Macht­miss­brauch­s­präven­tion

Das Thema „Machtmissbrauch“ ist in den letzten Jahren als gesamtgesellschaftliches Problem in den Fokus gerückt. Die 2019 aktualisierten Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) rufen dazu auf, „Machtmissbrauch und das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen […] durch geeignete organisatorische Maßnahmen sowohl auf der Ebene der einzelnen wissenschaftlichen Arbeitseinheit als auch auf der Ebene der Leitung wissenschaftlicher Einrichtungen zu verhindern“ (S. 11). Zahlreiche Hochschulen haben diese Forderung bereits in ihre Satzungen zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis aufgenommen. Die Royal Musical Association (RMA) hat einen Code of Conduct mit entsprechenden Leitlinien erstellt und die Österreichische Gesellschaft für Musikwissenschaft (ÖGMW) eine eigene „Ombudsstelle Machtmissbrauch“ eingerichtet. Im April 2023 verfasste eine Kieler Professorin einen von zahlreichen Kolleg*innen unterzeichneten Offenen Brief an das Bildungsministerium, in dem wirkungsvollere Maßnahmen gegen Machtmissbrauch an Hochschulen und Universitäten gefordert werden. In einer Pressemitteilung aus dem Mai 2024 bekannte sich die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) zu dem Motto „Jeder Fall ist ein Fall zuviel“ und veröffentlichte ein Positionspapier zum Umgang mit Machtmissbrauch.

Die im September 2022 gegründete Arbeitsgruppe „Machtmissbrauchsprävention“ der GfM schließt sich diesen Bemühungen um würdevolle Studien- und Arbeitsbedingungen als wichtige Grundlage guter Studien- und Arbeitsergebnisse an. Sie möchte vor allem präventive Maßnahmen erarbeiten, um ergänzend (nicht verdoppelnd) zu den Angeboten der lokalen und überregionalen Ombudsstellen in Deutschland Machtmissbrauch in den Musikwissenschaften entgegenzuwirken.

Was ist „Machtmissbrauch“?

Eine der grundlegenden Herausforderungen bei Bemühungen zur Machtmissbrauchs-Prävention ist eine konsensuale Definition dessen, was Machtmissbrauch ausmacht. Die Arbeitsgruppe entwickelt aktuell eine auf die Spezifika musikwissenschaftlicher Kontexte ausgerichtete Arbeitsdefinition, die auch Ergebnisse einer geplanten Bedarfserhebung unter allen GfM-Mitgliedern berücksichtigen wird. 

Vorab möchten wir nur folgende allgemeine Eckpunkte markieren, die keineswegs als normativ oder vollständig, sondern als vorläufige, erste Annäherung verstanden werden sollen:

Macht kann als ein Aspekt der Verantwortung aufgefasst werden, die Führungspersonen in der Academia (z. B. Lehrende, Vorgesetzte, Gutachter*innen) in Bezug auf Studierende und Mitarbeiter*innen übernehmen. Idealerweise wird sie förderlich, beispielsweise für die persönliche und fachliche Weiterentwicklung in Lehr- und Forschungskontexten eingesetzt. Machtmissbrauch kann entstehen, indem die häufig einseitige bzw. zumindest asymmetrische Abhängigkeit nicht angemessen verantwortungsvoll, sondern bewusst oder unbewusst zum materiellen oder immateriellen Vorteil der hauptsächlich verantwortlichen Person gestaltet wird. Als missbräuchlich können dabei alle Formen von grenzüberschreitender Kommunikation und Körperkontakt mit entwürdigender Wirkung angesehen werden. Dabei besteht in mit Musikwissenschaft verbundenen Studiengängen unter anderem aufgrund von überhöhenden Dispositiven der Musik und engen Bezügen zur Musik- und Kulturwirtschaft eine erhöhte Gefahr sexualisierter Übergriffe, wie es mittlerweile medial verschiedentlich in den Fokus gerückt wird (z. B. im international vielbeachteten Film Tár von 2022). Ferner gehören auch sämtliche weitere Formen der Marginalisierung, beispielsweise durch intransparente Leistungsanforderungen und Bewertungsmaßstäbe sowie Ausnutzung der Arbeitskraft entgegen geltender arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen sowie entgegen der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis zu missbräuchlichem Umgang mit Führungsverantwortung. Durch institutionell-systemische und gesamtgesellschaftlich gewachsene Strukturen der Diskriminierung (z. B. Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus) werden machtmissbräuchliche Verhaltensweise häufig auch unbewusst weitergegeben und ihre Ahndung erheblich erschwert. Die grundsätzliche Klärung der Rechte und Pflichten aller Beteiligten in musik(wissenschafts)bezogenen Lehr- und Forschungskontexten bildet daher ein unverzichtbares Fundament der Prävention von Machtmissbrauch.

