Joseph Haydn & die Sakralmusik. Reassessing Haydn’s Sacred Music

Internationales musikwissenschaftliches Symposium

Eisenstadt, 12.-14.06.2023

Von Mikhail Kuchersky, München – 26.03.2024 | Seit drei Dekaden widmet sich die Joseph Haydn Privatstiftung Eisenstadt insbesondere der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem benannten Komponisten und seinem Umfeld, dem Erwerb und der Sammlung von Kulturobjekten, die mit Haydns Vita und Œuvre in Verbindung stehen, sowie der internationalen Kollaboration mit sonstigen Organisationen. Im Jahre 2023 beging diese Institution ihr 30-jähriges Jubiläum. Aus jenem gebührenden Anlass richtete die Joseph Haydn Privatstiftung Eisenstadt in Zusammenarbeit mit der Haydn Society of North America im Zeitraum vom 12.–14. Juni 2023 im Eisenstädter Haydn Museum ein internationales musikwissenschaftliches Symposium zur Sakralmusik des Komponisten aus. Im Rahmen dieser öffentlich zugänglichen Veranstaltung stellten Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftler aus Österreich, Ungarn, Deutschland, der Slowakei, Großbritannien, Japan und den USA ihre Forschungsergebnisse vor. Verantwortlich für die Leitung dieser Konferenz zeichneten Walter Reicher (Vorsitzender der Internationalen Joseph Haydn Privatstiftung Eisenstadt, Österreich) und Michael E. Ruhling (Rochester Institute of Technology, USA). Ersterer verwies auf die Notwendigkeit, sich auf die Kirchenmusik Haydns zu konzentrieren, die längere Zeit nicht mehr im Fokus der musikwissenschaftlichen Untersuchung gestanden habe. Auf diesem Terrain sei demgemäß mit neuen Erkenntnissen zu rechnen – dies sollte das besagte Symposium eindrücklich vor Augen führen.
Nach einer Begrüßung durch Walter Reicher und Michael E. Ruhling folgte ein Einführungsreferat Otto Bibas (Wien) zu „Joseph Haydns Kirchenmusik: Gattungsspezifische Voraussetzungen und Normen, Regularien und Traditionen“. Das Erfassen und die Einordnung des Personalstils im Hinblick auf seine Musik zur Liturgie sowie der genialen Leistung Haydns bedinge eines tiefgründigen Wissens, eines gründlichen Verständnisses der zeitgenössischen sakralmusikalischen Produktion und der entsprechenden Kontexte. Das klare Differenzieren zwischen den stilistischen Besonderheiten Haydns und dem Usus, den gängigen Gepflogenheiten in der Kirchenmusik, sei essenziell für die Einschätzung seines sakralmusikalischen Schaffens, was Biba in seinem facettenreichen Vortrag vermittelte.
„Die musikliturgischen Signaturen im Werk- und Wirkungskontext Haydns“ behandelte daraufhin Jakob Johannes Koch (Bonn). Hierbei brachte er eingehend Haydns musikliturgischen Zeitkontext zur Sprache und offenbarte insbesondere Einblicke in die paraliturgischen Zeugnisse der außerordentlich mannigfaltigen Volksfrömmigkeit.
Während „The Catholic Enlightenment, Muratori, and the ,Sensuous‘ Voice in Haydn’s Sacred Music“ im Fokus des Vortrages von Michael E. Ruhling standen, widmete sich Ryuichi Higuchi (Tokio) „Haydns Kirchenmusik und Johann Sebastian Bach“.
James S. MacKay (New Orleans) nahm in seiner Studie zu „Joseph Haydn’s Baroque Heritage: The Influence of J. J. Fux and Georg Reutter on Two Early Haydn Masses (Hob. XXII:1 and XXII:5)“ zunächst eine gründliche Analyse von Haydns Missa Brevis in F-Dur vor und befasste sich mit denkbaren Vorläufern hinsichtlich der Chormusik aus der Feder von Reutter und Fux. Des Weiteren zeigte der Referent Parallelen zwischen Haydns Hob. XXII:1 und seiner Missa Cellensis (Hob. XXII:5) auf.
Hierauf wandte Dexter Edge (Bloomington) den Blick auf Quellen, die vom Kontext, der Rezeption und frühen Darbietungen von Haydns Stabat mater zeugen. Erwähnung fanden beispielsweise bislang unbekannte Aufführungen dieser Komposition in England, Deutschland und Nordamerika sowie Thomas Busbys Rezension des Werks aus dem Jahre 1784. Da der Referent nicht anwesend war, trug das entsprechende Manuskript Janet Page (Memphis) vor.
Am darauffolgenden Tag gab zu Beginn des dritten Panels Mikhail Kuchersky (München) „Einblicke in die Kontexte der Kirchenmusik am Hofe des Fürsten Nikolaus II. Esterházy nach Haydns Dienst in Eisenstadt. Anmerkungen zum Kapellknabeninstitut unter besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit Johann Nepomuk Fuchsens“. Ausgehend von Quellenstudien beschäftigte er sich mit den Aufführungen der Sakralmusik Haydns in den Jahren nach 1803 unter Nikolaus II., dem bisher kaum erforschten Kapellknabeninstitut und der kirchenmusikalischen Tätigkeit des Nachfolgers Haydns – Johann Nepomuk Fuchs.
