Wo­men, Op­era and the Pub­lic Stage in Eight­eenth-Cen­tury Venice

Internationale Konferenz, Norwegian University of Science and Technology NTNU

Trondheim, 09.-13.04.2024

Von Katharina Sophie Diestel, Berlin – 01.07.2024 | Die internationale Konferenz „Women, Opera and the Public Stage in Eighteenth-Century Venice“ (WoVen) fand vom 9. bis 13. April 2024 an der Norwegian University of Science and Technology in Trondheim statt. Die Konferenz brachte führende Spezialist:innen und Nachwuchswissenschaftler:innen aus der Musik-, Literatur-, Theaterwissenschaft und Geschichte sowie Künstler:innen zusammen, um die Rolle der Frauen in der europäischen Opernkultur im 18. Jahrhundert zu untersuchen. Insbesondere konzentriert sich das Projekt WoVen auf Venedig und möchte herausfinden, wie die Oper und die Frauen in der Oper – als Darstellerinnen, Komponistinnen, Autorinnen, Theatermanagerinnen, Mäzeninnen und Publikum – in Venedig zur „Frauenfrage“ beitrugen, in einer Zeit, die für Frauen in ganz Europa tiefgreifende Veränderungen mit sich brachte.

Am Vorabend der Konferenz fand ein Eröffnungskonzert der Mezzosopranistin Anne Hallenberg mit dem TSO Baroque Ensemble statt. Das Programm umfasste kürzlich wiederentdeckte Werke von und für weibliche Musikerinnen wie Faustina Bordoni, die auch in den Konferenzbeiträgen thematisiert wurden. Das Konzertkostüm war Teil eines kollaborativen Forschungsprojekts der Musikwissenschaftlerin Christine Jeanneret (Kopenhagen) und des Kostümdesigners Silvano Arnoldo (Venedig). Ziel der beiden war es, den Emotionsgehalt der Arien unter Berücksichtigung der Kostümreform des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck zu bringen, die eine erweiterte Mobilität auf der Bühne sowie die Darstellung menschlicher Fragilität beinhaltete. Arnoldo entwarf ein Konzertkleid aus Chiffonkrepp, um sowohl Sichtbarkeit als auch Unsichtbarkeit sowie fließende Weiblichkeit zu symbolisieren. Dazu kombinierte er einen Umhang, der wie ein Schild nach außen Schutz und Distanz repräsentierte.

Am ersten Konferenztag folgte auf die begrüßenden Worte von Nora B. Kulset (Trondheim), Leiterin des Musikinstituts der NTNU, eine Einführung von Melania Bucciarelli (Trondheim), Leiterin des Forschungsprojekts WoVen, in der sie die Relevanz des Konferenzthemas betonte. Sie wies darauf hin, dass die bisherige Forschung sich hauptsächlich auf Institutionen oder männliche Komponisten und Librettisten konzentriere, während über Frauen im Opernraum der damaligen Zeit wenig bekannt sei, abgesehen von Sängerinnen. Bucciarelli unterstrich den Stellenwert Venedigs als internationales, kosmopolitisches Zentrum und eines der wichtigsten Ziele der „Grand Tour“. Sie betonte die Rolle Venedigs im Kulturtransfer, da das dort produzierte Musikrepertoire sowie Ideen des öffentlichen Lebens in ganz Europa zirkulierten, wobei insbesondere Frauen beteiligt waren. Abschließend skizzierte Bucciarelli die Ziele des Projekts, darunter das Zusammenbringen führender Wissenschaftler:innen, die Schaffung eines Netzwerks, den Aufbau einer Datenbank von Akteurinnen sowie die Organisation von Online-Seminaren.

