Memoranda und Stellungnahmen
Erklärung zahlreicher Wissenschaftsverbände zur Prekarität wissenschaftlicher Laufbahnen und #ichbinhanna
Wissenschaftszeitvertragsgesetz abschaffen – Grundfinanzierung der Universitäten stärken
Erklärung zahlreicher Wissenschaftsverbände zur Prekarität wissenschaftlicher Laufbahnen und #ichbinhanna
Sehr geehrte Frau Ministerin Karliczek,
dank der Initiative #ichbinhanna hat der – schon lange schwelende und vielfach artikulierte – Protest gegen die massiv prekären Beschäftigungsbedingungen von Wissenschaftler_innen an deutschen Universitäten, Hochschulen und Akademien neuen Auftrieb bekommen. Ihre Stellungnahmen in der Debatte im Deutschen Bundestag zu diesem Thema am 24.06.2021 und die Erläuterungen von Staatssekretär Wolf-Dieter Lukas vom 13.06.2021 ignorieren die fundierte Kritik von Wissenschaftsverbänden, Wissenschaftsorganisationen sowie der konkret betroffenen Wissenschaftler_innen an einer Wissenschaftspolitik, die Promovierende und Postdocs Jahrzehnte in prekären Beschäftigungsverhältnissen hält, sich dabei aber massiv auf ihre Leistungen zur Aufrechterhaltung von Forschung und Lehre stützt, und die die Nachhaltigkeit von grundständig finanzierten, für exzellente Forschung und Lehre tragfähige Strukturen verhindert. Exemplarisch verweisen wir auf die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie von Mai 2020 und auf das Diskussionspapier des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker e. V. von Januar 2021 zu diesem Thema.
Der Anteil befristet beschäftigter Wissenschaftler_innen an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen hat in den letzten zehn Jahren immer weiter zugenommen, er beträgt derzeit deutlich über 85 Prozent. Prekär zu arbeiten ist der Normalfall an deutschen Universitäten und Hochschulen. Die Gründe hierfür sind komplex und die Verantwortlichkeiten verteilt. Es gibt deshalb auch nicht den einen Lösungsweg zur Verbesserung der Situation. Eine wesentliche Verbesserung wäre jedoch schon erreicht, wenn das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die sogenannte „12-Jahres Regel“, außer Kraft gesetzt wird, die für eine langfristige Beschäftigung auf Haushaltsstellen oder durch universitäre Sondermittel wie ein Berufsverbot wirken kann. Wir fordern deshalb als einen ersten Schritt die kritische und vollständige Evaluation der Wirkung und Folgen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Dabei muss zwischen der Promotions- und der PostDoc-Phase differenziert werden. Insbesondere nach der Promotion müssen hinreichend entfristete Beschäftigungsverhältnisse an den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ermöglicht werden, sodass Forschung, Lehre und die eigene Karriere planbar(er) werden. Dies geht nur durch eine deutliche Verbesserung der grundständigen Finanzierung der Universitäten und Hochschulen.
Die Diskussion muss auf allen Ebenen – konkret: zwischen Ministerium, Fachverbänden und Akteuren der Hochschulpolitik sowie auf Länderebene – fortgesetzt werden. Sehr vielen geisteswissenschaftlichen Verbänden ist dies ein zentrales Anliegen. Der VHD hat einen Resolutionsentwurf mit dem Titel „Die Berufswege promovierter Historikerinnen und Historiker in der Wissenschaft besser gestalten“ ausgearbeitet, der auf dem Historikertag in München Anfang Oktober 2021 diskutiert wird.
Wir rufen die Verantwortlichen auf, den notwendigen Reformprozess und Systemwandel zusammen mit den Fachverbänden einzuleiten.
29. Juni 2021
Initiatorinnen
- Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien (DGfA),
Präsidentin Prof. Dr. Ruth Mayer
- Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e. V. (VHD)
Vorsitzende Prof. Dr. Eva Schlotheuber
- Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Vorsitzende Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky
Erstunterzeichnende
- Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft e. V. (DGPuK)
- Verband Deutscher Kunsthistoriker e. V.
Folgende Verbände haben sich der Erklärung angeschlossen
- Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM)
- Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW)
- Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft e. V. (DVRW)
- Deutsche Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS)
- Gesellschaft für Geschichte der Wissenschaften, Medizin und Technik (GWMT)
- Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie e. V. (DGSKA)
- Deutsche Gesellschaft für Volkskunde e. V. (dgv)
- Gesellschaft für Kanada-Studien in deutschsprachigen Ländern e. V. (GKS)
- Gesellschaft für Anglophone Postkoloniale Studien e. V. (GAPS)
- Deutscher Anglistenverband e. V.
- Gesellschaft für Comicforschung e. V. (ComFor)
- Fachverband Medizingeschichte e. V.
- Gesellschaft für Hochschulgermanistik im Deutschen Germanistenverband (GfH im DGV)
- Gesellschaft für Technikgeschichte e. V. (GTG)
- Mediävistenverband e. V.
- Gesellschaft für Japanforschung e. V. (GJF)
- Kulturwissenschaftliche Gesellschaft e. V. (KWG)
- Fachgesellschaft Geschlechterstudien/Gender Studies Association (Gender e. V.)
- Doing Science & Technology Studies in and through Germany e. V. (stsing)
- Gesellschaft für Musikforschung e. V. (GfM)
- Society for Women in Philosophy Germany e. V. (SWIP)
Stellungnahme zur Situation von befristet angestellten und verbeamteten Wissenschaftler:innen während der Corona-Pandemie
Die Gesellschaft für Medienwissenschaft und die unterstützenden Fachgesellschaften weisen mit Nachdruck darauf hin, dass die aktuellen Belastungen durch die Corona-Pandemie gerade für die große Mehrheit der befristet beschäftigten wie auch befristet verbeamteten Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler_innen eine besondere Benachteiligung darstellen. Angesichts der Gefährdung durch das Corona-Virus musste der universitäre Betrieb in Lehre, Forschung und (Selbst-)Verwaltung auf digitale Medien und Homeoffice umgestellt werden. Die technische Infrastruktur von digitalen Geräten über Breitbandzugänge bis zu Recherchemöglichkeiten wurde und wird dafür nur sehr eingeschränkt, auch mit großen regionalen Unterschieden zur Verfügung gestellt. Der notwendige wissenschaftliche Austausch und die Vernetzung sind davon ebenso negativ betroffen wie Forschungsaufenthalte im In- und Ausland. Kranken- und Kinderbetreuungen schränken die verfügbare Arbeitszeit teils radikal ein. Eltern, Frauen* und Wissenschaftler_innen in Qualifizierungsphasen sind davon überproportional betroffen.
Die Bundesregierung hat dies teilweise erkannt: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat mit der Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) die Möglichkeit geschaffen, befristete Beschäftigungsverhältnisse um 6–12 Monate zu verlängern. Es ist abzusehen, dass die Belas- tungen bis mindestens Ende 2021 anhalten werden, so dass erneute Verlängerungen dringend geboten sind. Für alle diese formal möglichen Verlängerungen steht jedoch angesichts der mangelnden Grundfinanzierung der Universitäten in der großen Mehrzahl keine Finanzierung zur Verfügung. Möglichkeiten der erneuten Verlängerung von Beschäftigungsverhältnissen durch einzelne Drittmittelgeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sind hilfreich und wir begrüßen dies ausdrücklich, jedoch stehen in der Mehrzahl der Fälle auch diese nicht zur Ver- fügung. Die Verlängerung befristeter Verbeamtungen (z.B. bei Juniorprofessuren) und von Stipendien ist zudem nicht einheitlich geregelt. Die vorgesehenen Verlängerungen finden daher in vielen Fällen schlicht nicht statt. Die Kommunikation auf Länderebene ist zudem vielfach intransparent. Viele Universitäten und Hochschulen verschließen die Augen vor den zusätzlichen Kosten und wälzen diese auf unterfinanzierte Fachbereiche bzw. Institute ab. Dort, wo Verlängerungen prinzipiell in Aussicht gestellt werden, sind oft aufwändige Antragsprozesse mit zum Teil unklaren Begründungsanforderungen vorgesehen. Die Gleichbe- handlung vor dem WissZeitVG wird damit zu einem Glücksspiel.
