Beethoven und andere Hofmusiker seiner Zeit im deutschsprachigen Raum
Bonn, 03.-06.12.2015
Von Julia Ackermann, Wien – 15.02.2016 | „Beethoven und anderen Hofmusikern seiner Zeit im deutschsprachigen Raum“ widmete sich das vom 3.–6. Dezember 2015 im Beethoven-Haus Bonn durchgeführte internationale Symposium, das gemeinsam von der Leiterin des Beethoven-Archivs, Christine Siegert, und den MitarbeiterInnen des von Birgit Lodes an der Universität Wien geleiteten FWF-Projekts zur „Opernbibliothek von Kurfürst Maximilian Franz“, Elisabeth Reisinger und John D. Wilson, veranstaltet wurde.
Nach der Begrüßung durch den Direktor des Beethoven-Hauses Malte Boecker stellten die Gastgeber Birgit Lodes, John D. Wilson und Elisabeth Reisinger (Wien) Ergebnisse ihres FWF-Projekts vor. Während der vergangenen drei Jahre hatten sie die heute in Modena befindliche Notenbibliothek des Wiener Erzherzogs und Bonner Kurfürsten Maximilian Franz ausgewertet. Aus den Resultaten entstand eine Datenbank; ein ergänzender Katalog ist in Vorbereitung. Die musikalische Umrahmung des Eröffnungs-Nachmittags durch Nina Simone Unden und Thomas Wise vom Theater Bonn mit (Einlage-)Arien aus dem Singspiel Das rote Käppchen von Carl Ditters von Dittersdorf veranschaulichte den Forschungsgegenstand und bot auch in den folgenden Tagen mehrfach einen Bezugspunkt für die Diskussion über die Umarbeitung von Arien aus ästhetischen oder theaterpraktischen Gründen im Zusammenhang mit der Frage nach Niveau und Können der ausführenden Sänger-SchauspielerInnen an deutschsprachigen Hoftheatern der Beethoven-Zeit. Anschließend diskutierte Mark Evan Bonds in seiner Keynote Lecture, in welchem Verhältnis persönliche und künstlerische Freiheit in den Karrieren von Haydn, Mozart und Beethoven standen und sich gegenseitig bedingten. So bot er einen Anknüpfungspunkt für die Referate der folgenden Tage.
Die erste Sektion nahm verschiedene deutschsprachige Hoftheater sowohl aus der Mikro-, als auch aus der Makroperspektive in den Blick. Thomas Betzwieser (Frankfurt) eröffnete diese mit einem lokalen Beispiel und wertete – im Bewusstsein der dünnen Quellenlage zu Wandertheatertruppen der Zeit – das Repertoire der Truppe G. F. W. Großmanns am Bonner Hof aus, das mit Singspielen, übersetzten Opéras comiques und Übersetzungen (französisch-)italienischer Opern jeweils die aktuellsten Entwicklungen des deutschsprachigen Musiktheaters widerspiegelte. Arnold Jacobshagen (Köln) diskutierte in seinem Vortrag über Kapellmeister als Opernkomponisten an deutschen Höfen um 1800 Begriffe wie „Kapellmeisterparadies“ oder „Kapellmeistermusik“ und zeigte am Beispiel vieler Einzelbiographien die Schlüsselfunktion des Kapellmeisterpostens in Bezug auf Produktivität und Erfolg der Opernkomponisten auf. Panja Mücke (Mannheim) referierte über den Hofkapellmeister Francesco Morlacchi, dessen Karriere die in Dresden herrschende Konkurrenzsituation zwischen der italienischen und deutschen Oper widerspiegelte. Damit zeigte sie, wie eng politische Entwicklungen mit institutionellen Veränderungen der Theater und damit einhergehendem Repertoirewandel zusammenhingen. Dass sich Morlacchis eigenes kompositorisches Schaffen mehr auf den italienischen Markt als auf die eigene Hofoper richtete, interpretierte sie als Demonstration von dessen künstlerischer Konkurrenzfähigkeit nach außen. John A. Rice (Rochester, Minnesota) führte die Tagungsteilnehmer in seinem Referat an den Hof von Eszterháza und besprach die Aufführung der Festoper Venere e Adone von Joseph Weigl, die er in den Kontext einer Wiedereinführung der Opera Seria in Wien stellte und mit Mozarts Clemenza di Tito in Beziehung setzte. Elisabeth Reisinger (Wien) wechselte die Perspektive weg von den Hofkapellmeistern hin zu den Auftraggebern höfischer Opernaufführungen. Sie lenkte den Blick auf Maximilian Franz, den Sammler und Besitzer der im Forschungsprojekt untersuchten Notenbibliothek, indem sie dessen musikalische Sozialisation sowie die soziale Einbettung seines eigenen Musizierens analysierte. Silke Bettermann (Bonn) bereicherte die Tagung um eine kunsthistorische Sichtweise mit der Betrachtung des Alltags und Zeremoniells im Leben der Bonner Hofmusiker. Sie legte dar, wie die Stellung von Musikern und Künstlern am Hof mit deren räumlicher Positionierung im Schloss, etwa bei Galatagen oder Tafelmusik, korrespondierte. Dabei verortete sie die Hofbediensteten in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld zwischen höfischer und bürgerlicher Sphäre.
