A Counterpoint of Music and Text(s): Redefining musico-textual relationships in late medieval repertoires
Würzburg, 13.-14.12.2018
Von Anna Sanda, Wien – 04.07.2019 | Das Forschungsseminar – das von Mikhail Lopatin, einem Humboldt-Stipendiaten am Institut für Musikforschung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, veranstaltet wurde – widmete sich der französischen und der italienischen Musik des 13. und 14. Jahrhunderts inklusive des weitverbreiteten Motettenrepertoires mit dem Fokus auf dem Verhältnis von Musik und Text. Diese Verbindung wurde von Lopatin programmatisch als eine „kontrapunktische Relation“ bezeichnet und zwar auf zwei Ebenen. Im engeren Sinne hieß es, das semantische Potenzial von Musik und Text als zueinander in kontrapunktischer Beziehung stehend zu betrachten – analog zur Relation zweier Stimmen, die zueinander in Parallel- oder Gegenbewegung verlaufen, einander kreuzen oder abwechseln. Dieser Ausgangspunkt sollte zu einer erweiterten Behandlung eines „musikalisch-textuellen Kontrapunkts“ über verschiedene Gattungen und zeitlich wie geographisch gebundene Aspekte hinaus führen. Im weiteren Sinne sollte die transdisziplinäre Herangehensweise, die ExpertInnen mit unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten zusammenbrachte, eine Interaktion in der Art eines „kontrapunktischen Dialogs“ bewirken, um ein neuartiges Verständnis der musikalisch-textuellen Beziehungen in der Musik des Spätmittelalters zu entwickeln. Die sieben Beiträge des zweitägigen Seminars umfassten eine große Bandbreite sowohl der Methoden als auch des untersuchten Repertoires und präsentierten sieben unterschiedliche Herangehensweisen in unmittelbarer Verbindung zum gegebenen Programm.
Nach der Eröffnung durch Andreas Haug (Würzburg) beleuchtete Lopatin im ersten Beitrag „Metamorphic bodies, equivocal signs, and deception in Piero Mazzuoli’s A Febo“ das hermeneutische Potenzial der Trecento-Texte: eine Mehrdeutigkeit, die durch die analytische Annäherung an einzelne Wörter in Bezug auf ihre strukturelle, visuelle Verortung im Text, ihre Sonorität sowie ihre Relation zur Melodie erfasst werden kann. Ausgehend von der Behandlung des Trecento-Traktats „Summa artis rithmici vulgaris dictaminis“ von Antonio da Tempo (1332) – das den Begriff „equivocus“ umfassend betrachtet – argumentierte Lopatin dafür, dass eine Technik, die ursprünglich für die Modifizierung von Wortbedeutungen im strengen poetischen Kontext Geltung hatte, im Kontext der Versform und des poetischen Inhalts sowie im Verhältnis zwischen Musik und Text, im weiteren Sinne im Verhältnis zwischen unterschiedlichen medialen Ebene als „Analyseinstrument“ dienen kann. Diese Herangehensweise erörterte er konkret anhand der Ballata A Febo von Piero Mazzuoli.
Das Seminar wurde am darauffolgenden Tag mit dem Vortrag von Elizabeth Eva Leach (Oxford) fortgesetzt. Ihr Beitrag „Musico-poetic structure and emotional content in some songs by Blondel de Nesle“ widmete sich der Analyse von Trouvère-Gesängen, dem einstimmigen, in einem nordfranzösischen Dialekt geschaffenen Repertoire, das bislang in der Musikforschung im Vergleich zum Troubadour-Repertoire weniger Aufmerksamkeit erhielt. Sie hob hervor, dass eine Betrachtung der melodischen Struktur in Bezug auf den Text ergiebig ausfällt. Während das erste Beispiel (En tous tens que vente bise) die Komplexität der melodischen Struktur zeigte, die aber unmittelbar an den Aufbau des Textes anknüpft und durch die enge Verbindung auf der strukturellen Ebene in differenzierter Weise auf die Bedeutung des Gedichtes wirkt, deutete der schlichte musikalisch-textuelle Aufbau des zweiten Gesangs (Mes cuers me fait commencier) auf die vielfältige Auslegung in der Performanz.
Aus einer anderen analytischen Perspektive behandelte Meghan Quinlan (Uppsala) das Trouvère-Repertoire in ihrem Beitrag „Contrafacture and musical semiotics: Can melodies be signs?“ Im Kontext der Kontrafacta dieses Repertoires stellte sie in drei Fallstudien (Quant je plus sui und Gent de France; Li Chastelain de Couci ama tant und A vos amanz sowie Pour mon chief und Sol sub nube latuit) vor, wie sich mithilfe der Methoden und Begrifflichkeit der musikalischen Semiotik die textartigen Funktionen der Musik, die musikartigen Strukturen des Textes und die integrierte Verwirklichung beider Aspekte beleuchten lassen.
