Johann Wendelin Glaser (1713-1783): Der Kantor und Praeceptor im Kontext seiner Zeit
Wertheim, 25.-27.10.2013
Von Lea Roller, Stuttgart – 22.11.2013 | Vom 25. bis zum 27. Oktober 2013 luden der Archivverbund Main-Tauber, die Gesellschaft für Musikgeschichte in Baden-Württemberg, das Institut für Musikforschung der Universität Würzburg und das Grafschaftsmusem Wertheim zum wissenschaftlichem Symposium und Kantatengottesdienst in das pittoreske Städtchen Wertheim, um sich mit dem weitgehend unbeachteten hiesigen Komponisten Johann Wendelin Glaser zu befassen, dessen Kantaten erst 1903 in der Orgel der Wertheimer Stiftskirche gefunden wurden.
Den Anlass der Veranstaltung bot zum einem das Jubiläum des 300. Geburtstages des Komponisten, zum anderen das Anliegen, ihm mit seinen 322 Kantaten einen Platz in der Musikwissenschaft einzuräumen. Das Symposium bildete dabei den Abschluss des Glaser-Jahresprogramms, bestehend aus musikalischen Veranstaltungen, Orgelfahrten, der Lektüre historischer Quellen und einer eigenen Ausstellung im Grafschaftsmuseum Wertheim.
Neben Glasers Tätigkeit in Wertheim und seinem Werk selbst legte das Symposium hierbei großen Wert auf das kulturhistorische Umfeld: Unter welchen Umständen lebte und arbeitete Glaser und welche Auswirkungen könnte dies auf sein Wirken gehabt haben? Wo erlangte Glaser seine musikalische Bildung und wie lässt sich sein trotz der Ferne zu kulturellen Zentren durchaus aktueller und transparenter Kompositionsstil erklären? - Fragen, auf die nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Quellenlage und des noch bestehenden Forschungsbedarfs nicht immer eine endgültige Antwort gefunden werden konnte.
Den Auftakt des Symposiums machte Dr. Monika Schaupp mit einem die politischen Querelen der Grafschaft Wertheim zur Zeit Glasers erhellenden Referat, in dem die konkurrierenden Linien katholischer und evangelischer Herrscher, sowie das zersplitternde Erbrecht auf evangelischer Seite und die damit entstehende Expansion der Verwaltung beleuchtet wurden. Diese Situation stürzte Wertheim in die Unregierbarkeit und in eine auch Glasers Anliegen betreffende Stagnation. Dr. Jörg Paczowski befasste sich unter anderem mit diesen Aspekten aus kunsthistorischer Sicht, die sich in zahlreichen, die Wertheimer Grafen abbildenden Münzen – je nach Konfession als barocke Fürsten (katholisch) oder in schlichterem Stil (evangelisch) – widerspiegeln. In diesem Kontext wurde auch die durchaus vorhandene, wenn auch häufig schlichter gehaltene Barock- und Rokoko-Stilistik im Stadtbild Wertheims mit aufschlussreichen Fotografien beleuchtet.
Dr. Frank Kleinhagenbrocks Vortrag erörterte die konfessionellen Konflikte in Wertheim, die zwar durch die konsequenten katholischen Behauptungsversuche im lutherischen Wertheim zu einer simultanen Nutzung beispielsweise der Stiftskirche, allerdings nicht zu einem echten Simultaneum führten. Vielmehr wurde im Vortrag der Begriff „konfessionelle Aufrüstung" verwendet und dessen Auswirkung auf die Kirchenmusik beleuchtet.
Der Vortrag von Pfarrer Christian Schümann befasste sich konkreter mit einer Station aus Glasers Biografie und Wirkungskreis, nämlich mit dessen Geburtsort Ostheim v. d. Rhön, in dem der aus einer Lehrerdynastie stammende Glaser zwischenzeitlich selbst das Amt des Praeceptors und Kantors innehatte, also Ämter, die – wie der Vortrag von Prof. Dr. Joachim Kremer erläuterte – oft aneinander gekoppelt waren, was häufig wie auch bei J. S. Bach zur Vernachlässigung der lehrenden Tätigkeiten zu Gunsten der Musik führte, wenn auch unklar ist, inwiefern das Komponieren zu den tatsächlichen Aufgaben eines Kantors gehörte. Auf der anderen Seite war das Kantorenamt in Wertheim häufig nur berufliche Zwischenstation; Glasers Ehrgeiz sowie seine Spezialisierung und Profilierung des Amtes lassen sich also als Besonderheit werten.
