„Widmungen bei Haydn und Beethoven. Personen – Strategien – Praktiken"
Bonn, 29.09.-01.10.2011
Von Ulrich Wilker, Köln – 17.01.2013 | Bereits der drei verschiedene Aspekte vereinende Untertitel versprach ein vielschichtiges Tagungsprogramm: Das Bonner Beethoven-Archiv und das Kölner Joseph Haydn-Institut hatten gemeinsam zu dem internationalen Kongress „Widmungen bei Haydn und Beethoven. Personen – Strategien – Praktiken" in den Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses eingeladen.
In der Tat spiegelten die Referate den Facettenreichtum des Themas durch unterschiedliche wissenschaftliche Zugangsweisen wider: Neben musikalische Analysen trat die Untersuchung von Widmungstexten; Dedikationen durch Haydn und Beethoven waren ebenso Gegenstand der Diskussion wie Widmungen dritter an die im Kongresstitel genannten Komponisten. Prof. Dr. Norbert Oellers (Bonn) erweiterte in seinem Eröffnungsvortrag das Themenfeld um eine literaturwissenschaftliche Perspektive: Ausgehend von der Annahme, dass Briefe als gewidmete Texte und deren Anreden als Widmungstexte aufgefasst werden können, bot Oellers einen detaillierten Überblick über die variantenreichen Briefanreden Schillers, Goethes, Höderlins und Kleists. Im Anschluss brachte Rebecca Maurer auf einem Tafelklavier aus der Sammlung des Beethoven-Hauses eine Widmungs-Komposition zu Gehör: Ein Joseph Haydn dediziertes Rondo von Thomas Haigh bot einen musikalischen Vorgeschmack auf den folgenden Tag, der ganz im Zeichen Haydns stand. Einer Einführung von Dr. Armin Raab, Wissenschaftlicher Leiter des Haydn-Instituts und damit einer der beiden Veranstalter des Kongresses, folgten aber zunächst zwei grundlegende Vorträge. Prof. Dr. Axel Beer (Mainz) konnte unter dem Titel Widmungen in der Geschichte des Musikdrucks anhand von Verlagsanzeigen in musikalischen wie nicht musikalischen Periodika belegen, dass Verleger den ‚Markennamen' Haydn zur Promotion zu nutzen wussten, indem sie die Angabe, dass ein Werk Haydn zugeeignet war, in den Anzeigentext aufnahmen. Daran konnte Dr. Emily Green (New Haven, Conn.) anschließen: Sie beschrieb Dedikationstexte als Paratexte im Sinne Gérard Genettes, deren Funktion sich nicht in Ehrerbietung erschöpfe. Vielmehr stelle der Widmungsvorgang einen komplexen sozialen Austauschprozess dar, in dem einzelne Widmungen (nach einem Begriff von Pierre Bourdieu) als „symbolisches Kapital" fungierten. Dr. Mekala Padmanabhan (Chennai, Indien/London) richtete den Fokus in ihrem Referat dann auf konkrete, Haydn dedizierte Werke der Londoner Komponisten Thomas Haigh und Christian Ignatius Latrobe. In Analysen, die Rebecca Maurer am Tafelklavier mit Hörbeispielen illustrierte, wies Padmanabhan nicht nur eine an der Tonsprache des Widmungsempfängers geschulte hohe Dichte der motivischen Arbeit nach, sondern auch die bewusste Verwendung von Londoner und Wiener Stilmerkmalen. Die analytische Auseinandersetzung mit dem Notentext kennzeichnete auch den Vortrag von Prof. Dr. Tom Beghin (Montreal), der unter der Überschrift „The lady named on the title page". The Rhetoric of Dedication in Haydn's Keyboard Music am Beispiel von Haydns Auenbrugger-Sonaten, einer der Sonaten für Prinzessin Marie Esterházy und der sowohl Therese Jansen als auch Magdalena von Kurzböck gewidmeten Sonate Hob. XVI:52 den Versuch unternahm, Beziehungen zwischen den verschiedenen Widmungsträgerinnen und der musikalischen Rhetorik der einzelnen Stücke herzustellen. Als Abschluss präsentierte Prof. Dr. James Webster (Ithaca, NY) ein ‚close reading' jenes berühmten Widmungstexts, den Mozart seinen Haydn-Quartetten voranstellte. Webster stellte angesichts des ausgefeilten Stils in Frage, ob der italienische Text überhaupt von Mozart selber stammen könne, oder ob Mozart dessen Anfertigung nicht vielmehr in Auftrag gegeben habe, z. B. bei Lorenzo da Ponte. Ein solcher Auftrag würde sich als (selbst-)bewusste Promotionsstrategie erweisen, die nicht zuletzt Aufschluss über Mozarts Selbstverständnis seiner Bedeutung als Komponist gibt. Nach den Referaten ermöglichte eine Führung von Dr. Michael Ladenburger und Dr. Nicole Kämpgen durch die von ihnen gestaltete Ausstellung Freundschaftsgabe oder Kalkül? – Beethovens Widmungen, Widmungsexemplare und Widmungstexte im Beethoven-Haus selbst in Augenschein zu nehmen.
Der zweite Kongresstag war Ludwig van Beethoven gewidmet. Prof. Dr. Bernhard Appel, Leiter des Beethoven-Archivs, führte in dieses Thema anhand eines Fallbeispiels (Kantate Der glorreiche Augenblick) ein. Drei Vorträge stellten einzelne Widmungsträger Beethovenscher Werke vor, wofür teils neu entdecktes Archivmaterial ausgewertet werden konnte. Die Historikerin Dr. Maria Rößner-Richarz aus Bonn gab einen Querschnitt durch das Bonner Musikleben im späten 18. Jahrhundert (Beethovens Bonner Widmungsträger vor und nach 1792). Anna Schirlbauer M. A. aus Wien befasste sich mit Nikolaus Zmeskall – zwischen Musik und Bürokratie, Österreich und Ungarn. Frau Schirlbauer war kurzfristig erkrankt, hatte jedoch ihren Vortrag bereits soweit fertiggestellt, dass er beim Kongress verlesen werden konnte. Einen weiteren Mäzen und Widmungsträger stellte Prof. Dr. Larissa Kirillina aus Moskau vor: „Galitzin, der Cellist". Prinz Nikolai Borissowitsch Golizyn als Musiker.
Der Darbietung archivalischer Forschungen zu einzelnen Personen standen zwei Vorträge von übergreifendem Charakter gegenüber. Prof. Dr. Birgit Lodes (Wien) hatte ihr Thema Widmungen – öffentlich oder privat? etwas modifiziert und stellte überraschende Bezüge zwischen dem Inhalt des Liederkreises An die ferne Geliebte und der Biographie des Widmungsträgers Fürst Lobkowitz her. Prof. Dr. William Kinderman (Urbana/Champaign, Ill.) sprach abschließend über Beethovens Widmungen (und Nicht-Widmungen) an Musiker aus seinem Bekanntenkreis.
Die Moderation der Abschlussdiskussion übernahm Axel Beer, wobei er einleitend die Positionen und Ergebnisse der vorangehenden Tage anschaulich zusammenfasste. An der regen Diskussion waren nicht nur die Referenten beteiligt; sie zeigte, dass der Kongress ein wichtiges Thema angerissen hatte, das verschiedenste Zugänge unterschiedlicher Fachrichtungen ermöglicht und musik-, literatur- und kulturwissenschaftlich noch lange nicht ausgeschöpft erscheint. Die Beiträge des Kongresses sollen innerhalb der Schriften zur Beethovenforschung (voraussichtlich Bd. 22) veröffentlicht werden.