Aus diesem Grund appellieren wir an Bund und Länder, die Verlängerung der Befristung gemäß WissZeitVG erneut zu beschließen, klare Regelungen für die Verlängerung von
Verbeamtungen auf Zeit zu treffen und eine finanzielle Absicherung dieser Maßnahmen zu gewährleisten. Es ist zudem bereits absehbar, dass sich die aktuelle Situation auch perspektivisch nachteilig auf einen wesentlichen Teil wissenschaftlicher Lebensläufe auswirkt: Für pan- demiebedingt verzögerte Befristungs- und Qualifikationszeiten müssen überall dort hochschul- und länderübergreifend verbindliche Ausgleichsregelungen gefunden werden, wo diese Zeiten eine Entscheidungsgrundlage bilden, etwa in Bewerbungsverfahren mit Ausschlussfristen oder bei befristeter Neueinstellung nach WissZeitVG. Wir schließen uns dabei insbesondere dem Diskussionspapier des Verbands Deutscher Kunsthistoriker an, der einen ausdifferenzierten Maßnahmenkatalog aufführt.
Ebenso appellieren wir an Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen, die sinnvollen Maßnahmen der vergangenen Monate fortzusetzen und auszubauen. So müssen Universitäten flexible Formen des mobilen Arbeitens, Forschens, Prüfens und Lehrens ermöglichen, die nicht nur zur Beschränkung von Kontakten zielführend sind, sondern Wissenschaftler_innen auch mit Blick auf die zeitlichen Mehraufwendungen und vielfältigen Arbeitsmehrbelastungen ent- gegenkommen. Angesichts des erheblichen Mehraufwands für die Lehre müssen Lehrdeputate, vor allem auf Hochdeputatsstellen, reduziert werden. Viele Bundesländer und Einrichtungen haben zudem Mittel für Hard- und Softwarebeschaffung bereitgestellt: Aber immer noch müssen die meisten Anschaffungen für die nach Zuhause verlagerten Arbeitsplätze privat von den prekär Beschäftigten vorgenommen werden. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden.
Schließlich appellieren wir an alle Beteiligten in der Hochschulpolitik und im Wissenschaftsbetrieb, die Befristungs- und Beschäftigungspraxis angesichts dieser besonderen Situation grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Es ist abzusehen, dass auch mit den beschriebenen Maßnahmen die Belastungen, die die Arbeitsbedingungen und damit die Beschäftigungsaussichten von sogenannten Nachwuchswissenschaftler_innen einschränken, ungerecht verteilt bleiben werden. Die zu Recht viel kritisierte Prekarität der meisten Beschäftigungen im Wis- senschaftsbetrieb wird durch die aktuelle Situation erheblich verschärft und besonders deutlich sichtbar, aber nicht erst geschaffen.
09.03.2021, aktualisiert am 18.03.2021
Gesellschaft für Medienwissenschaft
Diese Stellungnahme unterstützen
Verband Deutscher Kunsthistoriker
Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands
Gesellschaft für Theaterwissenschaft
Deutsche Gesellschaft für Volkskunde
Kulturwissenschaftliche Gesellschaft
Deutscher Anglistenverband
Gesellschaft für Musikforschung
Fachgesellschaft Geschlechterstudien/ Gender Studies Association
Deutsche Gesellschaft für Soziologie
Digital Humanities im Deutschsprachigen Raum
Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien
Deutsche Gesellschaft für Philosophie
Gesellschaft für Hochschulgermanistik im Deutschen Germanistenverband
Deutsche Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (ergänzt am 18.03.2021)
Gesellschaft für Geschichte der Wissenschaften, Medizin und Technik (ergänzt am 18.03.2021)
Memorandum der Gesellschaft für Musikforschung zur Versorgung mit lizensierter elektronischer Fachinformation an öffentlich finanzierten Forschungs- und Lehrinstitutionen
Veröffentlicht: Donnerstag, 09. April 2020 11:57
Das Fach Musikwissenschaft zeichnet sich wie die meisten Kunst- und Kulturwissenschaften durch eine vernetzte und sehr vielfältige institutionelle Landschaft aus, die nicht durch Großforschungseinrichtungen, sondern durch eher kleine Einrichtungen mit unterschiedlichen Trägerschaften und infrastrukturellen Voraussetzungen geprägt ist. Die Musikwissenschaft ist, in dieser Hinsicht vergleichbar mit anderen Disziplinen, überdies deutlich geprägt von einer Interdisziplinarität in der Disziplin und ist deshalb zwingend angewiesen auf einen breiten Zugriff auf Forschungsliteratur aller angrenzenden Fächer. An Universitäten und Hochschulen ist die Versorgung mit Fachinformation (Literatur; bibliographische Auskünfte) Aufgabe der jeweiligen Bibliotheken. Dasselbe gilt dem Grundsatz nach unverändert auch für elektronische Fachinformation (E-Books; E-Journals; E-Medien bzw. Streaming im Bereich Audio und AV; Fachdatenbanken; Online-Lexika usw.), deren Bedeutung für die Forschung wie die Lehre stetig zunimmt. Allerdings zeigt sich gerade in diesem dynamischen Bereich der Lizenzierungen der Zugänge zu elektronischer Fachinformation eine enorme Standortabhängigkeit. Es herrscht bisweilen ein enormes Gefälle zwischen großen Universitätsbibliotheken – auf der einen Seite –, die mit entsprechenden Finanzmitteln, Expertise und Gewicht, auch mithilfe der Bildung von Verbünden und Allianzen, erfolgreich Lizenzen verhandeln und einkaufen können, und – auf der anderen Seite zahlreichen Institutionen, die strukturell an diesem Markt enorm benachteiligt sind. Allerdings sind kleine Einrichtungen bei Lizenzen, die nach Studierendenzahlen berechnet werden, gegenüber Bibliotheken von Volluniversitäten klar im Vorteil (so z. B. MGG online). Darüber hinaus sind kleine Fächer, die durch große Universitätsbibliotheken versorgt werden, durch eine Lizenzauswahl nach Preis pro Zugriff oft benachteiligt. Das Fach Musikwissenschaft ist von solchen strukturellen Ungleichgewichten bei der Literaturversorgung für Wissenschaft und Lehre ganz besonders stark betroffen. (An der DBIS-Liste der Zugänge zu elektronischen Fachdatenbanken zeigen sich die sehr unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten sehr klar.) Voraussetzung für die Nutzung eines umfänglichen elektronischen Angebots sind natürlich zeitgemäße infrastrukturelle Ausstattungen zur Nutzendenidentifikation mit VPN und Shibboleth, die an kleineren Einrichtungen häufig noch fehlen.
In der aktuellen Krisensituation, in der Forschung und Lehre allerorten auf vollständig digitale Arbeits- und Kommunikationsweisen angewiesen sind, tritt diese strukturelle Schieflage mit zusätzlicher Deutlichkeit zutage und erzeugt akuten Handlungsbedarf mit nachhaltiger Wirkung.
