„Die musikalische Missionsarbeit der Jesuiten in Spanisch- und Portugiesisch-Amerika, 1540-1773: Forschungsperspektiven"
Göttingen, 20.01.2012
Von Irina Pawlowsky, Tübingen – 22.08.2012 | Am 20. Januar 2012 fand am Musikwissenschaftlichen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen ein Symposium der Forschergruppe „Musik, Konflikt und der Staat" zur musikalischen Missionsarbeit der Jesuiten in Spanisch- und Portugiesisch-Amerika statt. Das Thema hat in letzter Zeit im Zusammenhang mit Notenfunden und CD-Einspielungen zunehmend an Bedeutung für die Musikforschung gewonnen, wobei eine umfassende Verbindung einzelner Fallbeispiele, die eine musik-, kolonial- sowie sozialgeschichtliche Einordnung der musikalischen Missionsarbeit ermöglichen würde, eher ausblieb. Im Rahmen des Symposiums sollten nicht nur der aktuelle Forschungsstand und die Quellenlage sowie bedeutende Forschungslücken ermittelt, sondern auch neue interdisziplinäre Forschungsperspektiven aufgedeckt werden. Neben musikwissenschaftlichen wurden so insbesondere auch kirchengeschichtliche Perspektiven einbezogen.
Das Symposium umfasste drei Sitzungen. Nach einer kurzen Einführung durch Dr. Christian Storch, Mitglied der Forschergruppe und Organisator des Symposiums, folgte ein Vortrag zur „Musikpflege bei den frühen Jesuiten" von Prof. Dr. Franz Körndle (Augsburg). In Abgrenzung von der lange Zeit verbreiteten Auffassung „Jesuita non cantat" wies dieser auf den Einsatz von Musik als Missionsmittel und als Teil jesuitischer Propaganda angesichts konfessioneller Auseinandersetzungen hin. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er des Weiteren der herausragenden Bedeutung der Orgel für die jesuitische Missionsarbeit.
In der zweiten Sitzung ging Prof. Dr. Jerzy Henryk Skrabania SVD (St. Augustin) auf die Rolle der Musik in der Mission bei den Chiquitos (Ostbolivien) ein. Hierbei erläuterte er die musikalischen Dienste der Indios bei der Liturgie und verwies anhand von aktuellen Fotos und Videoaufnahmen auf das Fortbestehen musikalischer und kunsthandwerklicher Traditionen unter den Chiquitos bis in die Gegenwart. Einen weiteren Beitrag zur Erforschung der musikalischen Missionsarbeit bei den Chiquitos lieferte Hans-Jacob Zimmer, der auf dem Symposium die Ergebnisse seiner Examensarbeit und bedeutende Notenfunde vorstellte.
Die dritte Sitzung wurde mit einem Vortrag von Prof. Dr. Marcos Holler (Florianópolis, Brasilien) zur Erforschung des Musiklebens in den Jesuitenmissionen des kolonialen Brasiliens eröffnet. Holler betonte das Fehlen musikalischer Quellen in den portugiesischen Gebieten und die hieraus resultierende musikwissenschaftliche Bedeutung von Textdokumenten. Hieran schloss auch der letzte Beitrag von Dr. Jutta Toelle (Berlin) an. Sie verdeutlichte den Nutzen von zeitgenössischen Berichten für die Musikforschung und ging insbesondere auf Beispiele der jesuitischen Missionszeitschrift „Der neue Welt-Bott" ein.
Das Symposium hat insgesamt deutlich gemacht, dass die Quellenlage, abhängig von der jeweils betrachteten Region, sehr unterschiedlich ausfällt und dass die Berücksichtigung unterschiedlicher Quellenarten sowie ein intensiver interdisziplinärer Austausch für die Erforschung der musikalischen Missionsarbeit notwendig ist. Eine Publikation der Beiträge ist geplant und es bleibt zu wünschen, dass das Thema Missionierung und Kolonialismus in der Musikforschung zukünftig einen breiteren Raum einnehmen wird, sind doch die Auswirkungen der europäischen Expansion auch in der Musik bis heute spürbar.