1. Italienkurs Musikwissenschaft „Rom als Musikstadt"
Rom, 24.03.-01.04.2012
Von Christiane Peterlein, Judith Schor und Mareike Wink – 21.06.2012 | Musik steht immer in Wechselbeziehung zu ihrem Kontext. Soviel ist jedem Studierenden der Musikwissenschaft bereits nach dem Einführungskurs klar. Dass eine intensive Auseinandersetzung mit Musikkultur jedoch nicht nur der Bezugnahme auf gesellschaftliche Paradigmen, sondern auch der Betrachtung räumlicher Begebenheiten bedarf, mag im Verlauf eines Studiums, das über weite Strecken in Bibliotheken und Seminarräumen verbracht wird, leicht in Vergessenheit geraten. Um dem „spatial turn" (mehr) Raum zu geben, sowie das Verständnis und den Blick für „musikalische Topografie" zu schulen, hat die Gesellschaft für Musikforschung in diesem Jahr erstmals 16 Studierende der Musikwissenschaft für eine Woche (24. März – 1. April 2012) zu einem Studienprogramm eingeladen, das in den kommenden Jahren mit insgesamt 5 Studienkursen „Italien als Land der Musik" in den Blick nehmen will. Organisation und Leitung dieses Programms liegen in den Händen von PD Dr. Sabine Meine (Deutsches Studienzentrum in Venedig / Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover) und Prof. Dr. Christine Siegert (Universität der Künste Berlin).
Welcher andere Ort hätte zu diesem „Italienkurs Musikwissenschaft" einen besseren Auftakt bieten können als die „ewige Stadt", in der unter dem Titel „Rom als Musikstadt – ein historischer Längsschnitt" der diesjährige Studienkurs stattfand? Er wurde von Prof. Dr. Silke Leopold (Universität Heidelberg) und Dr. Sabine Ehrmann-Herfort (Deutsches Historisches Institut in Rom) geleitet und von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, von der Stiftung DGIA und dem DHI Rom gefördert.
Im Verlauf des Programms, welches den Bogen von den Anfängen der Schola cantorum bis hin zum zeitgenössischen Musiktheater Herbert Wernickes schlug, ermöglichten die Kursleiterinnen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen profunden Überblick über die Entwicklung der römischen Musikkultur. Der erste Tag war dem Thema „Musik und Musiker in Rom: Musikalische Topografie" gewidmet. Von der Aussichtterrasse des italienischen Nationaldenkmals Vittoriano erschloss sich der Kurs einen städtebaulichen Überblick, bevor einige der zentralen Orte römischer Musikgeschichte wie das Pantheon, die Lateranbasilika, die Basilika Santa Maria Maggiore oder der Palazzo della Cancelleria im Einzelnen erkundet wurden. Am Montagmorgen begrüßten Prof. Dr. Michael Matheus (Direktor des DHI) und Dr. Markus Engelhardt (Leiter der Musikgeschichtlichen Abteilung) den Kurs und berichteten von Organisation, Aufgaben und aktuellen Forschungsprojekten des DHI. Silke Leopold und Sabine Ehrmann-Herfort gaben in einer ersten Seminarsitzung eine Einführung in das Thema „Rom als Musikstadt". Der Besuch des „Auditorium Parco della Musica" beschloss den Tag. Dort präsentierte Dott.sa Annalisa Bini nicht nur einen Konzertsaal des römischen Kulturzentrums, sondern auch die Bibliomediateca sowie die Instrumentensammlung der Accademia di Santa Cecilia.
Unter dem Titel „Kirchenräume und Geistliche Musik" besichtigte der Kurs am Dienstag die Oratorien SS. Crocifisso und Chiesa Nuova. Neben den Ausführungen der Dozentinnen vermittelte der Vortrag des römischen Musikwissenschaftlers Prof. Dr. Arnaldo Morelli eine Vorstellung von der Entstehung des Oratoriums. Am Nachmittag stand die Besichtigung der Vatikanischen Museen auf dem Programm. Besonders beeindruckend gestaltete sich der Besuch der Sixtinischen Kapelle, in der dem Kurs ein Aufenthalt auf der erst kürzlich restaurierten Cantoria ermöglicht wurde. Abends schlug die Veranstaltung Open Studios der Villa Massimo eine Brücke zur zeitgenössischen Musikkultur der Stadt. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Deutschen Akademie Rom gewährten dabei der Öffentlichkeit einen Einblick in ihr Schaffen aus den Bereichen Bildende Kunst, Musik, Literatur und Architektur.
Schon früh am darauffolgenden Morgen trafen sich die Kursteilnehmer mit Markus Engelhardt zu einer Stadtführung unter dem Motto „Römische Opernhäuser". Engelhardt stellte dabei besonders das „theatrale" Stadtbild Roms heraus. Am Nachmittag hielten die Studierenden in den Räumlichkeiten des DHI eigene Referate zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Wochenprogramms. Im Anschluss sah man gemeinsam die TV-Filmdokumentation „Händel in Rom", deren Produktion das DHI durch wissenschaftliche Beratung unterstützt hat.
Am Donnerstag widmete sich der Kurs dem „Rom der Accademia dell'Arcadia" und besuchte im Stadtteil Trastevere den Palazzo Riario/Corsini, in dem die einstige Königin Christina von Schweden nach ihrer Konversion zum Katholizismus lebte. Danach ging es zum ehemaligen „Bosco Parrasio", jenem Garten, in dem sich ab 1726 die Mitglieder der „Accademia dell'Arcadia" nach dem Tod Christinas von Schweden zusammenfanden. Nachmittags stand ein weiterer Besuch des Vatikan auf dem Programm: Dr. Adalbert Roth führte die Studierenden durch die Vatikanischen Bibliotheken.
Zu einem zweiten Seminarblock mit Referaten und Diskussionen traf man sich am Freitagmorgen im DHI. Nach dem gemeinsamen Mittagessen galt es, „Rombilder im 19. Jahrhundert" und die „Musik im Faschismus" in den Blick zu nehmen. Dazu führte ein ausgedehnter Spaziergang von der Piazza di Spagna über die Piazza del Popolo, vorbei an den ehemaligen Wohnstätten Richard Wagners und Felix Mendelssohn Bartholdys, bis zum Augusteo auf der Piazza Augusto Imperatore.
Am letzten Tag der Studien-Woche war der Kurs unterwegs zu Sommerresidenzen im Umkreis von Rom in Lazio: eine gemeinsame Exkursion führte nach Vignanello, wo Georg Friedrich Händel in der Residenz des römischen Grafen Ruspoli zu Gast war. Von dort ging es nach Carparola zum Palazzo Farnese, einem weiteren Sommersitz römischer Adliger.
Durch die Verbindung von inhaltlicher Struktur, per pedes-Erkundungen und Arbeitseinheiten mit Referaten und Diskussionen konnte in dieser Kurswoche das Motto „ein historischer Längsschnitt durch die Musikgeschichte Roms" gemeinsam realisiert werden. Der erlangte musiktopografische Überblick lud an vielen Stellen zu weiterer inhaltlicher Auseinandersetzung und Forschung ein. Das Zusammenwirken von Dozentinnen, Studierenden und Kulturschaffenden vor Ort bot zudem einen besonderen Rahmen zum Dialog und gab der „Musikwissenschaft in Rom" ein bzw. viele Gesichter. Im kommenden Jahr wird der „Italienkurs Musikwissenschaft" in Venedig stattfinden und damit einen weiteren wesentlichen Ort auf der musiktopografischen Landkarte Italiens erkunden.