Wo aber hatte Glaser seine musikalische Ausbildung erhalten? Dr. Markus Zepf zog hierfür am zweiten Tag des Symposiums Glasers Zeit in Nürnberg, zunächst die Lateinschule, später die Universität Altdorf zu Rate, an der er von 1738-1741 Theologie studierte. In dieser Zeit waren Oper und Theater aus religiös-moralischen Gründen nicht gern gesehen und können somit kaum Inspirationsquelle gewesen sein. Die Frage nach tatsächlichen Aufführungen von Oratorien und Kantaten, möglicherweise auch in neuem opernhaften Stil, musste aufgrund der dünnen Quellenlage vorerst unbeantwortet bleiben.
Prof. Dr. Franz Körndles Vortrag beschäftige sich hingegen mit einem Zwist um die Wertheimer Orgeln zwischen dem Kantor Glaser und dem ansässigen Organisten. Nach einem durch den Tod des Orgelbauers Schmahl missglückten, ursprünglich von Glaser initiierten Neubau wurde nach mehrjährigem Streit 1770 eine Stumm-Orgel erbaut, in der 1903 auch Glasers Kantaten gefunden wurden. Besonders die Erweiterung der Register und die für Instrumentalmusik notwendige tiefere Stimmung, die Glaser auch in seiner „Organopoeia" 1772 zumindest oberflächlich beschreibt, geben Aufschluss über Klangideal und musikalische Ausdruckssehnsucht.
Mit dem Vortrag der Germanistin Prof. Dr. Irmgard Scheitler begann dann die konkrete Beschäftigung mit Glasers Werk in Form von der Beleuchtung der von Glaser verwendeten Kantatentexte im Zusammenhang mit der Gattung allgemein. Glaser bevorzugte textlich das beliebte Mischschema aus dem Kern der Kantate – Rezitativ und Arie – mit biblischen Texten und Chören, wobei ihm dramatische Konzeption fremd ist. Neben möglichen Selbstdichtungen griff Glaser auf einen Jahrgang von J. F. A. von Uffenbach zurück, der auszugsweise auch bereits von Telemann und Fasch vertont worden war, wobei Glaser sich in der Komposition als stark sprachbewusster Komponist erwies. Dieser Verbindung zu Uffenbachs Texten war auch Thema in Dr. Martina Fallettas Vortrag über Glasers Beziehung nach Frankfurt am Main, die sich neben 43 in Frankfurt erhaltenen Kantaten vor allem in einem Brief von 1749 an besagten Uffenbach, der in Frankfurt ansässig und zeitweise sogar Bürgermeister war, niederschlägt. Aus diesem Brief geht hervor, dass Glaser nicht von den Vertonungen dieser Kantatentexte durch Telemann, Graupner und Fasch wusste, woran sich die Frage nach Glasers Repertoirekenntnissen allgemein anschließt. In Prof. Dr. Bernhard Janz' Vortrag zum Verhältnis von Text und Musik in der Kantate „Engelchöre gebt die Ehre" in D-Dur, GlWV 185, stand nun zum ersten Mal Glasers Musik selbst im Vordergrund. Hierbei zeigte sich, dass die Musik – zumindest dieser Kantate, denn ein Schluss auf Glasers umfangreiches Werk ist wohl nicht möglich – sich durchaus in der Stilistik der Zeit bewegt und Elemente des galanten Stils enthält. Des Weiteren lassen sich musikalisch-rhetorische Figuren und ungewöhnliche und entlegene Tonarten wie Fis-Dur finden, die ebenfalls in Bezug auf Textliches verstanden werden könnten. Anhand dieser stilistisch-analytischen Erkenntnisse wurde nicht nur erneut Bezug auf die Frage nach Glasers musikalischer Ausbildung, vor allem bezüglich des bereits festgestellten Mangels an Repertoirekenntnis genommen, sondern auch die Zusammenhänge schaffende Bedeutung unbekannter Komponisten im Kontext namhafter Größen thematisiert.
Vor der abschließenden Podiumsdiskussion und dem Kantatengottesdienst am Folgetag nahm Prof. Dr. Andreas Traubs Vortrag erneut musikalisch konkreten Bezug auf die Erzählstruktur von Glasers Passionsmusik GlWV 139, die von einer Trauermusik in eine Passion umgeschrieben wurde und auf einen lyrisch gefassten Passionstext, möglicherweise von Glaser selbst, in immer wieder erzählerischem Charakter in den Arien geprägt ist.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die umfassende Beschäftigung mit Glasers Biographie und Wirkungskreis, seinem kulturhistorischen Rahmen sowie seinem Werk selbst in dieser Tagung Inhalte und Erkenntnisse unterschiedlicher Art und auf unterschiedliche Regionen bezogen erörtern ließ und hinsichtlich der ungeklärten Fragen Perspektiven für weitere Forschungen aufzeigen konnte.