Bernd Alois Zimmermann 100 Jahre – Komponieren im Schnittpunkt der Medien
Köln, 05.-07.04.2018
Von Andreas Dorfner, Detmold – 31.08.2018 | Anlässlich des einhundertsten Geburtstags des Komponisten Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) veranstaltete die Bernd-Alois-Zimmermann-Gesellschaft in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln ein Symposium. Die Konzeption lag in den Händen von Rainer Nonnemann (HfMT Köln) und Ralph Paland (BAZG).
Im Eröffnungsvortrag beleuchtete Dörte Schmidt, Projektleiterin der 2016 gegründeten Bernd Alois Zimmermann- Gesamtausgabe, die vielschichtigen Gründe einer medialen Überschreitung in Zimmermanns Œuvre, um sich anschließend der Umsetzung der medialen Werkbestandteile, etwa der Zuspielbänder in der Oper Die Soldaten, durch die gegenwärtige Aufführungspraxis zuzuwenden.
Die erste Sektion der Veranstaltung stand unter dem Titel „Facetten von Zimmermanns Medienbegriff – ästhetisch-poetologische Grundlagen“. Rainer Nonnemann erörterte das Verhältnis des jungen Komponisten zur Jazz-Musik und zum Volkslied anhand von dessen 1947 an der Kölner Musikhochschule vorgelegter Examensarbeit. Der Frage nach dem Einfluss Mozarts auf Zimmermanns kompositorisches Denken und wie sich dieser sowohl in seinem Werk als auch in seinen Schriften äußert, ging Oliver Wiener in seinem Beitrag nach. Alexander Kleinschrodt schließlich untersuchte Zimmermanns Kompositionen der 1960er Jahre, namentlich die Soldaten und die Ekklesiastische Aktion, aus raumsoziologischer Perspektive. Den ersten Abend beschloss ein Konzert für Musiker und Tänzer im Konzertsaal der Kölner Musikhochschule, bei dem Zimmermanns Monologe (Lukas Katter und Anton Gerzenberg), Konfigurationen (Felix Knoblauch) und das Ballet blanc Présence erklangen – eindrucksvoll musiziert und in Szene gesetzt vom Ensemble uBu –, dazu mit La Palanca – Ballet Nocturne von Vladimir Guicheff Bogacz auch eine Uraufführung. Das Stück, als Klaviertrio mit drei Tänzern für dieselbe Besetzung wie Présence geschrieben, war ein Kompositionsauftrag der BAZG an den jungen Absolventen der HfMT.
Der zweite Tag begann mit der Präsentation zweier Neuerscheinungen im Jubiläumsjahr: con tutta forza, ein beeindruckendes „persönliches Portrait“ ihres Vaters von Bettina Zimmermann, und Welt – Zeit – Theater. Neun Untersuchungen zum Werk von B. A. Zimmermann, herausgegeben von Oliver Korte. Die anwesenden Autoren stellten in einem Podiumsgespräch ihre in diesem Band erschienenen Beiträge vor: über Des Menschen Unterhaltsprozess gegen Gott und die Dialoge (Andreas Dorfner), die Solokantate Omnia tempus habent und das Requiem für einen jungen Dichter (Oliver Korte), Zimmermanns nicht mehr realisiertes Opern-Projekt Medea (Martin Zenck) und den Einfluss Zimmermanns auf das gegenwärtige Komponieren (Oliver Wiener). In der zweiten Sektion des Symposiums, „Musik – Literatur – Szene – Tanz: Intermedialität“, referierte Oliver Korte über Intertextualität in Zimmermanns Présence, indem er die analytischen Befunde durch literaturwissenschaftliche Kriterien ergänzte. Ausgehend von Claude Debussys Jeux: Poème dansé, das eine ähnliche gattungsbezogene Ambivalenz aufweist wie manche Werke Zimmermanns, hob Martin Zenck im anschließenden Vortrag die Rolle der Intermedialität von Bild, Choreografie, Film, Text und Musik hervor, wie sie sich vorrangig in Zimmermanns Musiktheaterschaffen niederschlägt.