Als einen sinnvollen Ansatzpunkt für die rasche und nachhaltige Beseitigung der großen Defizite bei der Versorgung mit der im Fach unabdingbar notwendigen elektronischen Fachinformation nicht nur für den Spitzenbedarf (derzeit Aufgabe des FID), sondern gerade und insbesondere für den Breitenbedarf akademischer musikwissenschaftlicher Lehre und Forschung erachtet die Gesellschaft für Musikforschung neben der konsequenten Förderung von Open-Access-Strukturen (z. B. durch Publikationsfonds) die Bereitstellung von Allianz-Lizenzen, die dann in allen mit musikwissenschaftlicher Lehre und Forschung beauftragten staatlichen Institutionen in gleicher Weise ohne Einschränkung die Teilhabe ermöglichen. Zur Bewältigung der fortdauernden Herausforderungen, zu denen eine massive Intensivierung der Digitalisierung vor allem in der Lehre gehört, bedarf es in der Musikwissenschaft – wie in anderen kunst- und kulturwissenschaftlichen Fächern auch – einer konsortialen, institutionsunabhängigen Bund-Länder-finanzierten Verfügbarhaltung der dringend benötigten Lizenzen (wie beispielsweise die EBSCO-Lizenzen wie RILM Abstracts of Music Literature, RIPM etc.; MGG Online; Oxford Music Online; E-Book-Pakete). Überdies muss auch für kleinere Institutionen, die nicht über gut ausgestattete Universitätsbibliotheken versorgt werden, der interdisziplinäre Zugriff auf die lizenzierten Inhalte benachbarter Disziplinen gewährleistet sein. Dieser – auch forschungspolitisch unterstützten Tendenz – zur interdisziplinären Vernetzung folgen im Übrigen auch die Verlage, wenn sie E-Book-Pakete fachlich mischen, sie damit jedoch für Spezialbibliotheken finanziell schwierig darstellbar werden lassen. Im Gegensatz zu einer ortsgebundenen, ungleich verteilten, dezentralen Beschaffung von Lizenzen (etwa über Opt-in- oder Pay-per-Use-Verfahren) sichert das Modell der Allianz-Lizenzen eine breite und gleiche Informationsversorgung bundes- und länderfinanzierter Forschungs- und Lehrinstitutionen. Überdies wird eine übergreifende konsortiale Lizenzierung auf Bund-Länder-Ebene insgesamt ressourcenschonender sein. Während der Spitzenbedarf bereits durch die FIDs abgedeckt wird, könnte ein aus den FIDs und der NFDI gebildeter konsortialer Verbund auch Träger einer solchen Informationsversorgung werden.
Kassel, April 2020
Prof. Dr. Dörte Schmidt (Präsidentin der GfM)
Prof. Dr. Ulrich Konrad (Vizepräsident der GfM)
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Geschäftsstelle: Gesellschaft für Musikforschung e. V. Frau Pamela Wagener Heinrich-Schütz-Allee 35 D-34131 Kassel E-Mail: G.f.Musikforschung@T-Online.de
Memorandum zur Vielfalt in der Wissenschaft
Veröffentlicht: Freitag, 06. Dezember 2019 11:34
Die Gesellschaft für Musikforschung sieht sich als Fachverband dem freien Austausch über wissenschaftliche Fragen zur Musik und der Verbreitung von Erkenntnissen über Musik in allen ihren Erscheinungen verpflichtet. Sie tut dies im nationalen wie internationalen Kontext unter Wahrung der allgemein anerkannten Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, wie sie zuletzt im September 2019 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft kodifiziert worden sind. Den offenen Meinungsaustausch untereinander und mit Andersdenkenden, wie dieser von den Gesetzen unseres demokratischen Gemeinwesens garantiert wird, pflegt die Gesellschaft für Musikforschung als selbstverständlichen Teil ihrer Arbeit. Sie versteht sich vor allem als Forum für Debatten über wissenschaftliche, aber auch über gesellschaftliche Fragen. Jegliche Form der Diskriminierung – etwa aufgrund von geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung, Nationalität, Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung und Alter –, politischen Extremismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und gesetzeswidriges Verhalten im zwischenmenschlichen Umgang lehnt sie strikt ab. Die Gesellschaft für Musikforschung schließt sich dem Abschlussmemorandum der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zur Wissenschaftsfreiheit und der Charta der Vielfalt an.
https://wissenschaftsfreiheit.de/abschlussmemorandum-der-kampagne/
https://www.dfg.de/foerderung/grundlagen_rahmenbedingungen/gwp/
https://www.charta-der-vielfalt.de
Positionspapier der Gesellschaft für Musikforschung zum Umgang mit Forschungsdaten
Das Memoradum kann hier als PDF-Datei heruntergeladen werden:
Memorandum der Gesellschaft für Musikforschung zur Schaffung nationaler Forschungsdateninfrastrukturen (NFDI) – Kurzfassung
Veröffentlicht: Freitag, 09. Februar 2018 12:58
Im April 2017 hat der Rat für Informationsinfrastrukturen (RfII) mit der Veröffentlichung des Diskussionspapiers Schritt für Schritt – oder: Was bringt wer mit? (das seinerseits auf dem umfangreicheren Papier Leistung aus Vielfalt vom Mai 2016 beruht) einen „wissenschaftsweiten Diskurs“ über geeignete Wege zur Schaffung einer vernetzten nationalen Forschungsdateninfrastruktur angeregt und die wissenschaftlichen Communities bzw. Fachgemeinschaften ausdrücklich zur Mitwirkung aufgerufen.
Die GfM ist mit ca. 1.600 Mitgliedern im In- und Ausland die größte Vereinigung von Fachvertreterinnen und -vertretern der Musikwissenschaft. Der im Fach zentrale Forschungsgegenstand – nämlich Musik, Musikkultur, Musikdenken usw. als künstlerisches und kulturelles Erbe und globale Praxis – verlangt in besonderer Weise spezialisierte, fachnahe Lösungen für ein nachhaltiges Forschungsdatenmanagement, das der kulturellen Bedeutung, der medialen Komplexität und nicht zuletzt auch rechtlichen Aspekten im Umgang mit dem Gegenstand des vielfältigen Faches gerecht wird. Die GfM unterstützt daher die in den Papieren des RfII formulierten Anliegen nachdrücklich und möchte die Bereitschaft signalisieren, aus der Sicht der Musikforschenden diesen Prozess der weiteren Ausbildung und Verstetigung von Forschungsdateninfrastrukturen konstruktiv-kritisch zu begleiten und zunächst die folgenden Punkte in die Diskussion einbringen:
1. Gerade die besondere Situation der Kunst- und Kulturwissenschaften bringt es mit sich, dass kulturelle und künstlerische Objekte wichtiger Bestandteil von Forschungsdaten sind, so dass hier eine scharfe Unterscheidung etwa zwischen der Sicherung von kulturellen bzw. künstlerischen Objekten und von Forschungsdaten vielfach nicht sachgerecht wäre. Gedächtnisinstitutionen wie Archive und Bibliotheken erweitern sich über ihre traditionellen Funktionen hinaus vor diesem Hintergrund zu Zentren des Datenmanagements für die Wissenschaft. Gerade aus Sicht der Musikwissenschaft, die auf der Ebene der Gegenstände ihrer Forschung auf enge Kooperation mit diesen Institutionen angewiesen ist, muss dies in der öffentlichen Wahrnehmung stärker vermittelt und mit entsprechenden dauerhaftem Mittelaufwuchs über Projektperspektiven hinaus unterlegt werden.
2. Nur in Kooperation mit fachnahen Datenzentren können Lösungen entstehen, die wirklich gegenstandsadäquat sind, die zugleich aber nicht Insellösungen bleiben, wenn sie sich an Entwicklungen in nationalen und internationalen Forschungskontexten orientieren. Die Vorteile übergreifender, inhaltsneutraler Systeme müssen in Einzelprojekten stets mit den fachspezifischen Lösungen kombiniert werden, um eine wirkliche Unterstützungsfunktion im Forschungsprozess zu erreichen. Notwendig ist eine von Bund und Ländern gemeinsam dauerhaft öffentlich getragene Infrastruktur solcher fachbezogener und vom Sitzland der Forschungsprojekte unabhängig und über die Projektlaufzeit hinaus nutzbarer Zentren. Überdies müssen Projekt-Förderstrukturen im Bereich kunst- und kulturwissenschaftlicher Projekte ausdrücklich auch digitale Dienstleistungen einbeziehen.
3. Die Kunst- und Kulturwissenschaften erzeugen nicht nur Daten „über“ Objekte (durch Metadaten oder Annotationen), sondern diese Objekte sind (in der Regel als digitalisierte Repräsentationen) untrennbarer Bestandteil des Forschungs- und Vermittlungsprozesses und werden gleichzeitig – soweit möglich (s. u.) – in dieser digitalen Repräsentation für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Im Zuge der politisch gewollten Digitalisierungskampagnen muss die gesellschaftliche Bedeutung der kulturellen Überlieferung in der Öffentlichkeit sehr viel breiter thematisiert werden, um langfristig diesen kulturellen Objekten dauerhafte Förderung zu sichern.
