Musik und Bewegung. 33. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie
Hamburg, 17.09.2017
Von Nicola Bunte, Detmold – 17.08.2018 | Für die deutschsprachige Musikpsychologie ist das Institut für Systematische Musikwissenschaft der Universität Hamburg geschichtsträchtig, wurde doch hier eine ganze Schule von Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftlern mit musikpsychologischem Erkenntnisinteresse geprägt. Zu dieser gehören auch Helga de la Motte-Haber, Klaus-Ernst Behne und Günter Kleinen, die gemeinsam im Jahr 1983 die Deutsche Gesellschaft für Musikpsychologie mit dem Ziel gründeten, der deutschsprachigen Musikpsychologie ein Forum zu bieten. So wundert es nicht, dass die 33. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie (DGM) am Hamburger Institut mit Bezug zu dieser Geschichte eröffnet wurde. Die wie gewohnt dreitägige Konferenz widmete sich dem Thema „Musik und Bewegung“, zu dem der lokale Gastgeber und Organisator Clemens Wöllner seit seiner Berufung an das Institut für Systematische Musikwissenschaft mit großem Erfolg einen Forschungsschwerpunkt aufgebaut hat. Zeugnis hiervon ist das laufende Projekt „Slow Motion: Transformations of Musical Time in Perception and Performance“ (SloMo), in dem seit Anfang 2017 – gefördert durch den Consolidator Grant des European Research Council – die Wirkung gedehnter Zeit erforscht wird.
Passend zur Interdisziplinarität des Feldes „Musik und Bewegung“ konnten für die Keynote-Vorträge mit Werner Goebel (Wien) und Clare Guss-West (Brüssel) ein Redner und eine Rednerin mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und Ansätzen gewonnen werden. So gab Goebel als international renommierter Wissenschaftler auf dem Gebiet der musikbezogenen Bewegungsforschung im Eröffnungsvortrag einen Überblick über die aktuellen Möglichkeiten und Herausforderungen der Bewegungserfassung des Musizierens. Interessant erschien bei aller Aktualität der Thematik die historische Einlassung von Goebel über ein mechanisches Motion Capturing System, das bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde und sogar heute noch eingesetzt wird. Zudem demonstrierte Goebel eindrucksvoll anhand seiner eigenen Forschungsarbeit zur Effizienz des Fingeranschlags beim Klavierspiel das große Potential, das in der heute möglichen, äußerst genauen Bewegungsmessung und -analyse beispielsweise für das Erlernen und Üben von Bewegungsabläufen liegt.
Am zweiten Tag der Konferenz wurde mit dem Keynote-Vortrag von Clare Guss-West der thematische Bogen zum Tanz gespannt. Ihre vielfältigen praktischen Erfahrungen u. a. als Tänzerin, Choreografin, Sängerin, Opernintendantin, Lehrer-Ausbilderin und holistische Therapeutin verbindet Guss-West mit aktuellen wissenschaftlichen Befunden zur Effektivität des Lehrens und professionellen Trainings zu einem holistischen Ansatz über gelungene Bewegung. Ins Zentrum ihres Ansatzes stellt sie die Integration unterschiedlicher grundlegender Aspekte von Körper und Geist.
Entlang der thematischen Spannbreite der beiden Keynote-Vorträge entfaltete sich das weitere themenbezogene Tagungsprogramm. Anschließend an die Ausführungen von Goebel boten die nächsten beiden Vorträge zwei fokussierte Einblicke in den Einsatz der Messung von Musizierbewegungen, einerseits zur Erforschung von Muskelaktivität und Bewegungsmustern von hohen Streichern in Abhängigkeit von Ermüdung und Schmerz (Dirk Möller, Bronwen Ackermann und Christoph Zalpour), andererseits zum Zusammenhang von Spielbewegungen und Klang beim Klarinettenspiel (Manfred Nusseck, Christoph Reuter, Isabella Czedik-Eysenberg und Claudia Spahn). Im zweiten Vortragsblock des ersten Tages standen zwei weitere Facetten des Themas „Musik und Bewegung“ im Mittelpunkt: Das Bewegen zu Musik – vom „kaum merklichen Mitschwingen“, wie es bereits im Call vor Papers zur Tagung heißt, bis zum Tanz – und die Rückübersetzung musikalischer Gesten in Klang. Solche Verklanglichungen (Sonifikationen) sind unter anderem im Bereich des Bewegungslernens relevant und werden für künstlerische Performances eingesetzt. Zwei Evaluationsstudien zu unterschiedlichen Übersetzungsstrategien, die in einem nachmittäglichen Vortrag vorgestellt wurden (Jesper Hohagen und Clemens Wöllner), lieferten Befunde zum Selbst-Fremd-Erkennen von Sonifikationen sowie zu ihrer ästhetischen Wahrnehmung. Eine besondere Brücke zwischen Wissenschaft und Kunst schlug das beeindruckende abendliche Konzert von Federico Visi, der ebenfalls gestengesteuert zahlreiche musikalische Parameter kontrollierte und so seine Musik mittels Bewegung auf unkonventionelle Weise zum Erklingen brachte. Die beiden thematischen Facetten (Bewegen zu Musik und Verklanglichung musikalischer Gesten) spannen sich fort bis zum Keynote-Vortrag von Clare Guss-West zur Mitte des zweiten Tages. Der thematische Fokus der Tagung endete am Nachmittag mit der Präsentation eines Projektes zur Messung der nonverbalen Synchronie des Publikums im klassischen Konzert (Christoph Seibert, Fabian Greb und Wolfgang Tschacker). Insgesamt zwölf Vorträge zum Themenkomplex „Musik und Bewegung“ haben der Jahrestagung eine starke inhaltliche Klammer verliehen. Innerhalb dieser wurde besonders deutlich, dass die Forschungsfragen und Ansätze vielfältig sind und dass das Feld durch starke Interdisziplinarität gekennzeichnet ist. Die Tagung bot in diese Vielfalt einen sehr spannenden und lohnenswerten Einblick.
Wie üblich wurden auf der Jahrestagung aber auch zahlreiche freie Beiträge präsentiert. Am Nachmittag des zweiten Tages fanden unter anderem Vorträge zu Themen im Bereich audiovisuelle Werbung und Audio-Branding sowie zur alltäglichen Nutzung von Musik Platz. Neben den insgesamt sieben thematisch freien Vorträgen wurden in zwei Sessions 58 Poster präsentiert. Die Postersessions bildeten auch in diesem Jahr ein Kernstück der Tagung, nicht zuletzt, weil hier der direkte Austausch zwischen Kolleginnen und Kollegen zu aktuellen Projekten stattfindet und neue Kooperationen und Vernetzungen angebahnt werden. Der letzte Tagungstag hielt erneut freie Beiträge als Vorträge bereit, darunter Präsentationen zu den Themen „Verbreitung und Prädiktoren neurodidaktischer Mythen unter Musiklehrern und Musik-Lehramtsstudierenden“ (Nina Düvel, Anna Wolf und Reinhard Kopiez) und „LongGold: Eine Langzeitstudie zur Entwicklung musikalischer Fähigkeiten im Jugendalter“ (Daniel Müllensiefen).
Die nächste Tagung der DGM wird 2018 am Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Justus-Liebig-Universität in Gießen zum Thema „Musik im audiovisuellen Kontext“ stattfinden. Das gesamte Tagungsprogramm der letztjährigen Tagung sowie der Call for Papers zur diesjährigen Tagung sind wie immer auf der Webseite der DGM (www.music-psychology.de) zu finden.