Im letzten Beitrag des Vormittags widmete sich die Brigitte Burrichter (Würzburg) den Chansons von Thibaut de Champagne (1201–1253). Als Literaturwissenschaftlerin konzentrierte sie sich auf die Bildlichkeit und Symbolik innerhalb des Chanson-Corpus von de Champagne und stellte die einzelnen Chansons in ihrer Relation zueinander dar. In der auf den Vortrag folgenden Diskussion wurde diese unter Berücksichtigung der relevanten musikalischen Aspekte weiter ausgeführt.
Die Sitzung am Nachmittag begann Elena Abramov-van Rijk (Jerusalem) mit einer Studie zur „The non-Italian Ars nova: How to read the madrigal Povero zappator by Lorenzo da Firenze“. Das zur Untersuchung herangezogene Madrigal stellt eine Ausnahme im Trecento-Repertoire dar, da es eine isorhythmische Struktur in der Art der französischen Ars nova aufweist. In ihrem Beitrag argumentierte Abramov-van Rijk dafür, dass das Madrigal Povero zappator anhand des „fremden“ musikalischen Aufbaus eine bewusste, ironische Anspielung darstellt: Das im Text vorkommene „chiusa valle“ deutet auf den Ort Fontaine-de-Vaucluse in der Region Provence-Alpes-Côte dʼAzur, wo sich Petrarca zwischen 1337 und 1353 gern aufhielt und wohin er entgegen der Erwartung seiner florentinischen Gesellschaft nach seinem Besuch in Florenz zurückkehrte. Mit Rücksicht auf den Aufenthalt von Petrarca, der 1350 erfolgte, könne das Madrigal von Lorenzo da Firenze in die 1350er Jahre datiert und mit der Canzone 50 Ne la stagion in Verbindung gebracht werden, die ebenfalls die Motive „chiusa valle“ und „zappator“ aufweist.
Die Relation zwischen Musik und Text betrachtete Pedro Memelsdorff (Barcelona) unter dem Blickwinkel der Textunterlegung in zwei Handschriften der späten Ars nova, im Codex Chantilly und Modena „A“. Er zog die Stelle mit doppelten Texten zur genaueren Betrachtung heran und wies auf die unterschiedlich verschriftlichte Relation zwischen der Musik und dem zugeordneten Text sowie auf deren mögliche Bezüge bei der Performanz hin.
Das Seminar endete mit dem Vortrag „Redefining musico-textual relationships in fourteenth-century motets“ von Margaret Bent (Oxford). Sie behandelte die Gattung Motette anhand konkreter Beispiele quer durch das Repertoire des 14. Jahrhunderts auf der Basis dreier Relationen: Text und unmittelbar dazugehörige Melodie; Text und Musik in Relation zu anderen Textteilen sowie Text und Musik in Bezug auf den biblisch-liturgischen Kontext des Tenors. Dieser umfassende Ansatz, der die Vielfältigkeit der „Kompositionsstrategien“ entfaltete, kann hier nur beispielhaft aufgriffen werden. Die kennzeichnende Charakteristik der Motette – der Text kommt in den zeitgenössischen Handschriften niemals ohne Musik vor – bildete den Ausgangspunkt der ausführlichen Betrachtung des Verhältnisses zwischen Musik und Text. Die Motette Quoniam secta latronum / Tribum, que non abhorruit / Merito hec partimur (aus dem Roman de Fauvel) diente als Beispiel dafür, dass der Tenor nicht nur als Text in die obere Stimme eingegliedert, sondern auch musikalisch eingearbeitet werden kann, was eine weitere Ebene eines „kontrapunktischen Verhältnisses“ eröffnet. Zu der genannten dritten Perspektive veranschaulichte Bent mehrere Fälle, an denen sie die Beziehungen zwischen ausgewählten Motetten erörterte.
Hervorzuheben ist nicht nur die Vielfältigkeit des Seminars, das ein breites Spektrum neuartiger Annäherungen zur Untersuchung von Musik und Text bot, sondern auch der fruchtbare – tatsächlich seminarartige – Rahmen der Veranstaltung, der, dem Format entsprechend, ausreichend Zeit für intensive Diskussion mit aktiver Beteiligung der ZuhörerInnen ermöglichte.