4. Der Umgang mit dem Kulturgut Musik und musikbezogenen Daten ist geprägt von diffizilen urheber-, verwertungs- und persönlichkeitsrechtlichen Bedingungen. Der NFDI-Prozess muss eine Klärung rechtlicher Fragen unter Berücksichtigung der fachwissenschaftlichen Bedürfnisse einschließen und dauerhaft begleiten. Zugleich muss bei der Verwirklichung generischer Rechtemanagement-Dienste (Authentifizierungs- und Autorisierungsinfrastrukturen) auf die spezifischen Bedürfnisse künstlerischer und kultureller Gegenstände und Kontexte Rücksicht genommen werden.
Kassel, Januar 2018
Prof. Dr. Dörte Schmidt (Präsidentin der GfM)
Prof. Dr. Ulrich Konrad (Vizepräsident der GfM)
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Geschäftsstelle:
Gesellschaft für Musikforschung e.V. Frau Pamela Wagener Heinrich-Schütz-Allee 35 D-34131 Kassel E-Mail: G.f.Musikforschung(at)T-Online(dot)de
Memorandum der Gesellschaft für Musikforschung zur Schaffung nationaler Forschungsdateninfrastrukturen (NFDI) – Langfassung
Veröffentlicht: Freitag, 09. Februar 2018 12:58
Im April 2017 hat der Rat für Informationsinfrastrukturen (RfII) mit der Veröffentlichung des Diskussionspapiers Schritt für Schritt – oder: Was bringt wer mit? (das seinerseits auf dem umfangreicheren Papier Leistung aus Vielfalt vom Mai 2016 beruht) einen „wissenschaftsweiten Diskurs“ über geeignete Wege zur Schaffung einer vernetzten nationalen Forschungsdateninfrastruktur angeregt und die wissenschaftlichen Communities bzw. Fachgemeinschaften ausdrücklich zur Mitwirkung aufgerufen.
Die GfM ist mit ca. 1.600 Mitgliedern im In- und Ausland die größte Vereinigung von Fachvertretern und -vertreterinnen der Musikwissenschaft. Im Herbst 2017 wurde innerhalb der GfM eine Fachgruppe „Digitale Musikwissenschaft“ eingerichtet, die sich ausdrücklich der Reflexion von Konsequenzen der Digitalisierung in all ihren Facetten für die Musikwissenschaft und dabei vor allem dem großen Bereich der Nachhaltigkeit digitaler Forschungsarbeiten, der Stabilität und Langzeitverfügbarkeit von Daten sowie Präsentationsformen widmet. Mit ihrer breiten Beteiligung an großen Quellenerschließungs- und Digitalisierungsprojekten und den großen Editionsvorhaben nimmt die deutsche Musikwissenschaft aktiv sowohl an der technischen und fachlichen Gestaltung des globalen digitalen Raumes wie an der kultur- und wissenschaftspolitischen Debatte über die Digitalisierung von Kulturgütern teil. Gerade weil sie mit ihrer langjährigen Forschungsexpertise zahlreiche und vielfältige Anwendungsfälle für den Schritt in die digitale Welt bereitstellen konnte, führte dies zu Synergien, die Standardbildungen und Forschungsstrukturen begünstigte. Folgerichtig gehörte die Musikwissenschaft zu den wenigen kunstwissenschaftlichen Disziplinen, die bereits in der ersten Förderphase am deutschen Zweig des EU-Projekts DARIAH beteiligt waren und grundlegende fachspezifische Informationen und Empfehlungen zu Datenformaten und Metadaten zusammengetragen haben.
Die Musikforschung gehört also zu den geisteswissenschaftlichen Disziplinen, die sich den Veränderungen durch die Digitalisierung in besonderem Maße gestellt haben, da diese an die Grundlagen ihrer Konzepte und Methoden rühren und sich auf spezifische Gegebenheiten der Gegenstände ihrer Forschungen beziehen, die im Hinblick auf die Einrichtung einer NFDI mit zu bedenken sind. Die GfM begrüßt ausdrücklich die vom RfII ausgegebene Empfehlung zum Aufbau eines Netzes intensiv kooperierender, jeweils fachorientierter Datenzentren.
Der im Fach zentrale Forschungsgegenstand – nämlich Musik, Musikkultur, Musikdenken usw. als künstlerisches und kulturelles Erbe und globale Praxis – verlangt in besonderer Weise spezialisierte, fachnahe Lösungen für ein nachhaltiges Forschungsdatenmanagement, das der kulturellen Bedeutung, der medialen Komplexität und nicht zuletzt auch rechtlichen Aspekten im Umgang mit dem Gegenstand des vielfältigen Faches gerecht wird. Die GfM unterstützt daher die in den Papieren des RfII formulierten Anliegen nachdrücklich und möchte die Bereitschaft signalisieren, aus der Sicht der Musikforschenden diesen Prozess der weiteren Ausbildung und Verstetigung von Forschungsdateninfrastrukturen konstruktiv-kritisch zu begleiten und zunächst die folgenden Punkte in die Diskussion einbringen:
1. Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) hat in seinem Positionspapier zu den NFDI bereits deutlich darauf hingewiesen, dass in den geisteswissenschaftlichen Fachkulturen ein umfassendes Verständnis des Begriffs „Forschungsdaten“ zur Geltung kommt und sicherzustellen ist, dass diese Daten als Bestandteile unseres kulturellen Gedächtnisses nicht zeitlich befristet, sondern wie kulturelle Objekte in Archiven und Bibliotheken „vom Prinzip her für immer bereitgestellt werden sollen.“ Die Forderung nach einem umfassenden, fachdisziplinär geprägten Forschungsdatenmanagement und nach einer nachhaltigen Einbindung der Gedächtnisinstitutionen, deren traditionelle Aufgabe der Bewahrung von Kulturgut nun auch das digital überlieferte einbezieht, ist daher aus unserer Sicht mit Nachdruck zu bekräftigen. Gerade die besondere Situation der Kunst- und Kulturwissenschaften bringt es mit sich, dass kulturelle und künstlerische Objekte wichtiger Bestandteil von Forschungsdaten sind, so dass hier eine scharfe Unterscheidung etwa zwischen der Sicherung von kulturellen bzw. künstlerischen Objekten und von Forschungsdaten vielfach nicht sachgerecht wäre. Gedächtnisinstitutionen wie Archive und Bibliotheken erweitern sich über ihre traditionellen Funktionen hinaus vor diesem Hintergrund zu Zentren des Datenmanagements für die Wissenschaft. Gerade aus Sicht der Musikwissenschaft, die auf der Ebene der Gegenstände ihrer Forschung auf enge Kooperation mit diesen Institutionen angewiesen ist, muss dies in der öffentlichen Wahrnehmung stärker vermittelt und mit entsprechenden dauerhaftem Mittelaufwuchs über Projektperspektiven hinaus unterlegt werden.
