Kosmopolitisch, international, global: Musik, Archive und Politik in Ost- und West-Berlin seit 1963
Internationale Konferenz, Humboldt Forum, Berlin
Berlin, 03.-05.07.2024
von Maya Oppitz (Berlin) und Jakob Douvier (Berlin), 03.09.2024 | Im Berliner Humboldt-Forum fand vom 03. bis 05.07.2024 die internationale Konferenz „Kosmopolitisch, international, global: Musik, Archive und Politik in Ost- und West-Berlin seit 1963“ statt. Organisiert wurde diese Tagung von der Abteilung Medien am Ethnologischen Museum und Museum für Asiatische Kunst Berlin, der Fondazione Giorgio Cini (Venedig), dem Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Staatlichen Institut für Musikforschung, der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss sowie der Universität der Künste Berlin. Internationale Wissenschaftler:innen tauschten sich in vielfältigen Formaten über die Musik- und Kunstszene im geteilten Berlin zur Zeit des Kalten Krieges aus.
Kulturpolitik in der geteilten Stadt Berlin
Das erste Panel der Tagung eröffnete Dörte Schmidt (Berlin) mit ihrem Vortrag über Wettbewerbe, Institutionen und Wirtschaftsveranstaltungen, die seit Beginn der 1960er Jahre die kulturpolitische Landschaft der Metropole Berlin prägten. Die enge Verzahnung von Großveranstaltungen der Wirtschaft wie etwa der Internationalen Funkausstellung Berlin und Kulturveranstaltungen wie den Berliner Festwochen wurden hier in den Blick genommen. Die Idee, Berlin als Schaufenster einer „freien Welt“ im Kontext von weltweit sich ereignenden Internationalisierungsprozessen zu betrachten, wurde dann auch von Christiane Sibille (Zürich) aufgegriffen, die in ihrem Vortrag über die institutionellen Netzwerke des „International Music Council“ während des Kalten Krieges sprach. So betonte Sibille die politisch hochgradig komplexe Ausgangslage der Zeit des Kalten Krieges und beleuchtete verschiedene staatliche und nichtstaatliche „agencies“ und die Position von Musik in der sich wandelnden Welt. Harm Langenkamp (Amsterdam) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit musikkulturellen Infrastrukturen West-Berlins in den Jahren 1961 bis 1966 am Beispiel der Investitionen der Ford-Foundation sowie weiteren US-amerikanischen Interventionen im Rahmen kultureller Ereignisse. In der sich anschließenden Panel-Diskussion ist die Respondentin Pamela Potter (Madison) besonders lobend hervorzuheben, die in dieser Rolle kurzfristig eingesprungen war und in ihrem Impulsvortrag die Frage der Bedeutung des Kosmopolitischen im Rahmen der Kulturpolitik des Kalten Krieges hervorhob und die weitere Diskussion anregend anleitete.
In der zweiten Session zur Kulturpolitik kam zunächst die Historikerin Nazan Maksudyan (Berlin) mit einem Vortrag zur Dekolonisierung der Gastarbeiter:innen im geteilten Berlin zu Wort. Ihr Fokus lag dabei auf der der Situation der Gastarbeiter:innen verschiedener Herkunft und ihrem Umgang mit Kunst. Vorgestellt wurden Künstler:innen aus Italien, Griechenland und der Türkei, die über das Berliner Künstlerprogramm des DAAD nach Berlin gekommen waren.Anschließend stellte Thomas MacMillan (Berlin) seine Forschung zum Thema populäre Musik in der Berliner Philharmonie zur Zeit der Berliner Mauer vor. Dabei machte er die Beobachtung, dass die Philharmonie in den 1960er und vor allem in den frühen 1970er Jahren viele Aufführungen nicht-klassischer Musik beherbergte. Mit dem Abklingen des Kalten Krieges wurden auch die nicht-klassischen Aufführungen in der Philharmonie weniger.
Im ersten Zeitzeug:innengespräch der Konferenz, moderiert von Giovanni Giuriati (Rom/ Venedig), berichtete Jean Pierre Pastori als Präsident der Alain Daniélou Stiftung von der von Danilélou vorgelebten Aufgabe des International Council for Traditional Music (ICTM), die außereuropäische Kunstmusik zu beleben, anstatt sie mit einem westlichen Weltmusik-Begriff (musik-)ethnologisch zu unterfüttern. Anschließend zeichneten Salwa el-Shawan Castelo Branco als ehemaliges Vorstandsmitglied des ICTM und Tiago de Oliveira Pinto (Weimar/Jena) ihre Lebenswege nach und erinnerten sich an wichtige Weggefährten und Stationen dieser Zeit. So ging es hier etwa um die frühen Jahre des Internationalen Instituts für Vergleichende Musikstudien und Dokumentation und Internationalisierungsbestrebungen und Entwicklungen des ICTM.
