung: Juliane Riepe) begann mit einem Exkurs zu Dieterich Buxtehude und den möglichen Aufführungsanlässen seiner geistlichen Musik, insbesondere der Kantaten. Margret Scharrer (Saarbrücken) wertete hierzu unterschiedliche Quellentypen, beispielsweise Leichenpredigten, aus dem Umfeld des Rates und der Kaufmannschaft hinsichtlich ihrer musikalischen Relevanz aus. Marianne Sammer (St. Pölten) ging in ihrem Vortrag auf jesuitische Musiktheorien des 17. und 18. Jahrhunderts im Allgemeinen und im Speziellen auf jesuitische Bühnenmeditationen als eine musikdramatische Form des klassischen Jesuitendramas auf der Basis des Oratoriums ein. Sie wies darauf hin, dass im Vordergrund solcher Meditiationen nicht das Musikdrama als solches stand, sondern der Erbauungsakt. Andreas Bieringer (Wien) und Franz Xaver Brandmayr (Rom) stellten Überlegungen zur Aufnahme Händels unter seinen katholischen Landsleuten in Rom an. Sie hoben unter anderem hervor, dass zu Händels Zeit Musiker verschiedener Konfessionalität aus ganz Europa nach Italien kamen und deshalb eine allgemein liberale Gesinnung gegenüber Künstlern geherrscht haben dürfte.
In der dritten Sektion des Symposiums (Leitung: Graydon Beeks) beleuchtete John Roberts (San Francisco) die Besonderheiten von Händels Motette Silete venti: die Vertonung eines römisch-katholischen Textes zu einer Zeit, als die öffentliche Ausübung katholischer Riten in England verboten war. Das Entstehungsjahr der Motette ist nicht bekannt und vieldiskutiert; John Roberts vermutet aufgrund des Wasserzeichens des Autographs, dass das Werk für Francesca Cuzzoni für eine Aufführung während ihres Besuchs in Frankreich im Sommer 1724 geschrieben wurde. Rashid-S. Pegah (Würzburg/Berlin) befasste sich in seinem Vortrag mit Agostino Steffani und den Geschwistern Sorosina. Steffani versuchte 1724/25, die junge Sängerin Benedetta Sorosina bei der Royal Academy of Musick unterzubringen, was ihm jedoch nur für eine Wiederaufführung von Giulio Cesare in Egitto gelang. Darüber hinaus konnte ein (mutmaßlicher) Bruder Benedettas, Giacomo Sorosina, als einer der Sekretäre Steffanis identifiziert werden.
Die vierte Sektion (Leitung: Terence Best) widmete sich dem Thema Religion bei Händel aus theologischer, philosophischer und musikwissenschaftlicher Perspektive. Michael Lloyd (Oxford) analysierte Händels theologische Sichtweise anhand von Bemerkungen seiner frühen Biographen sowie der Wahl und musikalischen Umsetzung seiner Texte. Der Eingrenzung und Deutung des Begriffs „Wunder" und damit verbunden der Frage nach der Religiosität und Konfessionalität in Händels Oratorien widmete sich Alexander Aichele (Halle/Saale). Donald Burrows (Milton Keynes) betrachtete Händels Wirken für die Chapel Royal in London vor dem Hintergrund religiöser Praktiken und persönlicher Interaktionen zwischen Händel und britischen Monarchen.
In den anschließenden beiden Sektionen standen Händels Werke im Vordergrund. Sektion fünf (Leitung: John Roberts) begann mit einem Referat von Katie Hawks (London), welche die drei Versionen von The Triumph of Time and Truth in den geschichtlichen Kontext einordnete und anhand der textlichen wie formalen Umarbeitungen Rückschlüsse auf Händels kompositorischen Stil und religiöse Anschauungen zog. Carlo Vitali (Bologna) verglich in seinem Vortrag verschiedene Bibelübersetzungen in Bezug auf die Person Susanna. Eine detaillierte Übersicht über die Texte der Cannons Anthems und deren Vorlage vermittelte Graydon Beeks (Claremont). Die sechste Sektion (Leitung: Donald Burrows) eröffnete Matthew Gardner (Heidelberg) mit einem Referat zu Händels Wedding Anthems. Er ging dabei vornehmlich auf Entlehnungen aus anderen Werken und in andere Werke, beispielsweise Athalia, Parnasso in festa und Il Trionfo del Tempo e della Verità, ein. Entlehnungen in Händels Werken waren auch Thema des nächsten Vortrags. David Vickers (Manchester) untersuchte Händels Wiederverwendung der Coronation Anthems in dessen englischen Oratorien Esther und Deborah. Annette Landgraf (Halle/Saale) betrachtete das Oratorium Israel in Egypt hinsichtlich der darin verwendeten Gattungen und stellte fest, dass Anthem, deutsche Passion und Choral darin synthetisiert werden.
Die siebte Sektion (Leitung: Werner Breig) rückte wieder den religiösen Aspekt in den Vordergrund. Gerhard Poppe (Dresden/Koblenz) stellte Überlegungen zur Christusgestalt in den Werken Händels an, die eine Verbindung der vier christlichen Konfessionen, denen Händel im Laufe seines Schaffens begegnete, darstellt. Sabine Volk-Birke (Halle/Saale) ging in ihrem Beitrag der Frage nach dem Oratorium als Form des Gebets bzw. dem Gebet im Oratorium nach und suchte Antworten im Kontext der zeitgenössischen theologischen und ästhetischen Diskussion.
In der letzten Sektion der Tagung (Leitung: Annette Landgraf) wurde das 18. Jahrhundert verlassen und die Händel-Rezeption thematisiert. Stephen Nissenbaum (Amherst) widmete sich der Fragestellung, wie und wann es dazu kam, dass Händels Messiah eine Tradition der Weihnachtszeit wurde. Aspekten konfessioneller Händel-Rezeption in der musikalischen Publizistik des 19. Jahrhunderts ging Dominik Höink (Münster) nach.
Den Abschluss der Konferenz bildete ein Roundtable zum Thema „Konfessionalität als Problem der Händel-Rezeption in den deutschen Diktaturen", an dem sich unter der Leitung von Juliane Riepe die Mitarbeiter des an der Stiftung Händel-Haus angesiedelten, vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderten Forschungsprojekts „Grundlagenforschung zur Rezeptionsgeschichte Händels in den Diktaturen Deutschlands" (Katrin Gerlach, Lars Klingenberg, Juliane Riepe, Susanne Spiegler) sowie Vertreter aus Religionswissenschaft (Justus H. Ulbricht, Dresden, Friedemann Stengel, Halle/Saale) und Kunstwissenschaft (Magdalena Bushart, Berlin, Sigrid Hofer, Marburg) beteiligten, um Fragen und Probleme der Händel-Rezeption im 20. Jahrhundert aufzuzeigen und zu diskutieren. Im Vordergrund der Diskussion stand die Frage, wie man in der NS- und DDR-Zeit mit dem christlichen Erbe in Kunst und Musik umging und wie dieses für politische Propaganda nutzbar gemacht wurde.
Eine Veröffentlichung der Konferenzbeiträge ist im Händel-Jahrbuch 2013 (hrsg. von der Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft e. V., Internationale Vereinigung, in Verbindung mit der Stiftung Händel-Haus, Halle/Saale) geplant.