2. In den vom Verband Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (DHd) veröffentlichten Thesen Digital Humanities 2020 wird unter Punkt 2.4 („Die Digital Humanities und die Virtuellen Infrastrukturen“) hervorgehoben, dass die Fachwissenschaften von Infrastrukturen profitieren können, die einerseits inhaltsneutrale generische Dienste (z. B. für kontrollierten Datenzugriff oder für die Vergabe permanenter Identifikatoren) zur Verfügung stellen, andererseits aber auch projektübergreifende fachbezogene Dienste oder Visualisierungs- und Analysewerkzeuge für häufig verwendete Datentypen anbieten. Schon dort wird kritisch vermerkt, dass die Projekte bereit sein müssen, solche Infrastrukturen zu verwenden und das nur tun, wenn diese „ihre Anforderungen auch wirklich erfüllen“. Das Positionspapier des VHD verdeutlicht, dass in etlichen Fällen bei der Anwendung solcher Dienste „die Wandelbarkeit in der Zeit und der Umgang mit Ungenauigkeiten und fehlenden Informationen eine große Herausforderung des Datenmanagements in der Fachdisziplin“ darstellen und zu Problemen bei den aufzubauenden Datenbeständen führen können. Aus Sicht der Musikwissenschaft, die es zudem mit besonderen, beispielsweise in den Text- oder Bildwissenschaften nicht auftretenden Datenformen zu tun hat, die häufig ein erhebliches Interpretationspotential bieten, erscheint eine solche, auf die Spezifika des Faches achtende Herangehensweise dringlich geboten, zumal auch an die Analyse- und Darstellungswerkzeuge entsprechende, für die Gegenstände charakteristische Anforderungen gestellt werden. Ebenso erfordert der Aufbau von musikspezifischen Datenkorpora erhebliche, mit den Lösungsansätzen der Text- oder Bildwissenschaften in aller Regel nicht zu bewältigende Anstrengungen.
Auch vor diesem Hintergrund erscheint das vom RfII vorgegebene Bild eines (offenen) Netzwerks aus vielfältigen – darunter vor allem fachnahen – Knoten, die in die übergreifenden Strukturen ihr fachspezifisches Datenmanagement einbringen, als eine wünschenswerte Leitvorstellung bei der Entwicklung der NFDI. Diese Vorstellungen haben auch der Verband DHd und deren AG Datenzentren in ihrer Stellungnahme unterstützt. Die bisherigen Erfahrungen – insbesondere im Bereich digitaler Musikedition – haben gezeigt: Nur in Kooperation mit fachnahen Datenzentren können Lösungen entstehen, die wirklich gegenstandsadäquat sind, die zugleich aber nicht Insellösungen bleiben, wenn sie sich an Entwicklungen in nationalen und internationalen Forschungskontexten orientieren. Die Vorteile übergreifender, inhaltsneutraler Systeme müssen in Einzelprojekten stets mit den fachspezifischen Lösungen kombiniert werden, um eine wirkliche Unterstützungsfunktion im Forschungsprozess zu erreichen. Für musikethnologische, musiksoziologische und musikpsychologische wissenschaftliche Datenerhebung, -verarbeitung und -auswertung, aber auch für Bereiche wie Musikanalyse oder für das weite Feld historischer Quellenforschung und -aufarbeitung gilt dies im selben Maße.
So sehr die Berücksichtigung von Datenstandards und anderer internationaler Normen sowie die fachinterne und fachübergreifende Kooperation mit Blick auf die digitale Zukunft in unserem Fach noch gefördert werden müssen, so darf auf der anderen Seite keine nationale Infrastruktur entstehen, die keine Experimente mehr wünscht und das wissenschaftliche Denken außerhalb prädeterminierter Formate und Technologien nicht mehr fördert. Wissenschaftliche Neuerungen haben sich häufig jenseits eingefahrener Bahnen entwickelt und dies sollte bei allen Plädoyers für die als Voraussetzung eines intensivierten Datenaustausches notwendigen Standardisierungszwänge (die dann bei Projektanträgen sehr konkret werden können) bedacht werden. Ein Netzwerk, wie das vom RfII angestrebte, könnte die dafür notwendige Offenheit bieten. Ein solches offenes Netzwerk stellt bereits jetzt die AG Datenzentren innerhalb des DHd-Verbands dar, die den Erfahrungsaustausch mit dem Bestreben nach rationellerer Arbeitsteilung und nachfrageorientierter Entwicklung nachhaltiger Dienste kombiniert. Notwendig ist eine von Bund und Ländern gemeinsam dauerhaft öffentlich getragene Infrastruktur solcher fachbezogener und vom Sitzland der Forschungsprojekte unabhängig und über die Projektlaufzeit hinaus nutzbarer Zentren. Überdies müssen Projekt-Förderstrukturen im Bereich kunst- und kulturwissenschaftlicher Projekte ausdrücklich auch digitale Dienstleistungen einbeziehen.
3. Bei der Einrichtung Nationaler Forschungsdateninfrastrukturen (NFDI) ist im Rahmen der Geistes-, Kunst- und Kulturwissenschaften zu bedenken, dass „Daten“ aus unterschiedlichsten Bereichen erhoben und in neuartiger Weise miteinander verknüpft werden und damit Kunst- und Kulturgüter sowie künstlerische und kulturelle Praktiken zugänglich machen oder zugänglich halten. Die Kunst- und Kulturwissenschaften erzeugen nicht nur Daten „über“ Objekte (durch Metadaten oder Annotationen), sondern diese Objekte sind (in der Regel als digitalisierte Repräsentationen) untrennbarer Bestandteil des Forschungs- und Vermittlungsprozesses und werden gleichzeitig – soweit möglich – in dieser digitalen Repräsentation für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Im Rahmen einer künftig engeren Kooperation zwischen der Wissenschaft und den solche hybriden Forschungsdatenkomplexe bewahrenden Gedächtnisinstitutionen ist zu verdeutlichen, dass der freie Zugang zu dieser reichhaltigen kulturellen Überlieferung einen (dauerhaft zu finanzierenden) Dienst der NFDI und der an ihnen beteiligten Partner für die Öffentlichkeit darstellt und über die Wissenschaftsförderung hinaus eine breitere öffentliche Förderung voraussetzt. Dies bedeutet, dass im Zuge der politisch gewollten Digitalisierungskampagnen die gesellschaftliche Bedeutung der kulturellen Überlieferung in der Öffentlichkeit sehr viel breiter thematisiert werden muss, um langfristig diesen kulturellen Objekten dauerhafte Förderung zu sichern.
4. Der Umgang mit dem Kulturgut Musik und musikbezogenen Daten ist geprägt von diffizilen urheber-, verwertungs- und persönlichkeitsrechtlichen Bedingungen. Dies gilt für notierte bzw. kodierte Musik ebenso wie für Bild-, Audio- oder Video-Daten (bzw. Formen von „mixed media“) und selbstredend auch beispielsweise für musikethnographische, ‑pädagogische, ‑psychologische oder -soziologische Forschungsdatenbestände. Überdies sind Kunst- und Kulturwissenschaften in eine differenzierte Landschaft von Verwertern (Verlagen, Musiklabels etc.) eingebunden, die selbst Teil kultureller Praktiken sind und sich in ihrer Vielfalt von der Verwertungs- und Verlagssituation anderer Wissenschaftszweige deutlich unterscheidet. Die GfM betrachtet im Sinne von Open Access und Open Science den freien Zugang zu Daten als eine wichtige Voraussetzung für Forschung, wobei aber gleichzeitig bei vielen Gegenständen die fachspezifischen Bedingungen wie die geltende Rechtslage flexible Lösungen erfordern. Die Relevanz von Forschungsgegenständen (etwa im Zusammenhang mit Antragsbewilligungen, aber genauso in Bezug auf die Archivierungswürdigkeit) darf unter keinen Umständen anhand äußerlicher Vorfestlegungen oder Automatismen, wie etwa einem pauschalen Zwang zu freier öffentlicher Zugänglichkeit, bemessen werden. Der NFDI-Prozess muss eine Klärung rechtlicher Fragen unter Berücksichtigung der fachwissenschaftlichen Bedürfnisse einschließen und dauerhaft begleiten. Zugleich muss bei der Verwirklichung generischer Rechtemanagement-Dienste (Authentifizierungs- und Autorisierungsinfrastrukturen) auf die spezifischen Bedürfnisse künstlerischer und kultureller Gegenstände und Kontexte Rücksicht genommen werden.