Der zweite Tag der Tagung begann mit einem interaktiven Workshop-Block, der an verschiedenen Orten der veranstaltenden Institutionen durchgeführt wurde. So fand der erste Workshop „Working with the Lautarchiv“ unter der Leitung von Sebastian Klotz (Berlin) und Christopher Li (Berlin) im Humboldt-Forum statt. Die Teilnehmer:innen beschäftigten sich in diesem Workshop mit historischen Objekten und Dokumenten des Lautarchivs der Humboldt-Universität, welches sich im Humboldt-Forum befindet, und analysierten anhand von einem Organigramm Aspekte der Organisation des Lautarchivs vor dem Hintergrund der DDR-Geschichte der Institution. Der zweite Workshop „Using the IITM’s Collections: The Cambodia Photo Collection as a Case Study“ unter der Leitung von Giovanni Giuriati und Albrecht Wiedmann (Berlin) fand im Ethnologischen Museum in Dahlem statt. Dieser Workshop befasste sich mit Aufnahmen und Fotografien, die von Alain Daniélou und Jacques Brunet in den 1960er und 1970er Jahren in Kambodscha gemacht wurden. Der dritte Workshop „Making Musical Instruments in East and West: Olga Adelmann and Curt Jung with a resonating excursion to India“ fand im Musikinstrumentenmuseum Berlin statt. Unter der Leitung von Lars-Christian Koch, Thomas MacMillan, Radhey Shyam Sharma, Olga Sutkowska, Rebecca Wolf und Barnes Ziegler konzentrierte man sich hier auf zwei Streichinstrumente: die Viola d'amore und die Violine. Anhand von Instrumenten wurden ost- und westdeutsche Perspektiven des Instrumentenbaus in Bezug auf Klangideale und historische Aufführungspraxis untersucht. Schließlich wurde der Blick transkulturell nach Indien erweitert. Der indische Instrumentenbauer Radhey Shyam Sharma brachte seine Expertise in die Diskussion ein. Der vierte Workshop „Socialist Social Dances“ fand unter der Leitung von Sydney Hutchinson (Berlin) in Räumlichkeiten des Humboldt Forums statt und war als praktischer Tanzworkshop konzipiert. Von den 1950er bis in die 1980er Jahre wurden in Ostdeutschland verschiedenste neue Gesellschaftstänze geschaffen, um den sozialistischen Internationalismus zu fördern und die Jugend von den westlichen Tänzen wegzulocken. Diesem Thema wurde sich praktisch durch das Erlernen eines solchen Tanzes genähert. Bei der Workshop-Präsentation führten die Teilnehmer:innen den erlernten Tanz dem Tagungspublikum vor.
Festivals, Konzerte und andere Aufführungen im geteilten Berlin
Das zweite Panel wurde durch einen Vortrag von Linda Cimardi (Halle) eingeleitet. Cimardi thematisierte internationale Netzwerke zwischen Asien und West-Berlin während des Kalten Krieges. Hierbei nahm sie in erster Linie Veranstaltungen des von Alain Daniélou gegründeten Internationalen Instituts für Vergleichende Musikstudien und Dokumentation in den Blick und untersuchte die Kollaborationen der Institution mit der Berliner Festivallandschaft. Die Berliner Festwochen spielten bei der Verbreitung asiatischer Musik in West-Berlin eine zentrale Rolle, ein Festival, das auch die nachfolgende Rednerin erwähnte. Dorit M. Klebe (Berlin) sprach in ihrem Vortrag über drei türkische Chöre, die allesamt im Jahr 1973 in Ost-Berlin gegründet worden waren: der Ernst Busch Chor, der Hans Eisler Chor und der Türkische Arbeiterchor. Sie betonte die Bedeutung von Musik im Rahmen politischer Botschaften und stellte dies anhand von musikalischen Beispielen plastisch dar.