Das erste Panel „The Century of Women“ umfasste zwei Keynotes. Anna Bellavitis (Rouen) sprach über „Gender and Agency in Early Modern Venice“ und begann mit der provokanten Frage, ob aktuelle Studien zur Konstruktion eines neuen Mythos von Venedig als frauenfreundlichem Ort beitrugen. Sie betonte die Komplexität der Geschlechterrollen und Rechte im historischen Venedig, auch in Relation zu Gesellschaftsschichten. Irene Zanini-Cordi (Florida) beschrieb die wesentliche Rolle des sozialen Kapitals für die Bildungschancen von Frauen, wobei meist Männer eine zentrale Funktion einnahmen.

Das nächste Panel bot Einblicke in die Partizipation von Frauen am Opernbetrieb anhand von Fallbeispielen. Adriana De Feo (Wien) beleuchtete in ihrem Vortrag die Arbeit Luisa Bergallis als Librettistin und ihre Zusammenarbeit mit Apostolo Zeno, wobei sie Bergallis Entwicklung eines eigenen dramatischen Stils hervorhob. Giovanni Polin (Alessandria) untersuchte den Mietvertrag zwischen Teresa Colonna und dem Teatro San Giovanni Grisostomo von 1761 und wies darauf hin, dass das Auftreten einer weiblichen Impresaria kein singuläres Phänomen gewesen sei, jedoch ein seltenes. Katja Radoš-Perković (Zagreb) analysierte die negative und stereotype Darstellung von Sängerinnen in den Werken Carlo Goldonis.

Berta Joncus and Myriam Guglielmo (London) untersuchten im Gegenzug, wie die Gazetta Urbana Veneta mit Berichten über Schwangerschaften, Krankheiten und festlichen Krönungen von negativen Tropen über Sängerinnen abwich und stattdessen zur Professionalisierung und Verbesserung ihres Ansehens beitrug. Mit ihrer Keynote eröffneten sie den Nachmittag des ersten Konferenztages, der acht Beiträge zum Thema „Performing Celebrity on the Venetian Stage“ zusammenfasste.
Margaret Butler (Wisconsin) zeigte, wie Luigi Marescalchis Drucke aus dem 18. Jahrhundert als wertvolle Quellen für die Erforschung weiblicher Opernberühmtheiten dienen und Einblicke in Mechanismen von Prominenz geben können. Medienschaffende wie Marescalchi spielten eine entscheidende Rolle bei der Konstruktion und Aufrechterhaltung bzw. Erhöhung der Sichtbarkeit von Sängerinnen und ihres Prominentenstatus.
Clorinda Donato (Long Beach) betonte in ihrem Vortrag ebenfalls, wie Selbst- und Fremdmarketing zur Berühmtheit beitrugen. Sie befasste sich mit der Darstellung der „commediante“ in Romanen, Abhandlungen und Briefwechseln des 18. Jahrhunderts in Italien und deren transnationaler Resonanz.
Elena Abbado (Wien) unterstrich die Notwendigkeit, Narrative des Ruhms kritisch zu hinterfragen anhand des Beispiels der britischen Sängerin Elizabeth Billington, die im späten 18. Jahrhundert in Italien als Primadonna gefeiert und über die damals viel publiziert wurde. Beispielsweise merkt auch Butler an, dass Billington in einem der Marescalchi Drucke auftaucht, was für ausländische Sänger:innen sehr selten war und einen positiven Einfluss auf ihren Erfolg gehabt haben könnte.
Christine Jeanneret erforschte in ihrem Vortrag, wie Kostüme als Körpertechnologie und visuelle Kommunikationsmittel fungieren und beschrieb den Wandel im 18. Jahrhundert hin zu simpleren, naturalistischeren Kostümen, die größere Mobilität auf der Bühne ermöglichten und mit neuen Schauspieltechniken einhergingen. 
Das Panel schlossen zwei Beiträge über Nicola Grimaldi, genannt ‚Nicolino‘. Paologiovanni Maione (Neapel) erörterte den Einfluss ‚Nicolinos‘ auf die Karriere der Sängerin Lucia Facchinelli, die an seiner Seite eine eigene künstlerische Identität entwickelte. Anne Desler (Edinburgh) fuhr fort, in dem sie mehr Kontext zu ‚Nicolino‘ gab und insbesondere hervorhob, dass seine Beliebtheit beim Publikum bis in sein ungewöhnlich hohes Alter fortdauerte. Hierfür identifizierte sie drei Schlüsselkriterien: umfassendes Gesangstraining, erhöhter sozialer Rang und eine vielseitige Rollenauswahl.

