Kunst und Alltag. Der Briefwechsel von Clara und Robert Schumann.
22. Wissenschaftliche Arbeitstagung zu Fragen der Schumann-Forschung
Zwickau, 02.-04.09.2016
Von Timo Evers, Düsseldorf – 17.10.2016 | Vom 2. bis 4. September 2016 fand die mittlerweile 22. Wissenschaftliche Arbeitstagung zu Fragen der Schumann-Forschung in Zwickau statt. Tagungsort war das Robert-Schumann-Haus, das als Institution zusammen mit der Robert-Schumann-Gesellschaft Zwickau als Veranstalter fungierte. Geleitet wurde die Tagung von Michael Heinemann (Dresden) und Thomas Synofzik (Zwickau), die auch als Editionsleiter der 1996 ins Leben gerufenen ersten Wissenschaftlichen Gesamtausgabe der Briefe von Clara und Robert Schumann firmieren. Konnte der erste Band dieser Ausgabe des mit über 20.000 Einzelbriefen enorm umfangreichen Quellenkorpus 2008 veröffentlicht werden, so liegen mittlerweile 22 Bände vor, denen noch ebenso viele weitere folgen sollen.
Anlass der Tagung war der Abschluss der Editionsarbeiten an der Korrespondenz, die Clara und Robert Schumann zeitlebens miteinander geführt haben und die nun vollständig in einer kommentierten Buchausgabe vorliegt. Vor diesem Hintergrund entsprach es dem Ziel der Tagung, das weithin bekannte Bild des in der Musikgeschichte wohl einzigartigen Künstlerpaares nochmals zu prüfen und kritisch in seinen historischen Kontexten zu reflektieren. Im Fokus standen daher vorrangig die aus den Briefen zu extrahierenden Deutungsmuster von Ehe, Künstlertum und musikalischer Alltagsgestaltung, thematisch aufgeteilt in die vier Sektionen I. „Brief-Romane: Leben nach Texten“, II. „Ortsbestimmungen“, III. „Partner“ und IV. „Kontexte“.
Eröffnet wurde die erste Sektion von Walter Schmitz (Dresden), der in den Gegenstand mit dem literaturgeschichtlich orientierten Vortrag „Private Öffentlichkeit. Künstlerbriefwechsel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ einführte. Unter Rekurs auf den Begriff des mitteleuropäischen Briefsystems zwischen ungefähr 1750 und 1850 hob Schmitz in einem prägnanten historischen Abriss hervor, dass der bürgerlich-private Brief als Gattung und Medium von einem Kulturwandel hinsichtlich seiner sozialen Funktion und – damit einhergehend – seiner rhetorischen Muster und Themen geprägt war, was als unmittelbare Voraussetzung auch für die Korrespondenz Clara und Robert Schumanns anzusehen sei. Im Anschluss daran referierte Arnfried Edler (Hannover) über teilweise explizit, teilweise jedoch auch implizit angesprochene „Literatur der 1830er Jahre im Briefwechsel Robert und Clara Schumanns“. Deutlich wurde, dass gewisse Implikationen in den Briefen auf eine breitere Literaturkenntnis Schumanns schließen lassen als bisher angenommen. Das Problem der häufig nicht eindeutig zu klärenden Bedeutung gewisser Formulierungen in den Brieftexten – sind entsprechende Passagen wörtlich zu nehmen, oder handelt es sich um Humor oder Satire? – wurde ferner durch den Vortrag von Gerd Nauhaus (Zwickau) mit dem Titel „Bezüge der Jugendtagebücher Clara Schumanns zum Briefwechsel mit Robert Schumann“ deutlich. Erkennbar wurden die unterschiedlichen kommunikativen Voraussetzungen jener schon hinsichtlich ihrer Adressierungen divergierenden Textquellen: Der private Briefwechsel mit dem in der Ferne weilenden Verlobten erforderte andere kommunikative Strategien als ein scheinbar für sich selbst bestimmtes Tagebuch, in dem wichtigste Lebensereignisse lange Zeit vor allem von Claras Vater, Friedrich Wieck, eher in knappen Aufzählungen, jedoch ohne ausführlichere Reflexionen verzeichnet wurden. Und so bildete vor dem Hintergrund dieser ersten drei Referate den wohl wichtigsten Gegenstand der sich anschließenden engagierten Publikumsdiskussion das sich in den Brieftexten manifestierende umstrittene Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität: Deren Grenzen scheinen bisweilen fließend, sodass sie für Unwägbarkeiten verantwortlich zeichnen, die auch durch einen sorgfältigen Vergleich mit anderen Quellen (Egodokumente, Zeitungsberichte, Konzertprogramme, historiographische Quellen) nicht immer geklärt werden können und daher verschiedene Interpretationsräume unmittelbar eröffnen.
