Music and Nature – International Conference Kópavogur, Iceland
Kópavogur/Island, 18.-20.05.2011
Von Raika Simone Maier, Köln – 24.01.2012 | Vom 18. bis 21. Mai 2011 fand in Kópavogur nahe Reykjavík die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Mariann Steegmann Foundation, der Deutschen Botschaft Reykjavik und Inspired by Iceland geförderte Internationale Tagung Music and Nature statt. Die Kooperation zwischen der Hochschule für Musik und Tanz Köln (Prof. Dr. Annette Kreutziger-Herr, Dr. Florian Heesch und Dr. des. Katrin Losleben) und den isländischen Partnern Iceland Music Information Centre (Sigfríður Björnsdóttir), dem Tónlistarsafn Ísland (Musikmuseum Island, Dr. Bjarni Sveinbjörnsson) und der Listaháskóli Íslands (Iceland academy of the Arts, Þorbjörg Daphne Hall, vormals Helgi Sveinsson) war der Auftakt einer zweiteiligen Tagungsreihe.
Nach den Begrüßungsworten des Deutschen Botschafters in Reykjavík, Hermann Sausen, der Bürgermeisterin von Kópavogur, Guðrún Pálsdóttir, und dem Leiter des Musikmuseums, Bjarki Sveinbjörnsson, stellte der isländische Komponist Atli Ingólfsson (Reykjavík) unter der Überschrift »Nature, Chaos and Cruelty« eigene Arbeiten und deren Kompositionsverfahren vor, bei denen lineare und chaotische Prozesse in der Natur wie Wasserläufe oder Fluten als Inspiration dienten und verdeutlichte seine Ausführungen mit Hörbeispielen. Der Schriftsteller und Geologe Ari Trausti Guðmundsson (Reykjavík) sah den Bezug von Musik und Natur in ihrer Teilhabe am menschlichen Leben und zeigte davon geleitet die Besonderheiten der isländischen Natur anhand zahlreicher Photographien des isländischen Naturfotografen Ragnar Th. Sugurdsson. Mittels digitaler Übertragung kommentierte Bestseller-Autor Andri Snaer Magnason (Traumland) sensibel ausgewählte Videosequenzen zum Zusammenspiel von Musik und Natur.
Annette Kreutziger-Herr (Köln) leitete in ihrem Vortrag »New rules – old game: Nature, culture and economics in the 21st century« zu den Themenfeldern der Konferenz über: Sie verdeutlichte die enge Verbindung von Natur, Kultur und Ökonomie. Das 21. Jahrhundert warte mit wachsenden Herausforderungen durch Naturkatastrophen auf, die aus der Interaktion zwischen Mensch und Natur heraus entstünden. Dahinein verwoben und zunehmend kritisch beleuchtet seien dominierende kapitalistische Strukturen. Themenfelder wie globale Erwärmung und Klimawandel seien, so Kreutziger-Herr, nicht allein den positivistischen Wissenschaften zu überlassen, sondern seien vielmehr so komplex, dass Beiträge von Künstlerinnen und Künstler unverzichtbar seien, um sie in ihrem gesamten Ausmaß nachvollziehen zu können. Als Kongressinitiatorin forderte sie ein „reframing of the issue“ und ermunterte Musikschaffende und MusikwissenschaftlerInnen, den globalen Diskurs um Klimawandel, Natur und Urbanität zu betreten.
Tina K. Ramnarine (London) und Britta Sweers (Bern) analysierten exemplarisch die musikalische Repräsentation verschiedener Umgebungen anhand der musikalischen Ausdrucksformen Joik (Sápmi), Jodeln (Schweiz) und Rimúr (Island), ihnen innewohnende politische Diskurse und die Verbindung von natürlichen und übernatürlichen Welten. Maria Birbili (Berlin/Paris) setzte polare und alpine Naturbeschreibungen in den Opern und in der Literatur des 19. Jahrhunderts in einen Zusammenhang mit politischen und umweltspezifischen Gesichtspunkten. Katrin Losleben (Köln) zeigte am Beispiel des seit der Antike rezipierten und verschiedentlich adaptierten Arkadienbildes, wie Natur als »das Andere« konstituiert wird und vermeintlich von Menschenhand unberührte Orte als Fluchträume dienen.