Im Anschluss an die ersten Referate war Zeit für eine längere Diskussion, in der Verbindungslinien zwischen dem zuvor Gehörten gespannt und weitere sich daraus ergebende Themen fruchtbar diskutiert wurden. Ausgehend von der Bonner Theatergeschichte wurde noch einmal genauer auf die Situation der Wandertruppen und deren nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Repertoire der Hoftheater eingegangen. Gerade für die Rezeption des französischen Repertoires auf deutschen Bühnen fanden sich im Gespräch viele Beispiele, etwa der sich in Maximilian Franz‘ Sammlung niederschlagende Wandel seiner Vorlieben vom italienischen zum französischen Musiktheater, Überlegungen zu einer „Flexibilität“ des Publikums bezüglich der Aufführungssprache und die Bedeutung der Verfügbarkeit französischer Partiturdrucke für weitere Bearbeitungen. Die soziale Stellung von Musikern und Theaterschaffenden wurde ebenfalls erörtert, wobei Hinweisen zur Besoldung, der Anpassung von Hofmusikern an aristokratische Lebensarten oder den Aufgaben bezüglich der Prinzen-Erziehung nachgegangen wurde. Als Desiderat wurden dabei u.a. die Sozialstrukturen der Wandertruppen und unter ihnen speziell die Rolle der Schauspielerinnen und Prinzipalinnen aufgezeigt.
Die zweite Sektion ging sozialen Veränderungen und der Entstehung eines Musik-Marktes nach. Den Austausch zwischen verschiedenen sozialen Schichten thematisierte Estelle Joubert (Berkely, California / Halifax, Canada), die mit einer Auswertung des Archivs des Berliner Singvereins die höfische Provenienz vieler Archivalien und deren Einfluss auf die bürgerliche Musikkritik des späten 18. Jahrhunderts aufzeigte. Einen deutlichen sozialen Wandel in der Wiener Musikkultur um 1800 konnte Erica Buurman (Canterbury) nachweisen, indem sie das Repertoire der Bälle der Wiener Pensionsgesellschaft bildender Künstler 1792-1832 analysierte und dabei feststellte, dass sich das Personal und die Vergabe von Kompositionsaufträgen immer mehr von einem höfischen Kontext lösten. Axel Beer (Mainz) nahm den deutschsprachigen Musikalienmarkt am Ende des 18. Jahrhunderts in den Blick und ging anhand von Verlagskatalogen dem Transfer von Wiener Musik in verschiedene deutsche Städte nach. Dabei konnte er deutliche Unterschiede zwischen den mit Wien verbundenen rheinischen bzw. süddeutschen Städten und einem eher regionalen Musikalien-Angebot in Nord- und Mitteldeutschland ausmachen.