Kassel, Januar 2018
Prof. Dr. Dörte Schmidt (Präsidentin der GfM)
Prof. Dr. Ulrich Konrad (Vizepräsident der GfM)
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Geschäftsstelle:
Gesellschaft für Musikforschung e.V. Frau Pamela Wagener Heinrich-Schütz-Allee 35 D-34131 Kassel E-Mail: G.f.Musikforschung(at)T-Online(dot)de
Memorandum der Gesellschaft für Musikforschung zur künstlerisch-wissenschaftlichen Promotion
Veröffentlicht: Dienstag, 30. September 2014 13:20
Die Diskussionen um den dritten Qualifikationszyklus an den Kunst- und Musikhochschulen und der in diesem Feld anstehende Reformprozess erfordern eine breite Diskussion über die in diesem Zyklus vorzusehenden Abschlüsse. Ein entscheidendes Problem in dieser Diskussion entsteht dadurch, dass die derzeit gültige Fassung des Qualifikationsrahmens für deutsche Hochschulabschlüsse für den dritten Zyklus nur den Abschluss Dr. phil. bzw. Ph. D. vorsieht, der üblicherweise wissenschaftliche Qualifikation bescheinigt und als solcher eingeführt ist. Bereits im Juli 2012 hat die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen in der HRK in einem Positionspapier zu diesem Problem Stellung bezogen. Grundsätzlich schließt sich die GfM der Position der RKM an, dass im Bereich der Musik neben den eingeführten wissenschaftlichen (Dr. phil.) wie künstlerischen Qualifikationen (Konzertexamen bzw. äquivalente künstlerische Abschlüsse) auch eine wissenschaftlich-künstlerische Qualifikation auf dieser Ebene denkbar ist, die jedoch die bereits eingeführten Qualifikationen nicht schwächen darf, sondern zu ihnen hinzutreten muss. Ein Austausch mit den wissenschaftlichen Fachgesellschaften der auf die Künste bezogenen Wissenschaften in dieser Frage ist aus unserer Sicht angesichts der aktuellen Lage unumgänglich und kann nicht durch Stellungnahmen der universitären Vertreter der HRK ersetzt werden. Das vorliegende Papier setzt hierzu für die Musikwissenschaft eine Initiative.
Mit der Promotion ist in den Geisteswissenschaften eine besondere wissenschaftliche Leistung verbunden, welche – aufbauend auf einem bestimmten Forschungsstand – die jeweilige Disziplin um wesentliche neue Erkenntnisse bereichert und methodologisch den Kriterien der Überprüfbarkeit der Ergebnisse sowie dem Bemühen um Objektivität genügt. In der Musikwissenschaft wird für entsprechende Leistungen im deutschsprachigen Raum der Titel „Dr. phil.“ vergeben, da die Musikwissenschaft aufgrund ihrer historischen Entwicklung (mit einer überwiegend philologischen Ausrichtung im 19. Jahrhundert) zu einem Verbund von Disziplinen gehört, die in den Philosophischen Fakultäten der Universitäten angesiedelt sind, und in den auch die Musikwissenschaft als Geisteswissenschaft an den Kunsthochschulen sich stellt. Es ist aus unserer Sicht im Interesse der Absolventinnen und Absolventen, diese auch im internationalen Feld eingeführte und klar konturierte Qualifikation zu sichern.
Die Verbindung von künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit in einer Qualifikation im dritten Zyklus führt ein neues Element ein, das einer anderen Fächerkultur entstammt als die in philosophischen Fakultäten angesiedelten Disziplinen, auch wenn es sich über den wissenschaftlichen Anteil mit diesen verbindet. Daher ist es aus Sicht des Vorstandes der GfM sinnvoll, im Rahmen einer die künstlerischen und künstlerisch-wissenschaftlichen Qualifikationen einbeziehenden Reform der Abschlüsse des dritten Zyklus den für eine künstlerisch-wissenschaftliche Promotion zu vergebenden Titel von demjenigen des Dr. phil. zu unterscheiden. Es bietet sich der „Doctor of Musical Arts“ (DMA) bzw. ein deutschsprachiges oder lateinisches Äquivalent (Doctor Musicae Artis) an. Eine entsprechende Abgrenzung des zu verleihenden Titels gewährleistet, dass die unterschiedlichen Profile von wissenschaftlicher und künstlerisch-wissenschaftlicher Promotion erkennbar sind, und bildet hiermit eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich Promovierte ihrer jeweiligen Ausrichtung gemäß auch international erfolgreich auf Stellen bewerben können.
Im Hinblick auf zu entwickelnde Qualitätsstandards für die künstlerisch-wissenschaftliche Promotion ist es zwingend erforderlich, dass Fachvertreterinnen bzw. Fachvertreter beider Bereiche in den Prozess einbezogen werden, und es ist mehr als wünschenswert, dass auf der Ebene der RKM das Vorgehen mit dem zuständigen Fachverband der Musikwissenschaft, der GfM, abgestimmt wird.
Damit ein solcher Abschluss nicht gleichsam in der Luft hängt, muss zunächst geklärt werden, wie der Erwerb wissenschaftlicher Voraussetzungen für einen solchen künstlerisch-wissenschaftlichen Abschluss im dritten Zyklus in künstlerische bzw. künstlerisch-wissenschaftliche Studiengänge des ersten und zweiten Zyklus implementiert werden kann. Eine Grundierung der wissenschaftlichen Ausbildung in den Studienplänen der vorausgehenden Zyklen sollte als Voraussetzung für die Zulassung solcher Abschlüsse im dritten Zyklus gelten. Damit unmittelbar verbunden ist die Frage nach den Zulassungsvoraussetzungen zu einem solchen dritten Zyklus. Der wissenschaftliche Anteil, die Dissertation, muss nach Auffassung des Vorstands der GfM Kriterien genügen, die sich als Standard in den Geisteswissenschaften etabliert haben. Er muss genuin neue Erkenntnisse aufweisen und darf in keinem Fall allein in der Zusammenfassung bereits bekannter Forschungsergebnisse stehen bleiben, d. h. auf ein Anforderungsniveau herabgestuft werden, das üblicherweise auf geisteswissenschaftliche Master-Arbeiten angewendet wird.
Kassel, September 2014
Prof. Dr. Wolfgang Auhagen (Präsident der GfM)
Prof. Dr. Dörte Schmidt (Vizepräsidentin der GfM)
Memorandum der Gesellschaft für Musikforschung zur Lehrerbildung im Fach Musik
Veröffentlicht: Dienstag, 30. September 2014 13:20
Musik als ordentliches Schulfach ist unverzichtbar im Fächerkanon der allgemeinbildenden Schulen. Musikunterricht dient nicht dem Ausgleich zum bzw. der Erholung vom Unterricht in anderen Fächern, sondern verfolgt seinen eigenen Bildungsauftrag als künstlerische Praxis wie als Teil von Kultur gleichermaßen und in allen Schultypen. Dieses kulturelle Selbstverständnis geht auf die für die deutsche Demokratie grundlegenden kulturpolitischen Weichenstellungen der Weimarer Republik zurück. Ihm entspricht eine Lehrerbildung, die das Schulfach Musik den übrigen nicht nur gleichstellt, sondern überdies eine fundierte doppelte Qualifikation der Lehrkräfte voraussetzt, in der künstlerische und fachwissenschaftliche Anteile gleichberechtigt zum Tragen kommen. Damit wird die Musik als Schulfach sowohl im Kanon der Künste als auch im Spektrum der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer verankert. Gleichermaßen in dieser Tradition steht der Umstand, dass Lehrer im Fach Musik ein Universitätsstudium im Humboldtschen Sinne erhalten, sich in ihren Fächern in diesem Sinne umfassend bilden und nicht eine berufsbezogene und damit von Beginn an zweckbestimmte Ausbildung erhalten.
Die Gesellschaft für Musikforschung sieht mit Sorge, dass dieser Anspruch zunehmend in Gefahr gerät. Er ist unvereinbar mit den aktuellen Plänen zur Reform der Musiklehrerausbildung in vielen Bundesländern. Die deutliche Tendenz zur Verlagerung des Schwerpunktes auf die Berufswissenschaften auf Kosten der fachbezogenen künstlerischen und wissenschaftlichen Studienanteile senkt die fachliche Qualität sowie Attraktivität des Schulmusikstudiums. Gerade bei der Wahl dieses Studiums spielt die Leidenschaft für den Gegenstand eine besondere Rolle.
