Internationale Arbeitstagung: Gender Studies in der Musikwissenschaft. Entwicklungen, Positionen, Tendenzen
Graz, 24.-25.06.2016
Von Nadine Scharfetter, Graz – 17.10.2016 | Am 24. und 25. Juni 2016 fand an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz mit der internationalen Arbeitstagung „Gender Studies in der Musikwissenschaft. Entwicklungen, Positionen, Tendenzen“ eine Veranstaltung statt, deren Ziel es war, einen fachübergreifenden Austausch über gegenwärtige Tendenzen sowie zukünftige Entwicklungen von Gender Studies anzuregen. Durch insgesamt 33 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Ländern (Norwegen, Slowenien, USA, Großbritannien, Niederlande, Schweiz, Deutschland und Österreich) und zahlreichen Disziplinen (Soziologie, Literaturwissenschaft, Naturwissenschaften, Ethnomusikologie, Musikpädagogik, Musiktheorie, Gender Studies, Kulturwissenschaft etc.) wurden in vier Sektionen unterschiedliche Positionen und Aspekte der Gender Studies ins Zentrum gestellt. Jede Sektion wurde durch einen musikwissenschaftlichen Vortrag und einen Vortrag außerhalb der Musikwissenschaft eingeleitet, welche im Anschluss in Round Tables diskutiert wurden.
Nach der Begrüßung durch Elisabeth Freismuth (Rektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz) und Klaus Strobl (Vertreter der Stadt Graz) eröffnete Sigrid Nieberle (Technische Universität Dortmund) die erste Sektion mit dem Themenschwerpunkt „Gender Studies and Musicology“. In ihrem Vortrag („Don’t you gender me“!? Anti-Genderism and Contexts“) setzte sich Nieberle aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mit der derzeitigen publizistischen Tendenz des Anti-Genderismus in unterschiedlichen Medien auseinander, indem sie u.a. die poetischen Merkmale und stilistischen Mittel im Feuilleton-Artikel analysierte. Fred Maus (University of Virginia, „Women in the Recent History of Music Theory“) erörterte anschließend die musiktheoretischen Ansätze von Alexandra Pierce, Pauline Oliveros und Helen Bonny. Alle drei Amerikanerinnen entwickelten innovative Theorien, in welchen theoretische Überlegungen eng mit praktischen Anwendungsbereichen verknüpft wurden. In der anschließenden zweiten Sektion standen die Begriffe „Gender, Postcolonial Studies und Music“ im Zentrum. Ellen Koskoff (University of Rochester‘s Eastman School of Music, „Postcolonialism, Feminism, and Music: New Paradigms and Practices“) zeigte anhand ihrer Feldforschungen mit chassidischen Juden in New York und einer hinduistischen Gemeinschaft auf Bali, dass die Interpretation von genderspezifischer Musik, musikalischer Praxis, Gender und Feminismus vollkommen vom vorherrschenden lokalen Verständnis dafür abhängt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen sich dessen bewusst sein, um andere Kulturen nicht auf Basis ihrer eigenen (westlichen) Werte und Vorstellungen zu beurteilen. Im Anschluss setzte sich Gabriele Dietze (Humboldt-Universität zu Berlin, „Gender and Postcolonial Theory – an Uncanny Relationship“) mit Gender Studies und Postcolonial Studies auseinander, indem sie aufbauend auf einem Überblick über deren Entstehungsgeschichten verdeutlichte, warum eine Zusammenarbeit der beiden Disziplinen – trotz vorhandener Konflikte – sinnvoll und notwendig ist. Am Beispiel von M.I.A. analysierte Dietze anschließend die Verbindung von Gender und Postkolonialismus sowie den dargestellten postkolonialen Feminismus in der Musik und den Musikvideos der Sängerin.
Der erste Tag der Arbeitskonferenz wurde durch ein Gesprächskonzert mit Gesangsstudierenden der KUG abgerundet. Im Gespräch mit Ulf Bästlein und Christa Brüstle (beide Universität für Musik und darstellende Kunst Graz) berichteten die Studierenden über ihre Erfahrungen, in unterschiedlichen Sprachen zu singen.
Der zweite Tagungstag wurde mit der dritten Sektion zum Thema „Gender, Interdisciplinarity and Music“ eingeleitet. Als erste Vortragende des Tages veranschaulichte Kerstin Palm (Humboldt-Universität zu Berlin, „Biological Embodiments of Social Difference - Scientific Contributions to Interdisciplinary Gender Studies“), ausgehend von der aktuellen biologischen Embodimentforschung, den zentralen Stellenwert biologischer Forschung für eine interdisziplinäre Sex-Gender-Forschung. Durch Analysen von Knochenfunden aus der älteren Eisenzeit zeigte Palm, inwiefern mithilfe der Biologie stereotype Vorstellungen über prähistorische Geschlechterrollen im Bergbau widerlegt werden können. Im anschließenden Vortrag („Music, Gender and Interdisciplinarity: How Gendered Conventions are Deconstructed by Screaming Flute, Glitching Voices and Interdisciplinary Performance“) setzte sich Hannah Bosma (Amsterdam) mit weiblich und männlich konnotierten Bereichen in der (elektroakustischen) Musik auseinander. Anhand von interdisziplinären elektroakustischen Kompositionen von Anne La Berge und Huba de Graaff erörterte Bosma, wie die beiden Frauen durch den Einsatz von diversen Medien und Technologien, der menschlichen Stimme, unterschiedlichen Instrumenten etc. mit genderspezifischen Konnotationen umgehen und teils gegen diese arbeiten. In der abschließenden Sektion, in welcher der Schwerpunkt auf „Gender, Diversity and Music“ lag, unternahm Corinna Onnen (Universität Vechta, „Gender, Diversity or Even Intersectionality? An Attempt at Systematization in the Search for the Chicken and the Egg“) den Versuch einer Positionierung der Termini Gender, Diversity, Intersektionalität und Inklusion. Zunächst wurden die Begriffe historisch eingeordnet, bevor deren soziale Entstehungskontexte und theoretischen Perspektiven betrachtet wurden. Zudem zeigte Onnen auf, inwiefern die vorgestellten theoretischen Ausführungen in der Gesellschaft praktische Anwendung finden. Abschließend thematisierte Lisa Colton (University of Huddersfield) in ihrem Vortrag („Musicology and Diversity: Exploring Diverse Identities in Recent Popular Music“) die Zusammenhänge von Diversität und Musikwissenschaft, wobei vor allem Diversität in der Darstellung von Identitäten in der populären Musik untersucht wurde. Anhand von Björk, Lady Gaga und Beyoncé veranschaulichte Colton, auf welche Art und Weise die Sängerinnen Diversität auf visueller und auditiver Ebene einsetzen.
Im Anschluss an jede Sektion fand ein Round Table statt, welcher von Cornelia Bartsch (Universität Basel) und Christa Brüstle moderiert wurde. Nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Zusammensetzung des Podiums und Publikums, durch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen Disziplinen und Ländern, kam es zu spannenden und anregenden Diskussionen, die sich hierbei nicht auf theoretische Ansätze und Methoden beschränkten, sondern auch praktische Erfahrungen der Beteiligten mit Interdisziplinarität, Diversität und Gender im eigenen sozialen Umfeld, an der eigenen Universität usw. umfassten. Die Arbeitstagung wurde kofinanziert durch die Mariann Steegmann Foundation, das Land Steiermark – Referat Wissenschaft und Forschung sowie die Stadt Graz. Zudem fand eine Medienpartnerschaft mit der Styriarte statt.