Die dritte Sektion widmete sich der sozialen Verankerung von Musikerkarrieren zwischen Netzwerken und Familienbanden. Rita Steblin (Wien) präsentierte umfangreiches biographisches Material über die Brüder Paul und Anton Wranitzky, die als Geiger und Konzertmeister an Wiener Theatern engagiert waren. Als weiteres Fallbeispiel beschrieb Mark Kroll (Boston) den beruflichen Werdegang von Johann Nepomuk Hummel, Kapellmeister am Hof der Esterházy und später am Weimarer Hof, im Spiegel der Karriere Beethovens in Wien. Sebastian Biesold (Bonn) untersuchte italienische Musikerfamilien am Dresdner Hof. Bei der Rekrutierung von MusikerInnen aus Italien spielten Familienbeziehungen und die Kontakte der Emigranten in ihre früheren Heimatorte ebenso eine Rolle wie die Arbeit eigener Agenten. Strukturelle Veränderungen im Mikrokosmos der Musikkultur zeigte Melanie Unseld (Oldenburg) auf. Während sich im Diskurs des 19. Jahrhunderts allmählich das Künstlerpaar als historiographisch-biographisches Modell durchsetzte (paradigmatisch: Robert und Clara Schumann), war das ältere, frühneuzeitliche Modell des ganzen Hauses auch nach 1800 noch wirksam. In dieser geschlossenen sozialen Institution, zugleich eine wirtschaftliche Einheit, wurden die Kinder und andere junge Hausbewohner früh in den Beruf der Eltern eingeführt, im Fall von Musikerfamilien: musikalisch ausgebildet. Christine Siegert (Bonn) illustrierte diese allgemeinen Beobachtungen tags darauf mit zwei Beispielen, bei denen musikalische Lehrlinge in den Haushalt aufgenommen und in die kompositorische Arbeit mit einbezogen wurden. Luigi Cherubini wurde bei Giuseppe Sarti ausgebildet und komponierte hier u.a. die Secondo-Partien für Sartis Giulio Sabino. In Joseph Haydns Haus lernten und arbeiteten Ignaz Pleyel und Anton Polzelli.
In der vierten Sektion standen die Bonner Hofmusikkapelle und das unmittelbare Umfeld des jungen Beethoven im Mittelpunkt. Markus Neuwirth (Leuven) verglich die Harmoniemusik in Bonn und Wallerstein – zwei Höfe, an denen nacheinander der Geiger und Kapellmeister Joseph Reicha wirkte und Kammermusik für Bläser komponierte. Steven Whiting (Ann Arbor, Michigan) machte eindrucksvoll auf die Bedeutung aufmerksam, die André-Ernest-Modeste Grétrys Opéras comiques im Bonner Repertoire hatten. Der heranwachsende Beethoven konnte sich als Mitglied des Opernorchesters mit Grétrys Musik vertraut machen und erfuhr damit auch Prägungen für sein eigenes kompositorisches Schaffen, wie Whiting mit dem Verweis auf musikalische Verwandtschaften deutlich machte. Abschließend stellte John D. Wilson (Wien) anschaulich die Karriereverläufe von vier Musikern einander gegenüber, die als junge Männer fast gleich alt in der Bonner Hofkapelle gespielt hatten: Andreas Romberg an der Geige, sein Cousin Bernhard Romberg am Cello, Anton Reicha an der Flöte und Ludwig van Beethoven an der Bratsche.
Das Symposium wurde darüber hinaus durch eine Führung von Michael Ladenburger (Bonn) und John D. Wilson (Wien) durch die gemeinsam von ihnen kuratierte Ausstellung „Das Bonner Opernleben zur Zeit des jungen Beethoven“ im Beethoven-Haus bereichert. Themen und Gegenstände der Tagungsbeiträge wurden anschaulich gemacht, indem etwa das Inventar der Notenbibliothek von Maximilian Franz oder das Aufführungsmaterial der Bonner Erstaufführung von Mozarts Zauberflöte zu sehen waren. Die Figur Beethovens und dessen Geburtshaus als Veranstaltungsort boten damit in den vier Tagen einen inspirierenden und fruchtbaren Ausgangspunkt für erkenntnisreiche Vorträge und Diskussionen über seine Zeitgenossen und Kollegen sowie über das – nicht nur – höfische Musikleben des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Mit Vorfreude darf man den Tagungsband in der Reihe „Schriften zur Beethoven-Forschung“ erwarten, in dem alle Beiträge, sowie ein zusätzlicher Aufsatz von Juliane Riepe (Halle) zur Institution der Hofoper in Deutschland, veröffentlicht werden.