Den zweiten Konferenztag eröffnete Reinhard Strohm (Oxford) mit der Main Keynote Address zur „Question of Agency in Italian Opera Productions“ zwischen 1700 und 1740. Er nannte Beispiele für die Beteiligung von Frauen an der italienischen Oper in verschiedenen Positionen. Darüber hinaus sprach er über die Pasticcio-Praktiken der „Arie cambiate“ und „Arie di baule“ und betonte die Erkenntnisse jüngster Forschung zur Rolle von Sänger:innen beim Arientransfer.

Das erste Panel des Tages, „Singer, Roles and Musical Dramaturgy“, beinhaltete fünf Beiträge.
Francesca Menchelli-Buttini (Pesaro) erörterte die repräsentativsten Rollen und Arientypen Vittoria Tesis auf der venezianischen Bühne, gekennzeichnet durch ein breites Spektrum verschiedenster Frauentypen. Judit Zsovár (WoVen) beschäftigte sich mit der Sängerin-Impresaria Maria Camati und identifizierte verschiedene ihrer Arien in ihrer Forschung. Sie äußerte die These, dass die Entwicklung innerhalb Camatis überlieferter venezianischer Arien den Wandel des musikalischen Stils widerspiegeln könnte. Mit einer weiteren Sängerin-Impresaria befasste sich Melania Bucciarelli. Sie untersuchte Faustina Bordoni’s finanzielles Investment in der Karnevalssaison 1729 im Teatro San Cassiano, betonte ihre ‚agency‘ innerhalb einer männerdominierten Branche und diskutierte ihren möglichen Einfluss auf die Auswahl der produzierten Opern und der darin enthaltenen Änderungen. Francesca Greppi (Bologna) präsentierte die Tradition virtuoser Sopran-Paarungen am Beispiel der langjährigen Zusammenarbeit von Margherita Durastanti und Diamante Maria Scarabelli. Sie zeigte das wiederkehrende Muster ihrer Rollenprofile auf und wies darauf hin, dass dies Einblicke in Theaterpraktiken und Besetzungsentscheidungen der Zeit gebe und spezifische Genderdynamiken offenbare. Brad C. Sisk (Trondheim) schloss das Panel mit einem Beitrag über den „‚Addio Roma‘ Topos in the Venetian Collaborations of Orlandini and Bordoni“, wobei er die politische Dimension, etwa seine Verwendung als Mittel der Kritik an Autoritäten, hervorhob.