Hiernach stellte James Armstrong (Williamsburg) seine Forschungsergebnisse zu „Joseph Haydn’s Church Music in Esterházy Religious Practice“ vor. Als Grundlagen seiner Ausführungen dienten ihm die Esterházysche Gottesdienstordnung aus dem Jahre 1800 sowie Johann Baders vollständiges Verzeichnis der Gottesdienste des Esterházyschen Kirchenmusikensembles bezüglich des Jahres 1810. Besonderes Augenmerk legte der Referent auf Haydns Harmoniemesse, die Missa in angustiis und die Missa in tempore belli.
Marko Motnik (Ljubljana/Laibach) wies in seinem Vortrag „Haydn und die Philharmonische Gesellschaft zu Laibach – Die frühe Überlieferung von Haydns Kirchenmusik im heutigen Slowenien“ darauf hin, dass sowohl das Kirchenarchiv in Pettau (im heutigen Ptuj) als auch das Archiv der Pfarrkirche in Cilli (Celje) Haydns Kompositionen beherbergen. Die Philharmonische Gesellschaft zu Laibach organsierte jedes Jahr Cäcilienfeste, die in der Laibacher Jakobskirche stattfanden und wo auch wiederholt Seelenmessen für die verstorbenen Ehrenmitglieder erklangen.
Sodann ordnete Molly Cryderman-Weber (Stockbridge) den presbyterianischen Gebrauch von Haydns Kirchenliedern in den Kontext der amerikanischen Kirchenmusikszene des 19. und 20. Jahrhunderts ein. Hierbei akzentuierte sie die bedeutende Stellung Lowell Masons hinsichtlich der Popularisierung dieser Kompositionen in den USA. Einen Schwerpunkt legte die Referentin dabei auf Haydns Kaiserlied, das als Austria mit neuen Texten Verbreitung finden sollte.
Schließlich trug Janet Page ihre eigene Präsentation zu „Mater dolorum settings by Georg Reutter Jr. and Gregor Werner, as reflected in music by Joseph Haydn“ vor. Sie untersuchte Heinrich Rademins (1674–1731) Text Mater dolorum und die überlieferte Musik Reutters sowie Werners im Zusammenhang mit dem zeitgenössischen österreichischen religiösen Denken und der Musik. Es wurde ferner erforscht, wie diese Ideen im Werk Joseph Haydns Niederschlag finden sollten.
Im Anschluss an diesen Vortrag fand ein Konzert in der Konventkirche der Barmherzigen Brüder Eisenstadt statt, das von einem reichen Rahmenprogramm des Symposiums beeindruckendes Zeugnis ablegte. Ausgewählte Werke Haydns bot ein Ensemble der Joseph Haydn Privathochschule dar, wobei zu dieser Gelegenheit auch die historische Orgel dieser Kirche – das Originalinstrument der Kleinen Orgelsolomesse – erklang, auf welcher der Komponist einst selbst musiziert hatte. Ein Empfang auf der Gloriette rundete diesen Tag ab.
Der darauffolgende Vormittag des Symposiums begann mit einem Referat Balász Mikusis (Frankfurt a. M.) zu „The Aesthetics of the Canon in Haydn’s Late Masses“. Hierbei lenkte er das Augenmerk auf mehrere theoretische Abhandlungen des späten 18. Jahrhunderts, mit dem Ziel, die mannigfaltigen Assoziationen des Kanons herauszuarbeiten und deren mögliche Bedeutung im Hinblick auf Haydns späten Gebrauch dieser Technik zu beurteilen.
Clive McClelland (Leeds) beleuchtete anhand ausgewählter Beispiele den Gebrauch der musikalischen Topoi ombra und tempesta in der Kirchenmusik Haydns.
Mit den Darlegungen zu „The Two Personalities of Haydn's Masses“ entkräftete James Webster (Ithaca) die traditionelle Vorstellung, den Messen Haydns fehle es angeblich an Würde und Anstand. Um seine Ansichten zu untermauern, stellte er die Missa in angustiis (Nelsonmesse) und die Theresienmesse in den Mittelpunkt seiner Erörterungen.
Diese Veranstaltung endete mit einem Round Table, im Zuge dessen u.a. weitere Forschungsdesiderata Erwähnung fanden.

Es wurden im Rahmen des Symposiums auf dem Gebiet der Kirchenmusik Haydns und ihrem Umfeld zahlreiche neue Erkenntnisse präsentiert. Insgesamt gelang es mit diesem ereignisreichen und hervorragend organisierten Symposium, eine mannigfaltige Palette der Sakralmusik Joseph Haydns und ihres Umfeldes zu zeichnen. Eine Veröffentlichung all der Erkenntnisse soll im Rahmen der musikwissenschaftlichen Publikationsreihe der Internationalen Joseph Haydn Privatstiftung Eisenstadt Eisenstädter Haydn-Berichte sowie HAYDN: The Online Journal of the Haydn Society of North America erfolgen.