Einen Überblick über die Musikgeschichte Islands und die Rezeption von musikalischen Traditionen gab Bjarki Sveinbjörnsson (Reykjavík). Walter Kreyszig (Saskatoon, Kanada/Freilassing) zeigte in seinem Vortrag »Towards the Formulation of a National Musical Style« anhand einiger isländischer und kanadischer Werke des 20. Jahrhunderts, wie die jeweiligen charakteristischen Naturerscheinungen die Musikkultur so beeinflusst hätten, dass diese wiederum die Landschaften repräsentierten, wobei auf isländischer Seite im besonderen Jón Leifs mit Sinfonien prägend hervortrat, während die Mannigfaltigkeit von Kompositionsverfahren auf kanadischer Seite überzeugend gezeigt wurde. Wolfram Breuer (Köln) interpretierte anhand verschiedener Inszenierungen Richard Wagners Der Ring des Nibelungen als Metapher für Umweltzerstörung.
Árni Heimir Ingólfsson (Reykjavík) zeigte Jón Leifs Rolle als Pionier in der Rezeption isländischer Volksmusik und dessen Bedeutung für die Entwicklung eines isländischen Musikstils. Florian Heesch (Hannover) dagegen setzte Leifs 1951 auf Deutsch veröffentlichtes Konzept einer 'charakteristischen nordischen Natur und Kultur' in Beziehung zu ideologischen Aspekten, wie sie auch die Nationalsozialisten verwendeten und Leifs Umsetzung dessen in seinem Edda-Oratorium. Matthias Tischer (Brandenburg) analysierte die Möglichkeit, ein Werk im Sinne eines „re-cycelns“ zu „re-komponieren“. Als Beispiel diente ihm das Album Von der isländischen Gruppe Sigur Rós. Auch Andreas Waczkat und Birgit Abels (beide Göttingen) untersuchten mit dem Film Heima ein Artfakt der isländischen Band, wobei sie die Konstruktion einer (werbewirksamen) „Islandhaftigkeit“ sezieren konnten.
Marie-Anne Kohl (Berlin) untersuchte die beiden Aspekte Künstlichkeit und Kunst einer sogenannten natürlichen Stimme und zeigte am Beispiel der Sängerin Björk, wie die Idealvorstellung dieser natürlichen Stimme in der Kunstproduktion eingesetzt werden kann.
Lolita Furmane (Riga) analysierte verschiedene kulturelle Codes (ethnisch, historisch und literarisch), die Ausdruck einer spezifischen Mentalität sind, und deren Abdruck sich in der Musik isländischer und litauischer Komponierender findet. Þorbjörg Daphne Hall (Reykjavík) setzte sich anhand verschiedener Musikfilme mit den Bildern und identitätsstiftenden Momenten von Island auseinander und kontrastierte dies mit einem ethnografischen Blick auf die Musikszene Reykjavíks.
Camilla Hambro (Stockholm) untersuchte in ihrem Beitrag das Naturbild in Agathe Backer Grøndahls Klavierstück Huldreslaat, das auf der traditionellen Erzählung einer in wilder Natur lebenden, männerverführenden Muse basiert. Øyvin Dybsand (Oslo) beschäftigte sich mit Johan Halvorsens Fossegrimen und legte dar, wie mithilfe von Halvorsens Verwendung einer Fiedel als Soloinstrument gegenüber einem Orchester verschiedene musikwissenschaftliche Diskurse aufgefächert werden können.
Das Programm umfasste außerdem Workshops und Führungen durch die Musikinstitutionen Reykjavíks und Kópavogurs, einschließlich der neu eröffneten Konzerthalle Harpa. Die Aussicht auf eine Fortsetzung sowohl der isländisch-deutschen Kooperation als auch der Tagung an der Hochschule Köln wurde von den Referierenden und den Teilnehmenden entschieden begrüßt. Vertieft werden sollen dann u.a. Aspekte zur Bedeutung von Musik für die Konstituierung nationaler Identitäten, die Bedeutung von Musik im gesellschaftlichen Diskurs um Klimawandel sowie die hierbei relevanten genderspezifischen Aspekte.
Die isländische Natur hatte schließlich einen genauso entscheidenden wie unerwarteten Einfluss auf den Verlauf der Tagung: Nach dem Ausbruch des Vulkans Grimsvötn am letzten Konferenztag wurden zunächst sämtliche ausgehenden Flüge vom isländischen Flughafen Keflavik annulliert und einige der Teilnehmenden konnten die Insel aufgrund dieses Naturereignisses erst einige Tage nach der geplanten Abreise wieder verlassen. So wurde aus dem Thema „Musik und Natur“ das Thema „Natur und Musik“.