Aus der Sicht des Vorstands der Gesellschaft für Musikforschung ist zur Sicherung des universitären Anspruches der Ausbildung die Beibehaltung einer veritablen fachlichen Doppelqualifikation in Kunst und Wissenschaft unverzichtbar und kann nicht durch Mischqualifikationen ersetzt werden. Dies muss sich u. a. auch in einer genuin künstlerischen Abschlussprüfung und einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit niederschlagen, die als zentrales Element den anderen Lehramtsstudien gleichwertigen wissenschaftlich Status des Studienabschlusses aufrecht erhält.
Kassel, September 2014
Prof. Dr. Wolfgang Auhagen (Präsident der GfM)
Prof. Dr. Dörte Schmidt (Vizepräsidentin der GfM)
Stellungnahmen und Offene Briefe
Stellungnahme des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker e.V. und der Gesellschaft für Musikforschung e.V. zur geplanten Novellierung des bayerischen Hochschulrechts
Veröffentlicht: Mittwoch, 17.02.2021
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder,
sehr geehrter Herr Staatsminister Sibler,
sehr geehrter Herr Brannekämper, Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst,
mit der geplanten Novellierung des Hochschulrechts strebt das bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst eine grundlegende Umgestaltung der Rahmenbedingungen an, unter denen an Hochschulen in Bayern gearbeitet wird. Angesichts der Bedeutung, die den bayerischen Universitäten und Hochschulen innerhalb des deutschen Wissenschaftssystems zukommt, wird eine solche fundamentale Veränderung auch für die Forschung und Hochschullehre über die Grenzen Bayerns hinaus von großer Relevanz sein.
Der Verband Deutscher Kunsthistoriker und die Gesellschaft für Musikforschung teilen die Bedenken, die in dem Offenen Brief von Professorinnen und Professoren an bayerischen Universitäten zur geplanten Hochschulreform sowie seitens der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften formuliert wurden. Sowohl die geplanten Eingriffe und Neuregelungen, wie sie sich derzeit in dem sog. Eckpunkte-Papier abzeichnen, als auch das Verfahren, mit dem die Novellierung entworfen, beraten und umgesetzt wird, werfen aus unserer Sicht Fragen auf. Die genannten Stellungnahmen aus der bayerischen Wissenschaft zeigen nachdrücklich, dass der vom Staatsministerium angestrebte Prozess einer breiten und partizipativen Beteiligung von Mitgliedern der verschiedenen Statusgruppen an den Hochschulen bedarf. Das Staatsministerium sollte daher ein genuines Interesse daran haben, sich die notwendige Zeit zu nehmen und eine Diskussion zu ermöglichen, die offen ist für die vielfältigen Perspektiven, die dem Wissenschaftssystem eigen sind.
Fünf vordringliche Probleme seien im Folgenden kurz erläutert:
- Sowohl der Offene Brief von Professorinnen und Professoren als auch die Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften haben bereits darauf hingewiesen, dass wichtige Teile des Eckpunkte-Papiers mit der eingangs formulierten Verpflichtung auf „das Ideal der zweckfreien Erkenntnis“ nur schwer vereinbar erscheinen. Das Papier lässt vermuten, dass angestrebt wird, das Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ nicht nur für die Governance-Strukturen zugrunde zu legen, sondern insbesondere auch auf Fragen der Mittelverteilung zu beziehen. Indem das Eckpunkte-Papier mehrfach die Bedeutung des Transfers und des ökonomischen „Mehrwerts“ von wissenschaftlicher Forschung betont und auch eine Operationalisierung dieses Kriteriums suggeriert, wirft es die Frage auf, wie dem besonderen Wert der Grundlagenforschung innerhalb eines solchen Rahmens weiterhin angemessen Rechnung getragen werden kann. Zwar formuliert das Eckpunkte-Papier nicht explizit das Anliegen, die Gewichtung der Relevanz einzelner Wissenschaftsbereiche und Fächergruppen zu verändern, es legt aber die Implementierung von Kriterien nahe, die erhebliche Verschiebungen in der Förderung verschiedener Disziplinen und Fachkulturen zur Folge haben können. Insgesamt vermissen wir in dem Eckpunkte-Papier eine differenziertere Abschätzung der Folgen und Nebeneffekte der skizzierten Neuregelungen.
- Das Eckpunkte-Papier erlaubt derzeit nicht zu erkennen, wie sich der angestrebte „Mehrwert für Staat Wirtschaft und Gesellschaft“ verlässlich und differenziert bemessen ließe. Ein erheblicher Teil der Leistungen von Hochschulen schlägt sich indirekt, dafür aber umso wirkungsvoller als Mehrwert für Gesellschaft und Wirtschaft nieder. Mit den der Kultur wie den Wissenschaften innewohnenden und nicht direkt auf ihre „Mehrwerte“ ausgerichteten Eigenlogiken schafft der Staat zudem – wie nicht von ungefähr im Grundgesetz verbindlich geregelt ist – jene Freiräume, in denen sich eine Gesellschaft über sich selbst verständigt. Über die Sicherung eines solchen Aushandlungsraumes stabilisiert sich staatliche Macht – und zwar auch in der Möglichkeit der Kritik – als eine gesellschaftlich legitimierte. Insbesondere die Geistes- und Kulturwissenschaften liefern durch Ausbildung und Forschung überdies einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Landschaft auch jenseits des akademischen Bereichs, deren erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung uns gerade in der Corona-Pandemie nochmals eindrucksvoll vor Augen geführt worden ist. Nicht zuletzt sind Neuregelungen, die sich am Kriterium des „Mehrwerts“ ausrichten, an einem Grundsatz zu messen, den das Bundesverfassungsgericht als den der Wissenschaftsfreiheit zugrundeliegenden Leitgedanken charakterisiert hat, als es festhielt, „daß gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“ (BVerfGE 47, 327).
- Beunruhigend ist der latente Widerspruch in der Aussage, dass „Wissenschaft […] sich zwar nicht numerisch bewerten“ lasse, „es […] aber viele Aspekte wissenschaftlicher Exzellenz“ gebe, „die Niederschlag in vergleichbaren Indizes finden, die für eine erfolgsorientierte (Teil-)Finanzierung genutzt werden kann und muss“ (S. 8). Die syntaktisch unklare Gestalt dieses Satzes im Eckpunkte-Papier erschwert eine Abschätzung seiner Konsequenzen. Ausdrücklich räumt er aber die Möglichkeit einer Lesart ein, die seinen Schluss zu der Aussage zuspitzt, dass Indizes für eine erfolgsorientierte Finanzierung (und zwar nicht nur Teilfinanzierung) genutzt werden müssen. Es sei daher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich keine übergreifenden und zugleich belastbaren Indizes für einen erheblichen Teil der an Hochschulen vertretenen Fächer anführen lassen. Viele Kennzahlen (z. B. Drittmittel, Zitationen) berühren nur eng umgrenzte Bereiche, die zudem aus fachspezifischen Gründen sehr unterschiedlich ausfallen: Aus guten Gründen divergierende Publikationskulturen haben zur Folge, dass sich durchaus nicht nur die geistes- und kulturwissenschaftliche Publikationsleistungen deutlich weniger aussagekräftig bibliometrisch und über Zitationsindizes erfassen lassen als in einigen anderen Disziplinen. Und die Höhe von Drittmitteleinwerbungen variiert fachspezifisch schon deswegen in sehr hohem Maße, weil etwa weite Bereiche der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, aber auch der theoretischen Mathematik oder Teilfelder der Physik in der Regel nicht auf teure Sachinvestitionen angewiesen sind.
- Die beiden Sätze, die das Eckpunkte-Papier der „Karriereförderung des akademischen Mittelbaus“ widmet, lassen nicht erkennen, dass die drängende Problemlage in diesem Bereich bereits vollständig erfasst worden wäre. Eine aktuelle Initiative zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (https://95vswisszeitvg.wordpress.com/) führt den Handlungsbedarf auf diesem Feld nochmals eindrucksvoll vor Augen. Von einer grundlegenden Novellierung des bayerischen Hochschulrechts darf erwartet werden, dass sie für diese Probleme maßstabsetzende innovative Lösungen entwickelt. Wie problematisch auch vor diesem Hintergrund die Ausweitung von Anreizsystemen wirken würde, die auf numerischen Messgrößen basieren, hat jüngst die Junge Akademie von BBAW und Leopoldina in ihrer Stellungnahme „Anreiz-Problematiken in der Wissenschaft“ aufgezeigt.