Was tun im Falle eines Machtmissbrauchs? Erste Anlaufstellen

Es gibt unterschiedliche Stellen, die Betroffenen Unterstützung in den häufig sehr komplexen Situationen anbieten, die durch Machtmissbrauch entstehen. Leider sind diese Anlaufstellen häufig kaum bekannt und werden zu wenig genutzt; Nutzung und Nutzen bedingen einander. Fast jede deutsche Forschungsinstitution verfügt bereits über eine Ombudsstelle, die im Rahmen ihrer Aufgabe, die gute wissenschaftliche Praxis zu sichern, auch in Fällen von Machtmissbrauch tätig werden muss. Für die Zuständigkeit ist NICHT entscheidend, ob die geschädigte Person an der Einrichtung studiert bzw. beschäftigt ist; die Einrichtung ist für das eigene Personal und dessen potentielles Fehlverhalten zuständig. Die DFG stellt eine Liste dieser Stellen bereit. 

Für ALLE in Verbindung mit auch deutschen oder in Deutschland tätigen Wissenschaftler*innen stehenden Fälle von Machtmissbrauch kann alternativ der überregionale Ombudsman für die Wissenschaft der DFG um Unterstützung gebeten werden.

Zudem bieten weitere, unabhängige Verbünde wie das „Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft“ und die „Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e.V.“, die sich explizit an Beschäftigte der Kultur- und Medienbranche wendet, Hilfe an.

Was wir tun: Maßnahmen zur Machtmissbrauchsprävention

Auf der GfM-Tagung 2022 in Berlin wurden ursprünglich fünf Personen als vorläufige Ansprechpartner*innen und Organisator*innen der Gruppenaktivitäten benannt. Sie haben ein erstes Maßnahmenpaket entwickelt, das auf der GfM-Jahrestagung 2023 in Saarbrücken vereinsöffentlich vorgestellt und diskutiert wurde. Basierend auf dieser Diskussion wurden die Arbeiten fortgesetzt. Auf der Jahrestagung 2024 in Köln wird der aktuelle Stand zu folgenden Maßnahmen vorgestellt: 

  • Workshopprogramm mit präventiven Weiterbildungsangeboten für zunächst jede der fünf Jahrestagungen 2024–2028 (Ansprechpartnerin: Ina Knoth)
  • Bedarfserhebung unter den GfM-Mitgliedern in Bezug auf fachspezifische Problemfelder (Ansprechpartnerinnen: Cornelia Bartsch, Lucía Yanzón)
  • Bildung eines GfM-eigenen Ombudsgremiums (Ansprechpartner*innen: Wendelin Bitzan, Beate Angelika Kraus)
  • Erörterung weiterer Maßnahmen zur Machtmissbrauchsprävention (abhängig von den Wünschen und der Mitarbeit aller GfM-Mitglieder)

Alle GfM-Mitglieder sind herzlich eingeladen, an einzelnen oder allen Maßnahmen mitzuarbeiten und mitzugestalten. Bitte wenden Sie sich dafür an die jeweilige Ansprechperson und nehmen Sie an den vereinsöffentlichen Sitzungen der AG auf den Jahrestagungen teil.

Um über die Aktivitäten der Gruppe informiert zu bleiben und sich zu beteiligen, tragen Sie sich bitte in der Mailliste ein: https://www.listserv.dfn.de/sympa/info/gfm.mmpraevention

Ansprechpartner:innen

Dr. Cornelia Bartsch
Technische Universität Dortmund
cornelia.bartsch@tu-dortmund.de

Dr. Wendelin Bitzan
Robert Schumann Hochschule Düsseldorf
wendelin.bitzan@rsh-duesseldorf.de

PD Dr. Ina Knoth
Universität Hamburg
ina.knoth@uni-hamburg.de

Dr. Beate Angelika Kraus
Beethoven-Haus Bonn
kraus@beethoven.de

Lucía Yanzón
Humboldt-Universität zu Berlin
lucia.yanzon@hu-berlin.de