The Languages of Popular Music. Communicating Regional Musics in a Globalized World (25. Arbeitstagung des ASPM)
Osnabrück, 29.09.-02.10.2014
Von Felicitas Förster, Leipzig – 13.10.2014 | Unter dem Titel Die Sprachen der Populären Musik. Kommunikation regionaler Musiken in einer globalisierten Welt veranstaltete der ASPM (Arbeitskreis Studium Popularmusik e.V.) vom 29. September bis 2. Oktober in Osnabrück seine 25. Arbeitstagung. Es war eine internationale Tagung, zu der Wissenschaftler aus etwa zwanzig Ländern anreisten. Die Besucher konnten aus insgesamt 51 Vorträgen auswählen, von denen allerdings viele parallel stattfanden. Die meisten Referenten trugen auf englisch vor, einige wenige auf deutsch.
Ziel der Konferenz war gemäß dem Call for Papers „die Aufarbeitung der vielfältigen Interdependenzen zwischen regionalen Kulturen bzw. zwischen dem Regionalen und dem Globalen in der populären Musik.“ Dafür hat der ASPM vier Themenschwerpunkte vorgeschlagen: Erstens den Schwerpunkt Kommunikationstheorie und Diskursanalyse, in dem beispielsweise der Frage nachgegangen werden sollte, welche Modelle den Diskurs des Pop sinnvoll erklären können; zweitens die Analyse von Musik, Text und Performance, die beispielsweise zeigen sollte, inwiefern die lokale Herkunft eines Popsongs seinen Erfolg beeinflusst; drittens den Einfluss von Soziologie, Ökonomie und Politik auf traditionelle, regionale Musikkulturen und viertens die Frage nach typisch deutschen Elementen der populären Musik, deren Beantwortung der ASPM gezielt von nicht-deutschen Wissenschaftlern erbeten hat. (Nachdem im vergangenen Jahr allein deutsche Wissenschaftler darüber gesprochen haben, wollte der ASPM in diesem Jahr eine Außenansicht erhalten.) Mit diesen Themenschwerpunkten hat der ASPM deutlich gemacht, dass der Titel der Tagung nicht zwangsläufig auf konkrete Sprachen abzielte, sondern dass er die Sprache als Metapher für regionale Herkunft verstanden wissen wollte.
André Doehring (Gießen), wissenschaftlicher Beirat des ASPM, eröffnete das Programm mit einem Vortrag über Modern Talking (Modern Talking. Vom musikwissenschaftlichen Verstehen der „Sprache der populären Musik“). Darin schilderte er seine Erfahrungen beim Analysieren von sechs Alben der Band. Er betonte die große Rolle der Subjektivität bei der musikalischen Analyse, die in seinen Augen immer noch unterschätzt wird. So gab er zu, dass ihm die stundenlange Analyse der Werke von Modern Talking keine Freude bereitet habe, die Analyse ähnlich simpler Musik wie die der Rolling Stones hingegen schon. Das führte er auf seine biografischen, sozialen und auch wissenschaftlichen Prägungen zurück. Diese Prägungen können einen hohen Einfluss auf die Arbeit nehmen, so Doehring. Darum dürfe sich der Musikwissenschaftler nicht hinter seiner Analyse verstecken, sondern müsse seine Subjektivität offen thematisieren.
Mit diesem Plädoyer entließ Doehring seine Zuhörer in eine facettenreiche Tagung. Noch am selben Tag gab es unter anderem zwei Vorträge über die Mehrsprachigkeit in Songs. Den Anfang machte Eckhard John (Freiburg), der sich der Frage widmete, wo und unter welchen Umständen Popsongs geschrieben werden, deren Texte zwei Sprachen enthalten (Zweisprachige Songs. Sprachmuster transkultureller Inszenierungen). Er fand heraus, dass sie häufig in Regionen entstehen, in denen durch Migrationen verschiedene Sprachen aufeinander treffen. So würden z. B. viele englisch-französische Songs von Kanadiern geschrieben. Sie spiegelten somit die Sprachlichkeit einer Region wieder. Andererseits könne eine andere Sprache auch eingesetzt werden, um ein Lokalkolorit zu erzeugen. Ein Beispiel dafür ist „Michelle“ von den Beatles. Außerdem könne die Mehrsprachigkeit ein politisches Statement sein. John verwies hierbei auf die vielen zweisprachigen Duos, die die Popwelt kennt, aber auch die Band Mano Negra hätte er als Beispiel heranziehen können, wie der folgende Vortrag von André Rottgeri aus Passau bewies (Mehrsprachigkeit im Werk der französischen Band Mano Negra). Die Band hat ihre Texte auf Englisch, Französisch und Spanisch verfasst, wobei sie die Sprachen flexibel eingesetzt und vermischt. Laut Rottgeri lässt sich die Band politisch links verorten. Darum ist es naheliegend, dass allein die Verwendung mehrerer Sprachen, wie sie Mano Negra praktiziert, ein politisches Zeichen sein kann.