In diesem Zusammenhang, wie im Verlauf der Tagung insgesamt, kristallisierte sich immer wieder die wohl kaum abschließend zu klärende Frage nach der Bedeutung von Aussparungen gewisser Aspekte, Person oder gar Orte in den Brieftexten heraus. Der Fokus wurde sodann in der zweiten Sektion auch auf „Ortsbestimmungen“ gelegt: Matthias Wendt (Krefeld) stellte in seinem Referat „,Hinter den Bergen wohnen auch Leute‘ – Von der Faszination eines Ortsregisters“ die Bedeutung von Orten für Robert und Clara Schumann in das Zentrum seiner Betrachtungen. So gewährt beispielsweise ein rekonstruiertes Itinerar der Konzertreisen Clara Wiecks/Schumanns immer auch Aufschlüsse über Organisation, Vernetzung und sozialen Stellenwert einer reisenden Klaviervirtuosin, die etwa die Stadt Chemnitz offenbar aufgrund ihres frühindustriellen Charakters und fehlender Adelselite weitgehend gemieden hat. Das weite Amerika fungierte dagegen eher im Sinne einer Projektionsfläche der Sehnsüchte und Wünsche Robert Schumanns, erkennbar daran, dass in seinen Briefen nie die Rede von konkreten Orten ist und er die weite, gewiss nicht ungefährliche Reise, über erste Planungen hinausgehend, niemals mit Clara in die Tat umgesetzt hat. Dürfte als Grund vor allem Schumanns Aversion gegen das Komponieren auf Reisen anzuführen sein, so zeigte Ute Scholz im thematischen Anschluss daran u. a. die Rolle von „Zwickau und Schneeberg in der Korrespondenz Clara und Robert Schumanns“ in ebenjenem Sinne auf: Wenn Schumann seiner sehr mobilen zukünftigen Gattin auch immer wieder ausgiebige Reisen in Aussicht gestellt hat, so gab er in jener Episode seines Lebens offenbar dem Rückzug in das private Familienleben in Zwickau und Umgebung und damit der Möglichkeit ungestörten Arbeitens doch den Vorzug. Jenseits sich daraus ergebender Konflikte zwischen der Künstlerin und dem Künstler war mit Reisen im deutschen bzw. europäischen Raum der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts doch ein erheblicher Zeitaufwand verbunden: Dies rief Thomas Synofzik in seinem Beitrag „Wie reisten Robert und Clara Schumann?“ in Erinnerung. Synofzik veranschaulichte überzeugend seine Hypothese, dass das „Wie?“ der unterschiedlichen genutzten Reiseformen mit Bezug auf die Kategorie von Kunst im Alltag als eine entscheidende Frage anzusehen ist, waren doch mit den unterschiedlichen Reiseformen (1.) Wanderungen per pedes, (2.) Kutsche/Schlitten, (3.) Eisenbahn, (4.) Wasserfahrzeuge immer auch unterschiedliche Ziele (Erholungs-/Erlebnisreise, Konzertreise usw.) und nicht zuletzt Wahrnehmungen von Natur, Umwelt und Zeit verknüpft.
Aspekte der Partnerschaft zweier durch das Band der Ehe verbundener Künstler wurden sodann in zwei Beiträgen der dritten Sektion beleuchtet: Kazuko Ozawa (Krefeld) berichtete, ausgehend von ihren philologischen Untersuchungen einer von Clara und Robert Schumann gemeinsam angelegten Textsammlung, über „Gedichtabschriften als Teamwork“. Sie zeigte dabei einerseits eindrucksvoll die Genese jener Quelle auf; andererseits wurde die Alltäglichkeit der teilweise offenbar relativ spontan erfolgten Komposition jener nochmals sorgfältig selektierten Gedichtvorlagen durch Clara und Robert Schumann als Gemeinschaftswerk deutlich. Von der Werkstattstube in den öffentlichen Kontext führte schließlich Janina Klassen (Freiburg), die in ihrem Referat „Das öffentliche Paar“ die nicht zuletzt auf Selektion basierende Inszenierung Robert und Clara Schumanns in Öffentlichkeit erzeugenden Medien diskutierte. Einbezogen wurden dabei (1.) klingende Chiffren, (2.) Bilder und Portraits, (3.) gemeinsame Auftritte und Berichte darüber, (4.) Werkausgaben und Gedenkfeiern.
In der letzten Sektion referierte Michael Beiche (Düsseldorf) „Zum Problem der Aufführung Schumannscher Klavierwerke durch Clara Wieck“. Dieser Kontext erlaubt mehr als bemerkenswerte Rückschlüsse über die briefliche Kommunikation des Künstlerpaares und des sich ebendort abzeichnenden künstlerischen Partnerschaftskonzepts: Zwar haben beide Künstler ein Gros der Klavierwerke Robert Schumanns als zu kunstvoll und seriös für den großen Konzertsaal erachtet; andererseits hegten beide zeitlebens den Wunsch, diese Werke doch im Konzertsaal einem größeren Publikum bekannt zu machen. Dieses Dilemma bildete den Ausgangspunkt für Beiches Fallstudie, in der er sich ferner auf die recht unterschiedlichen Argumente und Aufführungsstrategien Clara und Robert Schumanns konzentrierte. Eher soziale Konflikte rückte dagegen Armin Koch (Düsseldorf/Leipzig) in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen zu „Die Familie Mendelssohn Bartholdy in der Korrespondenz Robert und Clara Schumanns“. Ausgehend von der Beobachtung, dass diese Familie in der Korrespondenz nur selten erwähnt wird, untersuchte Koch Claras an Robert adressierte Berichte über ihre Besuche bei der Familie Mendelssohn. In Form einer Mikrostudie versuchte Koch durch Heranziehung anderer Quellen die teilweise recht negativen Darstellungen Claras kritisch zu prüfen und in ihren kontextuellen Voraussetzungen transparent zu machen. Abermals trat das Problem der Polyvalenz der von den Akteuren applizierten Sprache zu Tage, wodurch die Konturen des Gegenstandes nicht nur fluide werden, sondern auch schwerwiegende Konsequenzen für die Kommentierung solcher Textpassagen mit sich bringen. Und so wurden in einer abschließenden, abermals sehr konstruktiv geführten Diskussion nochmals die Ziele, Probleme und Ergebnisse der übergeordneten Fragestellung mit Bezug auf Leistung und Nutzen der Schumann-Briefedition reflektiert. Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist im Rahmen der Reihe „Schumann-Studien“ geplant.