„Ist es doch, als ob jeder Baum auf dem Lande zu mir spräche: Heilig, heilig“.
Digitales Symposium zu Beethovens geistlichem Schaffen
Essen, 24.06.2021
Von Mikhail Kuchersky, Essen – 01.09.2021 | Die von Andreas Jacob und Dominik Höink (beide Essen) geleitete Tagung, die aufgrund der Corona-Pandemie verschoben wurde und in digitaler Form stattfand, war ursprünglich anlässlich der Feierlichkeiten zu Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag im vorhergehenden Jahr geplant. Es handelte sich um eine Veranstaltung der Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Altstadt in Zusammenarbeit mit dem Forum Kreuzeskirche Essen und der Folkwang Universität der Künste im Rahmen des Projektes „Beethoven. Musik im Spannungsfeld von Freiheit und Religiosität“. Dieses wurde durch BTHVN2020 aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, des Landes Nordrhein-Westfalen, der Stadt Bonn und des Rhein-Sieg-Kreises gefördert. Für die Organisation dieses Symposiums geht ein Dank an Ines Hansen.
Die Tagung widmete sich Beethovens geistlichem Schaffen. Dabei schloss sie sowohl die religiöse Verortung seiner Person als auch die Kontexte seines geistlichen Werkes mit ein. Als Vortragende fungierten abgesehen von Julia Ronge (Beethoven-Archiv Bonn) Angehörige der Folkwang Universität der Künste. Nach einleitenden Worten Andy von Oppenkowskis (Kantor an der Kreuzeskirche Essen) folgte eine Begrüßung und Einführung durch Andreas Jacob. Der von Dominik Höink moderierte erste Teil des Symposiums begann mit einem institutionshistorischen Beitrag des Berichterstatters zum Esterházyschen Hof, für den Beethoven seine Messe in C-Dur im Jahre 1807 schuf. Der Vortrag gewährte Einblicke in das Kapellknabeninstitut am Hofe des Fürsten Nikolaus II. Esterházy. Dank umfangreicher Quellenforschung in österreichischen und ungarischen Archiven und Bibliotheken konnten neue Erkenntnisse unter anderem zu bestimmten Bausteinen der Kapellknabenausbildung in Eisenstadt vorgelegt werden.
Von der Darstellung des für die kontextuelle Einordnung der Messe in C-Dur wichtigen institutionellen Umfeldes wandte sich mit dem Referat Elisabeth Schmierers „,Eine neue Stufe musikalischen Bewußtseins in der Kirchenmusik‘? Zu Beethovens C-Dur-Messe op. 86“ der Blick auf das Werk selbst. Sie stellte die Spezifik der individuellen Konzeption von Beethovens Messe in den Mittelpunkt und konzentrierte sich dabei auf besonders charakteristische Gestaltungsweisen, die sie an ausgesuchten Exempeln aus Kyrie, Gloria und Agnus Dei verdeutlichte.
Daraufhin richtete Philip Feldhordt den Blick auf Beethovens Missa solemnis. Nach einer Darstellung der Entstehungshintergründe dieses Werkes standen Theodor W. Adornos Schwierigkeiten mit dieser Komposition aus Sicht des Rezipienten im Zentrum des Referates.
Auch Andreas Jacob verwies am Beginn seines Vortrages zur „Logik der Unmittelbarkeit. Ein Beitrag zur Poetologie des späten Beethoven am Beispiel des Benedictus aus der Missa Solemnis“ auf die offenkundig schwere Zugänglichkeit innerhalb der Beethoven-Rezeption. Zugleich merkte er an, es trete an unterschiedlichen Stellen in dieser Komposition eine gehörte Plausibilität des musikalischen Geschehens auf. Für seinen Vortrag wählte Jacob das Benedictus, da es einen vergleichsweise eingängigen, homogen erscheinenden Satz darstelle. Zugleich verdeutlichte er, es entstehe darin eine gewisse – intuitiv erfassbare, genuin künstlerische – Logik der Unmittelbarkeit. Das Moment des Unmittelbaren vollziehe sich beispielsweise noch vor einer musikalischen Wortausdeutung. Die festgelegte Topik des Satzbildes präge das Kompositionsverfahren. Wenn in diesem Satz als Gemeinplätze bekannte musikalische Wendungen dominieren, könne zugleich ein dichtes Beziehungsgefüge bei einer in vielerlei Hinsicht anschlussfähigen formalen Ausführung geschaffen werden. Abschließend bettete Jacob diese Forschungsergebnisse in einen zeitgenössischen ästhetisch-philosophischen Kontext ein.