- Anlass zur Sorge gibt nicht zuletzt auch das Vorhaben, die Beschlussfassung über die ersten neuen Organisationssatzungen der Hochschulen in die Hände der Hochschulräte zu geben. Zwar wird zugleich darauf hingewiesen, dass „der angemessene Einfluss der Träger der Wissenschaftsfreiheit gewährleistet sein muss“. Doch bleibt unklar, wie der grundgesetzlich verankerten Wissenschaftsfreiheit und dem erforderlichen Interessenausgleich zwischen Hochschullehrerschaft, Binneneinheiten und Hochschulleitung angemessen Rechnung getragen werden kann, wenn allein Hochschulräte als relevantes beschließendes Gremium ausgewiesen werden. Hier zeichnet sich im Zuge des Reformvorhabens eine Situation ab, in der Zweifel an der Vereinbarkeit mit der grundgesetzlich gesicherten Wissenschaftsfreiheit in aufwendigen und langwierigen Gerichtsverfahren geklärt werden müssten.
Im Lichte der skizzierten Überlegungen schließen sich der Verband Deutscher Kunsthistoriker und die Gesellschaft für Musikforschung nachdrücklich den Apellen des Offenen Briefs von Professorinnen und Professoren an bayerischen Universitäten sowie der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften an, dass das Staatsministerium alle Betroffenen zu einem offenen Diskussionsprozess einladen möge, der es erlaubt, die im Eckpunkte-Papier skizzierten Überlegungen grundlegend zu überdenken.
Für den Verband Deutscher Kunsthistoriker e.V.
Prof. Dr. Kilian Heck
(Erster Vorsitzender)
Prof. Dr. Johannes Grave
(Repräsentant der Berufsgruppe
Hochschulen und Forschungsinstitute)
Für die Gesellschaft für Musikforschung e.V.
Prof. Dr. Dörte Schmidt
(Präsidentin)
Prof. Dr. Ulrich Konrad
(Vizepräsident)
Stellungnahme der unterzeichnenden Fachgruppen in der GfM zur „Festschrift für Siegfried Mauser“
Am 19.12.2019 veröffentlichten mehrere Fachgruppen der GfM die folgende Stellungnahme zur im Jahr 2019 publizierten Festschrift für Siegfried Mauser:
Zur kürzlich im Verlag Königshausen & Neumann erschienenen Publikation Musik verstehen – Musik interpretieren. Festschrift für Siegfried Mauser zum 65. Geburtstag möchten die unten genannten Fachgruppen in der Gesellschaft für Musikforschung folgende Stellungnahme abgeben:
Im Vorwort des genannten Bandes formulieren Herausgeber und Herausgeberin mit Bezug auf Mauser: „Seine Visionen und sein unbändiger Tatendrang, die ansteckende Spontanität und begeisternde Vitalität haben ihm manche Kritik eingetragen – und sein bisweilen die Grenzen der bienséance überschreitender weltumarmender Eros hat für ihn schwerwiegende rechtliche Folgen gehabt.“
Um die Grenzen der „bienséance“, des Anstands oder guten Benehmens, geht es hier jedoch nicht, sondern um die Verletzung der Menschenwürde und der Gesetze. Siegfried Mauser wurde am 9. Oktober dieses Jahres wegen sexueller Nötigung in vier Fällen vom Bundesgerichtshof verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigte damit in vollem Umfang das Urteil des Landesgerichts München von 2018. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Wir sind über diese im Vorwort des genannten Bandes evidente Verharmlosung der Taten eines verurteilten Straftäters bestürzt. Es fügt dem Fach Musikwissenschaft in der Öffentlichkeit Schaden zu. Um dem Eindruck entgegenzuwirken, das Vorwort oder die Herausgabe dieser Festschrift repräsentiere die Meinung des gesamten Fachs Musikwissenschaft, distanzieren sich die Unterzeichnenden mit Nachdruck. Unser Mitgefühl gilt den Opfern von Menschen, die meinen, asymmetrische Machtverhältnisse zu ihrem eigenen Vorteil ausnützen zu dürfen.
Eine Festschrift für Siegfried Mauser, wie auch immer die Motivation der einzelnen Beitragenden gewesen sein mag, erweckt den Eindruck, als solle hier „jetzt erst recht“ nicht nur der Wissenschaftler und Pianist, sondern auch der verurteilte Täter gefeiert werden; eine Festschrift ist keine private Solidaritätsbekundung, kein harmloser freundschaftlicher Akt, sondern eine Ehrung, die immer auch die gesamte Person betrifft. Die zitierte Formulierung im Vorwort – und gewisse öffentliche Stellungnahmen eines Herausgebers und der Herausgeberin – legen zudem die Interpretation wenigstens nahe, dass Mauser eigentlich zu Unrecht verurteilt worden sei.
Dass solche Einstellungen und Positionen in der Gegenwart teils implizit, teils explizit vertreten werden können, zeigt, wie sehr es zumindest in einigen Bereichen am Bewusstsein für den schwerwiegenden Tatbestand sexueller Nötigung und Gewalt insbesondere (aber nicht nur) in asymmetrischen Machtverhältnissen mangelt. Das gilt, wie wir mit Beschämung feststellen, auch für unser eigenes Fach, die Musikwissenschaft, aber offenbar auch für einige namhafte Komponisten und Vertreter anderer Kulturwissenschaften.
Diese Feststellung führt weit über den Fall Mauser hinaus. Eine Diskussion darüber muss in der Wissenschaft, in den Künsten und in der allgemeinen Öffentlichkeit geführt werden – um den Opfern ihr Recht und ihre Würde zu geben, und um Täter vor Gericht zu bringen und von künftigen Taten abzuschrecken.
Die unterzeichnenden Fachgruppen sind Neigungsgruppen innerhalb der Gesellschaft für Musikforschung und stehen für ihre Mitglieder, vertreten jedoch keine offizielle Position der GfM.
Für die Fachgruppe Frauen- und Genderstudien
gez. Cornelia Bartsch und Katharina Hottmann
Für die Fachgruppe Aufführungspraxis und Interpretationsforschung
gez. Dorothea Hofmann, Kai Köpp und Heinz von Loesch
Für die Fachgruppe Deutsch-Ibero-Amerikanische Musikbeziehungen
gez. Diego Alonso Tomás und Christina Richter-Ibáñez
Für die Fachgruppe Digitale Musikwissenschaft
gez. Stefanie Acquavella-Rauch, Andreas Münzmay und Klaus Rettinghaus
Für die Fachgruppe Kirchenmusik
gez. Irene Holzer und Dominik Höink
Für die Fachgruppe Musikethnologie und vergleichende Musikwissenschaft
gez. Michael Fuhr und Cornelia Gruber
Für die Fachgruppe Musikinstrumentenkunde
gez. Josef Focht, Franz Körndle und Katharina Preller
Für die Fachgruppe Musiktheorie
gez. Inga Mai Groote und Christoph Hust
Für die Fachgruppe Musikwissenschaft an den Musikhochschulen
gez. Dorothea Hofmann und Manuel Gervink
Für die Fachgruppe Musikwissenschaft im interdisziplinären Kontext
gez. Marie Louise Herzfeld-Schild, Yvonne Wasserloos und Friederike Wißmann
Für die Fachgruppe Nachwuchsperspektiven
gez. Maria Behrendt, Carolin Sibilak und Tom Wappler
Für die Fachgruppe Soziologie und Sozialgeschichte der Musik
gez. Wolfgang Fuhrmann und Corinna Herr
Für die Fachgruppe Systematische Musikwissenschaft
gez. Veronika Busch