In der Nachmittags-Sektion stand Zimmermanns „Komponieren mit elektroakustischen Medien“ im Vordergrund. Ralph Paland untersuchte den Einsatz der Zuspielbänder in Die Soldaten unter werkgeschichtlichen und semantischen Aspekten und wies kompositorische Strategien nach, die Zimmermann in späteren Werken wieder aufgriff und weiterentwickelte. Matthias Pasdzierny widmete seinen Beitrag der Stimmbehandlung in Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter, um die dort anzutreffende Facettenvielfalt vor der Folie der Performance-Analyse und aktueller medienästhetischer Debatten zu reflektieren. Inhaltlich ergänzend thematisierte João Rafaels Beitrag die kompositorische Struktur des Tonbands im Requiem und die damit verbundenen Aufgaben der Klangregie.
Die anschließende Präsentation durch Rafael im Konzertsaal der HfMT brachte anhand paradigmatisch ausgewählter Klangbeispiele Einblicke in die unterschiedlichen Aufgabenstellungen der Klangregie unter dem Blickwinkel einer „in vitro“-Situation im Studio gegenüber einer Ausgestaltung des Werkes im Konzertsaal.
Die elektroakustische Musik stand auch im Fokus der Podiumsdiskussion, bei der York Höller, Sergej Maingardt, Oxana Omelchuk und João Rafael zugegen waren. Den Abschluss des Tages bildete ein Konzert mit Werken aus dem Studio für elektroakustische Musik der HfMT Köln. Neben Zimmermanns Tratto und Werken seiner jüngeren Zeitgenossen Hans Zender, Dimitri Terzakis und Klarenz Barlow standen dabei mit Stücken von Vincent Michalke und Sergej Maingardt auch zwei Uraufführungen junger Absolventen der HfMT auf dem Programm.
Die erste Sektion des Samstags – „Medienkomposition“ im Kontext ‚angewandter’ Musik“ – war Zimmermanns Arbeiten für Rundfunk und Film gewidmet. Svenja Reiners Beitrag ging der Frage nach, warum Zimmermanns Hörspielmusiken bis heute ein Schattendasein führen, und untersuchte Zimmermanns Umgang mit Musik und Sprache anhand der Hörspiele Melusine und Die Mondvögel. Arnold Jacobshagen wandte sich Zimmermanns „Funkoratorium“ (respektive „Funkoper“) Des Menschen Unterhaltsprozess gegen Gott zu, ein trotz seiner abendfüllenden Länge bis heute weitgehend unbekanntes Werk des Komponisten. Jürg Stenzl stellte Zimmermanns Beiträge zur Filmmusik anhand der Zusammenarbeit des Komponisten mit dem Regisseur Michael Wolgensinger und dem sich daraus abzeichnenden Verhältnis zwischen Bild und Musik in das Zentrum seiner Betrachtungen. Komplettiert wurde die Sektion durch die Präsentation des 1953/54 entstandenen Films Metamorphose von Michael Wolgensinger mit der Musik von Bernd Alois Zimmermann.
Für die letzte Sektion des Symposiums „Klang-Farben / Farb-Klänge – Instrumentation als Medium“ konnten Katrin Eggers und Johannes Schöllhorn als Vortragende gewonnen werden. Eggers erörterte die kompositorischen Strategien in Zimmermanns Orchesterwerk Photoptosis unter dem Aspekt musikalischer Oberflächengestaltung und kontextualisierte das Werk sowohl innerhalb seines eigenen Schaffens als auch des geschichtlichen Kontinuums. Schöllhorn schließlich, dessen Instrumentation der Konfigurationen Zimmermanns im Mai dieses Jahres im Rahmen des Acht Brücken-Festivals uraufgeführt wurde, rückte, neben dem chemischen Aspekt des Titels, das Auftreten „veritabler Geister und Gespenster“ in den Vordergrund, wie sie sich nicht zuletzt anhand eines neuartigen Pedalgebrauchs in diesen Miniaturen Zimmermanns zu erkennen geben.
Den Abschluss des Symposiums bildete eine Podiumsdiskussion mit Vladimir Guicheff Bogacz, Bernhard Kontarsky, Anna Neubert, Johannes Schöllhorn und Lisa Streich, in der unter anderem der Einfluss der genre- und medienüberschreitenden Ansätze Zimmermanns auf die gegenwärtige Komponistengeneration erörtert wurde. Damit schloss ein dreitägiges, facettenreiches Symposium, das mit Vorträgen, Konzerten, choreographischen Aufführungen, Audio- und Filmpräsentationen sowie mit Gästen aus Wissenschaft und Kunst den Begriff der Intermedialität auch für die eigene Darstellungsform fruchtbar machte.