In der zweiten Session des Nachmittags gab es zunächst eine lebendige Führung durch das Metamusik-Festival 1974 in Berlin von Dennis Hopp (Berlin). Er zeigte auf, wie im Rahmen des Festivals mit klassischen Konzert-Traditionen gebrochen wurde und es beispielsweise Konzertorte ohne Publikumsstühle gab. Der Begriff „Metamusik“ solle nicht einen neuen Genre-Begriff darstellen, sondern die Musik aller Kontinente in einen Zusammenhang bringen. Mit ausgewählten Musikbeispielen aus verschiedenen Konzerten des Festivals und der Erklärung der visuellen Darstellungen und Gestaltung des Programmheftes wurde ein tiefer Einblick in das erste Metamusik-Festival gegeben. Shin-Hyang Yun berichtete im Anschluss ausführlich über den Lebensweg von Isang Yun und seine Wirkungsorte, mit einem Fokus auf Berlin. Sie zeichnete seine verschiedenen Stationen in Ost- und Westberlin nach und legte großen Wert auf seine Sonderstellung, die er durch Beziehungen nach Nord- und Südkorea sowie Ost- und West-Berlin bzw. der Bundesrepublik und der DDR einnahm.
Ein zweites Zeitzeug:innengespräch mit Johannes Theurer (Berlin), Heike Hoffmann (Berlin) und Angelika Jung, moderiert von Dörte Schmidt, rundete den Tag mit einer vorwiegend ostdeutschen Perspektive ab. Unter dem Titel „Neuordnung nach der Wende?“ diskutierten die Zeitzeug:innen über den Begriff „Weltmusik“ sowie ihre Erfahrungen in der DDR und berichteten, wie sich ihre Tätigkeitsbereiche nach der Wende verändert hatten. Sehr verschiedene Perspektiven trafen hier in konstruktivem Austausch aufeinander und machten die Zeit durch ihre Erfahrungsberichte greifbar.
Musiksammlungen zwischen Ost- und West-Berlin - Menschen und Orte
Am letzten Tag der Tagung ging es um Musiksammlungen in Ost- und West-Berlin. Die erste Session eröffnete Christina Dörfling (Berlin) mit einem Vortrag über Sammlungspraktiken und DIY-Archivierung an der Humboldt Universität zu Berlin. Dörfling zeichnete anhand von Material aus dem Tonbandarchiv der Humboldt Universität nicht nur schlaglichtartig die Geschichte der populären Musik während der DDR nach, sondern gab auch spannende Einblicke in ihre eigene Forschung. Sydney Hutchinson schloss mit einem Vortrag über Kurt Reinhard, Erich Stockmann und das Berliner Phonogramm-Archiv an und versuchte, anhand dieser Persönlichkeiten eine Brücke zwischen der Ost- und der West-Berliner Perspektive auf das Phonogramm-Archiv herzustellen. Ihr gelang nicht nur dies, sondern sie legte auch spannende Erkenntnisse hinsichtlich der NS-Vergangenheit von Erich Steinitz und Kurt Reinhard offen, und stellte Fragen bezüglich der Aneignung des Archivs durch beide Berlins. Susanne Ziegler (Berlin) sprach anschließend über Musikethnologie in Berlin um das Jahr 1989 und betonte, dass Berlin in dieser Zeit als Treffpunkt und Ort der Verständigung zwischen Ost and West verstanden werden konnte. Hierbei hob sie in besonderem Maße Max Peter Baumann als tragende Figur der Vermittlung hervor. Philip Bohlman schloss den Vormittag mit einer Keynote mit dem Titel „Vergessen und Vergessen und Vergessen – Counterhistories of Memory and Loss, East and West“ ab. Anhand von drei Case Studies thematisierte Bohlman Erinnerungskultur und jüdische Geschichte in der Nachkriegszeit.
In der Nachmittagssession beschäftigte sich Kanav Gupta (London) mit Fragen musikalischer Universalismen. Als Fallbeispiel zur Untersuchung globaler kultureller Flows dienten ihm die Dāgar-Daniélou Files, die zwischen 1965-1980 entstanden waren. Er analysierte die Korrespondenz zwischen Alain Daniélou und den Dāgar-Brüdern, die aus einer Familie von Dhrupad-Sängern stammten, und legte Daniélous Vorstellung von Hindustani Musik offen. Als letzte Rednerin und an ihren Vorredner thematisch anknüpfend sprach Francesca Cassio (New York) über die Dhrupad Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin. Sie nannte das Forschungsprojekt der Dhrupad Sammlung ein Projekt, das den Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sowie zwischen Ost und West geschafft habe, eine Aussage, die sich durchaus auch auf die stattgefundene Tagung übertragen lässt. In einem Konzert im Humboldtforum mit Musik aus Korea, Indien der Türkei und dem Iran konnte die Tagung auf wunderbare Weise ein Ende finden und mit Musik ausklingen.