Inwieweit kann Popmusik identitätsstiftend für eine Region oder eine Nation sein? Dieser Frage gingen viele Referenten nach. So beschäftigte sich Christian Diemer (Berlin) mit dem Spannungsfeld zwischen regionaler Identität und Globalisierung, in dem sich die traditionelle ukrainische Musik befindet (Traditional Music in Ukraine. Regional Identity and Globalization); Holger Lund (Ravensburg) stellte die soziale Vielschichtigkeit innerhalb der türkischen Pop- und Rockmusik vor (Stil und Gesellschaft - am Beispiel des musiksoziologischen Feldes türkischer Pop-Rock-Musik der 1960er und 1970er Jahre) und Christina Michael (London) sprach über Nationalidentität in griechischer Popularmusik (Issues of Authenticity and National Identity in Greek Popular Music: The ‚Entechno Laiko‘ [Art Popular] Tradition). Innerhalb dieser Vorträge fiel häufig der Begriff der „Hybride“, um Verbindungen von westlicher Popmusik und regionaler Musik zu beschreiben. So bezeichnete Michael das griechische Genre Entechno Laiko als Hybrid aus westlicher Kunstmusik, Popmusik und verschiedenen östlichen und arabischen Einflüssen. Aber diese Kombination allein hat dem Genre nicht zu seinem weltweiten Erfolg verhelfen können, so Michael weiter. Vielmehr habe es diesen Erfolg erst erreichen können, weil es als typisch Griechisch wahrgenommen wurde. Ziel von Michaels Studien war es daher zu zeigen, wie schnell fremde Elemente in die griechische Musik aufgenommen und bald zum authentisch Griechischen erklärt werden. Dabei richtete sie ihr Augenmerk auf den Rebetiko, ein Subgenre des Entechno Laiko. Er hat vor allem durch die Filmmusik von Manos Hadjiadkis und Mikis Theodorakis international Aufmerksamkeit erlangt. Dabei wurde der Rebetiko noch in den 1950er Jahren vorrangig von Einwanderern aus Kleinasien gespielt, galt also als fremdes Element innerhalb der griechischen Kultur. Doch der weltweite Erfolg der Soundtracks von Hadjidakis und Theodorakis sowie die Anklänge des Rebetiko-typischen 9/8-Taktes bei der Eröffnungsfeier der olympischen Spiele im Jahr 2009 hätten dazu geführt, dass von außen und bald auch in Griechenland selbst der Rebetiko als typisch Griechisch wahrgenommen wurde.
Was ist deutsch in deutscher Musik? Diese Frage gab der ASPM an nicht-deutsche Wissenschaftler weiter, die wiederum ihre eigenen Wege fanden, um diese Frage zu beantworten. Auffallend präsent war dabei die Band Rammstein. So war für Chloé Monin (Lyon, Germanness in Rock Music: Between a Strategy of Integration and the Will to Show One‘s Origins, the Ambiguity of the National German Identity in Rock Music) und Henrik Smith-Sivertsen (Kopenhagen,The Languages of Popular Music in Denmark: World War II and Beyond - the Forgotten Story about a Multilingual Musical Mediascape) Rammstein beispielhaft für den Erfolg deutscher Rockmusik in Europa. Hinzu kam ein Vortrag von Gay Breyley aus Melbourne über Rammsteinfans im Iran („We learn German to Understand Rammstein“: Notions of ‚Typisch Deutsch‘ among Iranian Fans of ‚Neue Deutsche Härte‘). Ihren Untersuchungen liegt eine Feldforschung im Iran von über fünf Monaten zugrunde. Dabei stellte sie fest, dass die meisten der iranischen Rammsteinfans um 1980, also zur Zeit der iranischen Revolution, geboren wurden, was sie in die Nähe der ostdeutschen Wendegeneration bringe. Die Reflexion des eigenen historischen und politischen Kontextes bei Rammstein spreche daher viele Iraner an. Manche iranischen Rammsteinfans besuchen sogar Deutsch-Kurse, um die Texte ihrer Lieblingsband zu verstehen, so Breyley.
Neben dem Tagungsthema waren einige Papers auch freien Themen gewidmet. Dabei erhielten die Tagungsteilnehmer einen Einblick in laufende Promotionsstudien. Besonderes Aufsehen erregte das Paper von Melanie Ptatscheck (Lüneburg), die zur Zeit den Suchtverlauf heroinabhängiger Musiker erforscht (Suchtgenese und Selbstkonzept: Rekonstruktion individueller Entwicklungsverläufe heroinabhängiger Musiker). Dafür sucht sie in der Punk- und Rockszene von Los Angeles nach ehemals heroinabhängigen Musikern, um mit ihnen Interviews über ihre Biografie zu führen. Allerdings sei es für sie schwer, geeignete Probanden zu finden, und selbst wenn sie sie gefunden habe, würden diese häufig nicht mit ihr über ihre Sucht sprechen wollen. Dennoch konnte Ptatscheck bereits einige Ergebnisse in Form von Tonaufnahmen und Transkripten von Interviews vorstellen. Sie verdeutlichten den Zuhörern, dass mit dieser wissenschaftlichen Arbeit eine hohe emotionale Belastung einhergeht.
Den Vorträgen schlossen sich Diskussionen an, die je nach Thematik und Stadium der Arbeit mehr oder weniger lebhaft waren. Besonders die Promotionsstudierenden dürften von den hartnäckigen Nachfragen und Kritiken ihrer Kollegen profitiert haben. Im Rahmen der Tagung und anlässlich seines 30jährigen Bestehens gab der ASPM außerdem seine Umbenennung in „GfPM“ (Gesellschaft für Popularmusikforschung e.V.) bekannt. Der Vorstand begründete den Schritt damit, dass der ASPM seit seiner Gründung stetig gewachsen sei und sich mittlerweile zu den großen deutschsprachigen Forschungsgesellschaften für Musikwissenschaft zählen könne. Mit der Umbenennung rückt die GfPM zumindest vordergründig in die Nähe der GfM (Gesellschaft für Musikforschung e.V.). Damit trägt der GfPM dem enormen Bedeutungszuwachs Rechnung, den das Thema „Popularmusik“ innerhalb der Musikforschung in den vergangenen Jahren erlangt hat.