Sitting Here in Nowhere Land: Musik in Utopien – Utopien in Musik
Internationale Tagung
Weimar
16.-18.09.2024
Deadline: 20.04.2024
Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena, Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar
In der Gegenwart, die mit Klimakrise, Pandemie und Kriegen eher eine dystopische Zukunft zu antizipieren scheint, erlebt utopisches Denken eine Renaissance. Damit ist auch die Musikwissenschaft gefragt, denn nicht nur der Philosoph Ernst Bloch gestand der Musik ein eminent utopisches Potential zu, das es erneut in den Blick zu nehmen gilt. So spielt Musik etwa in Platons „Der Staat“ (um 375 v. Chr.) oder in Thomas Morus’ „Utopia“ (1516) – nicht zuletzt in Vorwegnahme musikpolitischer Maßnahmen der jüngeren Zeitgeschichte – eine wichtige Rolle, und Francis Bacon beschreibt in seiner Erzählung „The New Atlantis“ (1624) detailliert eine Soundkulisse, die wie eine Vorwegnahme von Errungenschaften elektronischer bzw. elektroakustischer Musik im 20. und 21. Jahrhundert wirkt.
Viele Sozialutopien entwerfen im Niemandsland einer fernen Insel, eines anderen Planeten oder in einer fernen Zukunft ein ideales Bild des menschlichen Zusammenlebens. Sie schildern einen gelingenden Umgang der Menschen untereinander und mit der Natur, wobei oft der Einsatz von Techniken und Technologien thematisiert wird. Ein Zusammenhang zwischen solchen Sozialutopien und Musik besteht dabei auf (mindestens) drei Ebenen:
Musik in Utopien: In vielen Sozialutopien nehmen Musik und verschiedene musikalische Praktiken – Musikmachen, Musikhören, Komponieren, Erfinden neuer Musikinstrumente etc. – einen prominenten Platz ein. Dies wirft die Frage auf, wie eng und auf welche Weise Musikpraktiken mit dem Entwurf eines glücklichen Zusammenlebens und eines gelingenden Lebens verknüpft sind. Kommen der Musik eher ethische Qualitäten zu, wie in Platons „Staat“, oder steht Musik einfach für den spielerisch-sinnlichen Genuss des Augenblicks, den etwa die sogenannten „schönen Stellen“ bereits in der Gegenwart anbieten – und damit zugleich einen kurzen Blick ins Paradies gewähren?
Utopien in Musik: Musik nimmt durch programmatische Titel, durch Lyrics (bei Songs und Liedern oder im Musiktheater) oder durch die assoziierten Bilder (Illustration von Notendrucken, Bühnenbilder, Videoclips, Plattencover usw.) auf Sozialutopien oder zumindest auf eine explizit bessere (utopische) Welt Bezug, beschreibt diese oder entwirft ein eigenes utopisches Szenario, nicht selten als Gegenbild zu einer als misslungen empfundenen Gegenwart. Beispiele gibt es in der klassischen und zeitgenössischen Kunstmusik – von Monteverdi über Schubert bis Stockhausen. Dabei sind Bezüge auf Utopisches sowohl auf produktions- als auch auf rezeptionsästhetischer Seite zu finden. Aber auch die sogenannte populäre Musik des 20. und 21. Jahrhunderts ist voller utopischer Entwürfe – von Parliaments „Mothership Connection“ bis zu Björks Album „Utopia“. Neben allen textlichen und visuellen Bezügen stellt sich dabei immer auch die Frage, ob und wie die Bezugnahme auf Utopisches klanglich gestaltet ist: als akustischer Spiegel einer ungenügenden Gegenwart, oder aber als Ausblick in eine utopische Klangwelt.
Musik als Antriebskraft zur Realisierung von Utopien: Vielleicht kann solche ‚utopische Musik‘ bzw. Musik über Utopien auch eine Motivation und Energiequelle für eine innerweltliche Umsetzung der Utopien durch politische Aktionen und soziale Bewegungen sein? Welche Rolle spielt Musik in solchen utopisch-politischen Projekten – und wie verhält sie sich zum historisch nicht seltenen Umschlagen von politischen Zukunftsvisionen in gegenwärtigen Zwang?
Diese und weitere Fragen, die mit dem Zusammenhang zwischen Musik und Utopie verknüpft sind, werden seit langer Zeit kommentiert, diskutiert und diskursiv verhandelt – im wissenschaftlichen und journalistischen Musikschrifttum, aber auch in zahlreichen Zeugnissen und mehr oder weniger programmatischen Aussagen von Komponist*innen, Musiker*innen und Sänger*innen über ihre eigene Musik und zu Musik überhaupt. Viele dieser Positionen beschreiben auf luzide Weise Sozialutopien und ihre Verknüpfung mit Musik und musikalischen Praktiken.
Die Tagung Sitting Here in Nowhere Land… setzt sich zum Ziel, diesen Diskurs um Musik und Utopie weiterzuführen und auf eine Gegenwart zu beziehen, die einen utopischen Horizont verloren zu haben scheint. Zugleich soll die diskursive Arbeit anhand von Fallbeispielen, von Musik in Utopien oder Utopien in Musik, konkretisiert werden – wobei der Herkunft der Beispiele keinerlei stilistische oder historische Grenzen gesetzt sind. Mögliche Vortragsthemen können u.a. sein:
- vergangene und gegenwärtige musikalisch-utopische Entwürfe in klassischen und zeitgenössischen Kompositionen, Pop-Songs, Film-Soundtracks usw.
- vergangene und gegenwärtige musikalisch-utopische Entwürfe in musikbezogener Literatur, Architektur, Bildender Kunst, Filmen, Video Games usw.
- utopische Praktiken des (gemeinsamen) Musikmachens, Komponierens, Musikhörens
- Geschlechter-Utopien und Musik
- Technische Utopien und Musik
- Musik und Utopien des Umgangs mit Natur
- „schöne Stellen“ als musikalische Utopien
- der musikbezogene Utopie-Diskurs im Musikschrifttum, in Philosophie und Kulturwissenschaften usw.
- der musikhistoriographische Umgang mit Utopien als „vergangener Zukunft“
- utopisches Denken in der Musikpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, z.B. im Frühsozialismus oder im Sozialistischen Realismus
Vorschläge für Vorträge (30 Minuten) können bis 20. April 2024 per Email an Nina Noeske (nina.noeske@hfm-weimar.de) und Martin Pfleiderer (martin.pfleiderer@hfm-weimar.de) geschickt werden. Sie sollten einen Vortragstitel, ein kurzes Abstract (max. 2500 Zeichen) sowie eine kurze CV umfassen.
Über eine Annahme wird bis Anfang Mai entschieden.
Allen Referentinnen und Referenten können die Fahrt- und Übernachtungskosten (nicht jedoch Verpflegungskosten) erstattet werden.