In­ter­d­iszip­linäre Ta­gung: „Lieder, die Geschichte schreiben“

Marburg, 07.-09.03.2024

Deadline: 30.11.2023

Musikwissenschaftliches Institut, Philipps-Universität
Organisation: Dr. Maria Behrendt & Prof. Dr. Anne Holzmüller

Das Ringen um historische Deutungshoheiten ist derzeit zugespitzt wie selten zuvor. Wo unterschiedliche soziale und politische Gruppen die maximierten Potenziale des medialen Meinungsapparats zu nutzen wissen und wo das Bewusstsein über die imaginative, sprachlich und kulturell konstruierte Dimension von Geschichte (White 1987) sowie über die daraus zu schöpfenden Machtpotentiale im breiten gesellschaftlichen Bewusstsein verankert sind, gewinnt die Darstellung von Geschichte unmittelbar Brisanz. Doch selbstverständlich ist dieses meinungspolitische Ringen um Geschichtsbilder und historische Prozesse selbst kein Gegenwartsphänomen, sondern selbst historisch. Kunst und (Alltags-)Kultur waren schon immer ganz entscheidende Akteure in diesen Aushandlungsprozessen, in denen es um die Legitimation von Machtansprüchen ebenso wie um politischen Protest, um die Performanz kultureller oder nationaler Zugehörigkeit ebenso wie um nostalgische Unterhaltung oder das Aufrufen historischer ‚Stimmungen‘ geht.
Für das Lied mit seinen viralen, d.h. hochgradig beweglichen und ansteckenden Qualitäten, gilt und galt das immer schon in besonderem Maße. Unsere interdisziplinäre Tagung „Lieder, die Geschichte schreiben“ widmet sich in historisch wie systematisch bewusst breit angelegtem Zuschnitt den vielfältigen Potenzialen von Liedern, Geschichte aufzuzeichnen, darzustellen, zu verbreiten oder auch selbst zu beeinflussen und zu verändern.

Unsere Tagung geht davon, dass Lieder in mehrfacher Hinsicht das Potenzial haben, „Geschichte zu schreiben“: (1) Sie transportieren bestimmte Geschichtsbilder, Narrative und Deutungen, die zur Imagination und Konstitution von Geschichte beitragen (Maus 1991, White 1987), sowohl als rückblickende Historisierung als auch als vorausschauende Modellierung von Geschichtsversionen; (2) sie können als Ausdruck ihres Mobilisierungspotentials unmittelbar Einfluss auf das Zeitgeschehen nehmen, wobei der Verbund von Musik und Text in der kleinen Form nicht nur zur agitativen Durchschlagskraft, sondern auch zur Sloganisierung, Verkürzung und Verzerrung der Inhalte führen kann (Tucker 2008); (3) und sie können als besonders nachhaltige ‚Zeitreisende‘ von immer neuen, wechselnden historischen Kontexten geprägt werden und so selbst zum Aufschreibemedium historischen Wandels in der Zeit werden.

Mögliche Vortragsthemen können sich in folgenden Kategorien bewegen, sind aber nicht auf diese begrenzt:

  • Lieder, die Vergangenheit oder historische Prozesse narrativieren und vermitteln (Geschichtsballade, Friedenslieder, Hymnen, nostalgische Folksongs, koloniale Geschichtsbilder im Lied, etc.)
  • Lieder, die sich auf textlicher oder musikalischer Ebene einer historisierenden Ästhetik bedienen (Mittelalterrock, Sea Shanties, Zitate, Folkloreanleihen im Folkrock und im New Age)
  • Lieder, die historische Entwicklungen angestoßen oder beeinflusst haben (politisches Lied, Protestsongs, nachträglich politisierte Lieder wie “Somewhere over the Rainbow”)
  • Lieder, die als stabile Einheit oder Rekombination von Musik und Text (Kontrafaktur, Parodie) durch die Geschichte wandern und sich so immer wieder unterschiedlichen historischen Situationen einschreiben („Bella Ciao”, „Innsbruck ich muss Dich lassen”, „Die Gedanken sind frei“)

Abstracts von 250 Wörtern sind bis zum 30.11. an maria.behrendt@uni-marburg.de zu senden. Die
Benachrichtigung über die Annahme erfolgt bis spätestens 15.12.