Die zweite Hälfte des Tages hatte „Women’s Roles and Images of Femininity on the Venetian Stage“ zum Thema und wurde mit einer Keynote von Wendy Heller (Princeton) eröffnet. Sie untersuchte die Darstellung weiblicher Charaktere im 17. und 18. Jahrhundert und stellte anhand der Rolle der Penelope in verschiedenen Opern eine signifikante Entwicklung hin zu größerer Komplexität und emotionaler Tiefe fest. Heller hob hierfür die wegweisende Funktion der Heldinnen des 17. Jahrhunderts hervor. Anschließend befasste sich Berthold Over (Magdeburg) in seinem Vortrag mit der kontrastreichen und vielschichtigen Darstellung von Weiblichkeit und Macht in den Opern „Il vincitor generoso“ und „La principessa fedele“ und diskutierte deren Bedeutung als mögliche Spiegelbilder für die Prinzessin Theresa Kunigunde. Bella Brover-Lubovsky (Jerusalem) erörterte die Rolle der Epponina in Giuseppe Sartis Oper „Giulio Sabino“, die sie aufgrund ihrer Handlungsfähigkeit und komplexen Beziehungen als Wegbereiterin für spätere weibliche Charaktere betrachtet. Magnus Tessing Schneider (Aarhus) hielt einen Vortrag über „Gender Reversals in Eighteenth-Century Venetian Opera“, die Frauen in Machtpositionen zeigen, und betonte die anhaltende Relevanz und lange Tradition des Motivs, das sowohl der Darstellung von Kritik und zur Herabsetzung von Frauen als auch zur Abbildung männlicher Schwäche diene. Mari Holder (Trondheim) untersuchte Maria Maddalena Pieris Interpretation männlicher Rollen in Vivaldis Opern und stellte fest, dass Vivaldi ihr Rollen gab, die Macht, Hypermaskulinität und Aggression verkörperten und spezifische dramatische und vokale Fähigkeiten erforderten, was auf Pieris Eignung für solche Rollen hinweist. Ruhama Santorsa (Florenz) beschäftigte sich mit „Portrayals of Women in One-Act Operas“ im späten 18. Jahrhundert und machte deutlich, dass trotz der vorherrschenden Themen von Ehe, Familie und Autorität viele der Frauencharaktere Eigeninitiative zeigten und ihre Freiheit beanspruchten.

Der letzte Konferenztag war in zwei kürzere Panels gegliedert. „Audiences and (Musical) Collections” umfasste drei Beiträge. Tatiana Korneeva (Trondheim) identifizierte Mäzeninnen im 18. Jahrhundert in Venedig anhand der Widmungen in den Libretti und stellte fest, dass lediglich eine geringe Anzahl davon an Frauen gerichtet war, was auf weiterhin männlich dominierte Machtstrukturen hinweist, betonte aber dennoch die wichtige Rolle der Frauen bei der Produktion und Förderung der Oper in Venedig. Silvia Urbani (Venedig) untersuchte die musikalische Dokumentation der venezianischen „Ospedali“, die aktuell im Konservatorium von Venedig aufbewahrt wird, und betonte deren Bedeutung für die Erforschung des Opernrepertoires sowie des privaten und musikalischen Lebens der Mädchen in ihnen. Britta Kägler (Passau) beleuchtete die Karrieren und Ausbildung von Sänger:innen in München und Umgebung im Vergleich zu Venedig, wobei sie einen Rückgang der Bedeutung Venedigs als Ausbildungszentrum zwischen 1680 und 1740 feststellte und Rosa Schwarzmann als Beispiel einer Sopranistin hervorhob, die den Ruf Münchens außerhalb Bayerns steigerte.

Die Konferenz wurde mit einem Blick in die Praxis beendet: „Performing (Gender in) Eighteenth-Century Opera Today”. Neben Arnoldos und Jeannerets eingangs bereits erwähntem Beitrag, sprach Deda C. Colonna (Basel) zugeschaltet aus Potsdam, wo sie aktuell Carl Heinrich Grauns wiederentdeckte Oper „Adriano in Siria“ inszeniert und choreographiert und Einblicke in ihr historisch informiertes Konzept gab.
Anne Desler (Edinburgh) beschäftigte sich in ihrem Vortrag „Vocal Ornamentation in Early Eighteenth-Century Dramma per Musica: Period Performance Practice versus Historically Informed Performance Practice” mit den Herausforderungen, die sich aus der heutigen Gesangstechnik und Rezeption für diese Aufführungspraktiken ergeben.
Den Abschluss des Panels und der Konferenz bildete eine Roundtable-Diskussion. Die Teilnehmer:innen, darunter Schneider, Heller, Jeanneret und Strohm, betonten die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem 18. Jahrhundert. Themen wie die Rolle von Wissenschaftler:innen in der Aufführungspraxis, die Bedeutung historischer Hörgewohnheiten und die Herausforderungen historisch informierter Aufführungspraxis wurden erörtert und die Komplexität der Thematik unterstrichen.