Die zweite Hälfte der Tagung, deren Moderation er übernahm, eröffnete Matthias Brzoska mit einem Referat zu „Fétis und die Rezeption von Beethovens Kirchenmusik in Frankreich“. Beethovens Sakralmusik sei in Frankreich erst sehr spät, sehr zögerlich und größtenteils mit pejorativen Kritiken rezipiert worden. Um zu erklären, woran dies lag, wählte Brzoska einen literaturwissenschaftlichen Zugang und bezog sich hierbei auf die Kategorie der „frenetischen“ Literatur sowie einen eigenen Aufsatz zur „frenetischen“ Beethoven-Literatur.
Im Anschluss referierte Dominik Höink zum Oratorium „Christus am Ölberge im Gattungskontext“. Im 19. Jahrhundert sei diese Komposition im deutschsprachigen Raum oftmals zu Gehör gebracht, jedoch im deutschen Diskurs stark infrage gestellt und herabgewürdigt worden. Nachdem Höink die Entstehungshintergründe und den Inhalt des Oratoriums skizziert hatte, verdeutlichte er, worin Forschungsdesiderate hinsichtlich dieser Komposition bestünden. Während in der einschlägigen Literatur das Augenmerk auf der Beschäftigung mit Entstehung- und Überlieferungszusammenhängen liege, sei die Komposition selber bislang verhältnismäßig selten behandelt worden. Noch weniger hätten die theologischen Kontexte, die theologischen Inhalte dieses Werkes und seine unterschiedlichen Textfassungen im Mittelpunkt der Betrachtungen gestanden. Der Referent erhellte diese Aspekte insbesondere im Hinblick auf die Konfession, die für die Betrachtung dieser Komposition und die Rezeptionskontexte von großer Bedeutung sei.
Norbert Abels begann seinen Vortrag „,Auf ebner Bahn oder So weit die Wolken gehen‘ – Ludwig van Beethovens Lieder nach Gedichten von Christian Fürchtegott Gellert. Eine weltliche Annäherung“ mit einer Einführung in den Zeitgeist von Gellerts Epoche der Empfindsamkeit und in die Rezeptionsgeschichte seiner 54 Geistlichen Oden und Lieder. Nach einer Darlegung der wirkungsästhetischen Intention des Dichters aus der Vorrede zu diesem Werk beschäftigte sich Abels mit der Frage, worin die Geistesverwandtschaft zwischen Gellert und Beethoven bestehe. Dabei lenkte er die Aufmerksamkeit auf Beethovens VI Lieder von Gellert op. 48 und wandte sich vertieft den Liedern Bitten, Die Liebe des Nächsten, Vom Tode und Die Ehre Gottes aus der Natur zu.
Den Schlusspunkt der Tagung bildete Julia Ronges Beitrag über „Beethovens kirchenmusikalische Ambitionen: Pläne, Ideen und Fragmente“. Nach der Präsentation einer Auswahl seiner Werke für die musikalische Ausgestaltung der Liturgie, zu denen Beethoven sich im Zuge seines Lebens Aufzeichnungen machte – jenseits seiner tatsächlich geschriebenen sakralen Musik –, folgte die Feststellung, welche Vorlieben des Komponisten sich daraus erkennen lassen. Für Beethovens beständige Beschäftigung mit Kirchenmusik zeigte Ronge aus verschiedenen Blickwinkeln Erklärungen auf.
Summa summarum gelang es mit diesem Symposium, eine große Bandbreite des geistlichen Schaffens Ludwig van Beethovens abzubilden. Durch zahlreiche neue Erkenntnisse konnte ein gewichtiger wissenschaftlicher Beitrag geleistet werden – eine Publikation der Forschungsergebnisse im Rahmen der Schriftenreihe der Folkwang Universität der Künste Folkwang Studien wird folgen.